Der Tunnel - Nur einer kommt zurück

  • Knaur
  • Erschienen: Mai 2020
  • 4

Karl-Heinz Ebnet (Übersetzung)

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Thomas Gisbertz
88°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2020

Düstere Geschichte um ein mysteriöses Verschwinden

Sechs junge Leute, seit Jahren beste Freunde, fahren mit dem Boot in Englands längsten Kanal-Tunnel: ein echtes Abenteuer in beklemmender Dunkelheit. Als das Boot nach über zwei Stunden am anderen Ende des Standedge-Tunnels wieder auftaucht, sind fünf der Freunde verschwunden. Der sechste, Matthew, ist bewusstlos. Natürlich behauptet Matthew, nicht zu wissen, was sich in der Finsternis des Tunnels zugetragen hat. Doch niemand kennt Standedge so gut wie er, der dort Führungen für Touristen anbietet. Und möglicherweise war die Freundschaft der sechs schon längst nicht mehr so unschuldig wie zu Kindertagen.

Spur zu seiner Frau?

Vor drei Jahren hat Robin Ferringham seine große Liebe Sam verloren. Plötzlich und unerwartet verschwindet sie aus seinem Leben. Bis jetzt fehlt jede Spur von ihr. Den Verlust über seine Frau hat er in einem Buch verarbeitet. Bei einer Signierstunde in einer Buchhandlung erhält Robin einen kryptischer Anruf, der ihn mehr als aufwühlt. Matthew McConnell, der seit zwei Monaten wegen des Verdachts der Tötung seiner Freunde im New Hall Gefängnis einsitzt, bittet ihn überraschend um Hilfe.

Im Gegenzug verspricht er Robin Informationen über Sam. Der Verdächtige beteuert während des Gesprächs immer wieder seine Unschuld. Doch kann Robin ihm wirklich trauen? Wenn er etwas über Sams Verschwinden erfahren will, muss er sich auf den Deal einlassen und dem dunklen Geheimnis des Tunnels auf den Grund gehen. Doch nicht jeder will, dass im Fall erneut ermittelt wird.

Zweiter Thriller des jungen Briten

Chris McGeorge studierte „Creative Writing“ an der City University London. Seinen Debütroman „Escape Room“ (2019) reichte er als Abschlussarbeit seines Studiums ein. Bereits mit seinem Erstlingswerk zeigte Chris McGeorge die Bandbreite seines Könnens. Inspiriert durch seine literarischen Vorbilder Agatha Christie und Arthur C. Doyle gelingt dem Autor auch mit seinem zweiten Thriller „Der Tunnel“ eine Mischung aus klassischem Whodunit und modernen Elementen.

Dabei steht erneut ein zentrales Rätsel, welches gelöst werden muss, im Mittelpunkt. Besonders die Tatsache, dass McGeorge wiederum ohne einen klassischen Ermittler in Form eines Detektivs oder Kommissars auskommt, verleiht der Geschichte eine gewisse Nähe zum Geschehen. In Großbritannien ist im Oktober 2019 bereits der dritte Band „Inside Out“ von Chris McGeorge erschienen. Dabei geht es um einen rätselhaften Mord in einem Gefängnis.

Spiel mit der Wirklichkeit

Im aktuellen Roman des jungen britischen Autors werden erneut - wie bereist in „Escape Room“ - zwei Handlungsebenen deutlich. Zum einen spielt McGeorge gekonnt mit Schein und Sein. Er stellt den Leser vor ein zunächst unlösbar scheinendes Rätsel. Wie können fünf Freunde in einem Kanal-Tunnel verschwinden, der nur in eine Richtung befahrbar ist und keine weiteren Ausgänge besitzt?

Selbst wenn der Erzähler dem Leser irgendwann eine Lösung anbietet, ist das Rätsel um das Verschwinden und vor allem das Motiv längst nicht geklärt. Stattdessen nimmt die Handlung häufiger unerwartete, wenn auch nicht immer vollkommen überraschende Wendungen. Der Plot hat es aber auf jeden Fall in sich.

Dazu gehört auch der zweite Handlungsschwerpunkt: Robins Suche nach seiner vermissten Frau Sam. Sie ist für ihn Antrieb und Ziel gleichermaßen. Das Interessante: Im letzten Drittel nimmt der Roman aufgrund der Geschehnisse um Sam eine dramatische Wendung. Spätestens ab hier wird niemand das Buch mehr aus der Hand legen wollen.

Vielschichtige Erzählung

Rätsel hat die Hauptfigur des Thrillers, Robin Ferringham, einige zu lösen. Dabei dient er wunderbar als Reflektorfigur für den Leser. Es drängen sich bei der Lektüre gleich mehrere Fragen auf: Was ist im Tunnel wirklich geschehen? Wo sind die fünf Freunde geblieben? Sind sie tot oder werden sie gefangen gehalten? Warum versucht die Dorfgemeinschaft, aus der die Verschollenen stammen, mit allen Mitteln, die Öffentlichkeit im Unklaren über die Ereignisse zu lassen? Welche Verbindung hat Matthew zu Robins vermisster Frau Sam?

Das Wunderbare an diesem Thriller ist, dass sich sofort eine neue Frage auftut, sobald eine beantwortet wurde. Das Scheitern der Hauptfigur ist dabei ebenso Teil der Handlung wie unüberwindbare Grenzen, die Robin immer wieder vor Augen geführt werden. Auf bei der Suche nach seiner Frau weiß er manchmal selber nicht, ob er mit dem, was Matthew ihm zu sagen hat, auch leben kann.

Kleinere Schwächen

Im Roman passt vieles zusammen: Ein außergewöhnlicher „Ermittler“, ein fantastischer Plot und interessante Charaktere. Für die nötige Prise Humor sorgt die Darstellung von Matthews Pflichtverteidiger Terrance Loamfield sowie die zahlreichen inhaltlichen Anspielungen auf „Escape Room“. McGeorges Sprache ist eher nüchtern, gleichzeitig hat man das Gefühl, nah bei Robin zu sein und ihn auf seiner Suche zu begleiten.

Aber der Thriller hat auch kleinere Schwächen in der Darstellung der Figuren, die mitunter etwas überzogen handeln. Leider kann man als Leser auch nicht unbedingt auf die Lösung des rätselhaften Verschwindens kommen, da auch deren Umsetzung - wenngleich möglich - etwas konstruiert wirkt. Das mindert das Lesevergnügen aber kaum, da das Motiv viel wichtiger ist. Des Weiteren wirkt das Ende des Roman leider etwas kitschig, da es auch überhaupt nicht zu dem passt, was man zuvor erfahren hat. Aber vielleicht muss ein Thriller auch einfach einmal so enden.

Fazit: 

Chris McGeorge gelingt erneut ein überdurchschnittlicher Thriller. Besonders der wendungsreiche, packende Plot weiß zu überzeugen. Ein Thriller mit Suchtpotential: beängstigend, spannend, mitreißend. Hier treffen klassischer Krimi und moderner Thriller meisterhaft aufeinander. Eine klare Leseempfehlung.

Der Tunnel - Nur einer kommt zurück

Chris McGeorge, Knaur

Der Tunnel - Nur einer kommt zurück

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