Der freie Hund

  • Kiepenheuer&Witsch
  • Erschienen: März 2020
  • 10
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Thomas Gisbertz
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2020

Konkurrenz für Commissario Brunetti

Commissario Antonio Morello, genannt „Der freie Hund“, hat in Sizilien korrupte Politiker verhaftet, und steht nun auf der Todesliste der Mafia. Um ihn zu schützen, wird er nach Venedig versetzt. Er hasst die Stadt vom ersten Augenblick an. Zu viele Menschen, trübes Wasser, Kreuzfahrtschiffe, die die Luft verpesten und die Stadt gefährden – selbst der Espresso doppio, ohne den er nicht leben kann, schmeckt ihm in Sizilien besser.

Kaum angekommen wartet bereits der erste Fall auf ihn: Francesco Grittieri, der junge Anführer einer Bürgerinitiative gegen die Kreuzfahrtschiffe, die täglich Venedig anlaufen, wurde ermordet. Morello muss nicht nur gegen den Widerstand seiner Kollegen ankämpfen, sondern auch gegen die Verstrickungen von italienischer Politik und Verbrechen.

Schwerer Start in neuer Heimat

Zu seiner eigenen Sicherheit wird Commissario Morello nach Venedig versetzt. Mit der Durchsuchung des Hafens von Palermo und der Festnahme eines korrupten Politikers hat er die Mafia mehr als verärgert. In Venedig aber ist er scheinbar sicher, denn nach einem der vielen ungeschriebenen Gesetzen der Cosa Nostra ermordet sie ihre Gegner nur auf Sizilien und nie außerhalb der Insel. Dass sich der freie Hund allmählich in seiner neuen Heimat einlebt, hat er vor allem Silvia, seiner schönen Nachbarin, zu verdanken, die ihm ihr persönliches, verborgenes Venedig zeigt. Doch Morello hält den Annäherungsversuchen zunächst stand, denn er trägt ein dunkles und mehr als tragisches Geheimnis in sich.

Freunde als Autorenduo

Wolfgang Schorlau hat sich in den letzten Jahrzehnten als Autor politisch brisanter Kriminalromane einen Namen gemacht. Die Fälle des Stuttgarter Privatermittlers Georg Dengler sind nicht nur bei Lesern äußerst beliebt, sondern werden seit 2015 auch vom ZDF verfilmt. Schorlau wurde in den letzten Jahren mit zahlreichen Krimipreisen ausgezeichnet.

Claudio Caiolo wurde auf Sizilien geboren und in Venedig zum Schauspieler ausgebildet. 1996 zog er nach Stuttgart und gründete mit Holger Krabel die Theatergruppe LaoTick. Zusammen mit Stefan Jäger schrieb er mehrere Drehbücher für Filmproduktionen. Sogar eine Parallele zu seiner Hauptfigur Morello lässt sich ziehen: Beide erhielten ihr erstes Paar Kinderschuhe von der sizilianischen Mafia - als Gegenleistung für eine Wählerstimme.

Zusammen legen Schorlau / Cailolo nun ihren ersten Venedig-Krimi vor – und dieser ist hochpolitisch. Schließlich stehen hier die Machenschaften der Mafia im Vordergrund.

Aktuelles Thema

Erst Ende 2019 versank Venedig erneut unter einem Rekord-Hochwasser. Neben dem Klimawandel werden auch Unternehmen und Kreuzfahrtgesellschaften hierfür verantwortlich gemacht. Die Lagune wird allmählich durch die von den Schiffen verursachten Wellen ausgespült, die enorme Luftbelastung der permanent laufenden Schiffsmotoren führt dazu, dass trotz fehlendem Autoverkehr Venedig als eine der schmutzigsten Städte Europas gilt, und der Massentourismus macht das Wohnen für Einheimische nahezu unbezahlbar.

Wer sich fragt, wie man all das zu einem gut durchdachten, spannenden und hochpolitischen Krimi verbindet, der gleichzeitig bestens unterhält, dem kann man nur raten, den Start der neuen Reihe zu lesen und sich selbst davon zu überzeugen. Anders als so mancher Kollege verstehen es die beiden Autoren bestens, das fundierte Wissen immer wieder clever einfließen zu lassen, gleichzeitig aber ihre Figuren in den Vordergrund zu stellen. Dazu vermitteln sie trotz aller Spannung genügend venezianisches Flair, auch wenn zum Beispiel nicht jeder Leser an der genauen Zubereitung sizilianischer Spezialitäten interessiert sein dürfte.

Süditaliener haben es schwer

Dass nicht alle „Hurra!“ schreien, wenn ein auswärtiger Kommissar dank Beziehungen den ortsansässigen Ermittlern einen lukrativen und begehrten Posten vor der Nase wegschnappt, ist verständlich. Hier kommt aber erschwerend hinzu, dass besonders die Süditaliener in Venedig nur leidlich beliebt sind. Das sorgt im ersten Fall des freien Hundes für zusätzliche Brisanz und Dynamik. Auch Commissario Morello selber wäre lieber heute als morgen wieder in seiner alten Heimat.

Beide Seiten müssen sich aber ihrer neuen Situation stellen, was anfänglich für so manche Auseinandersetzung und sogar Anfeindung sorgt. Auch bei der Lösung des aktuellen Falls muss er gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen ankämpfen. Doch seine Vorgesetzten und Kollegen haben nicht mit der Hartnäckigkeit dieses sturen Sizilianers gerechnet.

Schorlau/Caiolo haben auch ihre „romantische Seite“, wenn sie ihrer Hauptfigur einen cleveren Taschendieb an die Seite stellen, der Morello mit Informationen und Insiderwissen über Venedig versorgt und ihm mit so mancher Beziehung helfen kann. Auch wenn diese Konstellation mehr als unwahrscheinlich ist, unterhält sie dennoch bestens.

Fazit:

Liebhaber der Krimis um Commissario Brunetti der amerikanischen Autorin Donna Leon werden wahrscheinlich keinen anderen Ermittler in „ihrem“ Venedig dulden. Allen anderen kann man aber die neue Reihe wärmstens ans Herz legen, da sie italienische Lebensart, politische Brisanz und ein vielversprechendes Ermittlerteam zu einer gelungenen Kriminalerzählung miteinander verbindet.

Der freie Hund

Claudio Caiolo, Wolfgang Schorlau, Kiepenheuer&Witsch

Der freie Hund

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