Drosselbrut

  • Droemer Knaur
  • Erschienen: April 2019
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Birgit Stöckel
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2019

„Befreie dich!“

„Drosselbrut“ ist der zweite Thriller um das Ermittlerduo Kira Hallstein und Max Lohmeyer, und wie bereits sein Vorgänger „Wolfswut“ hat auch dieses Werk vom Verlag das Etikett „True Crime“ verpasst bekommen. Und wie beim Vorgänger kann man darüber diskutieren, ob das gerechtfertigt ist. Als Vorbild für die Ereignisse in „Drosselbrut“ dient der Fall des belgischen Mörders und Sexualtäters Marc Dutroux, dessen Taten Mitte der 90er für großes Entsetzen und Aufsehen sorgten. Gößling entwickelt daraus eine Geschichte, in der es zwar einige Parallelen zu Dutroux gibt, die aber ansonsten rein fiktiv ist. Ob das nun „True Crime“ ist, möge jeder für sich entscheiden.

Davon unabhängig, wie man diesen Thriller nun bezeichnet, legt Gößling erneut ein spannendes und furioses Werk vor. Wer bereits „Wolfswut“ kennt, weiß, dass der Autor beim Schreiben keine Samthandschuhe trägt. Er scheut nicht vor grausamen, brutalen und teilweise auch ekligen Details zurück, und serviert sie auch diesmal wieder seinen Lesern ohne Zurückhaltung. Das ist jetzt beileibe keine Kritik, nur eine Warnung an Lesende, die in dieser Hinsicht etwas empfindsamer sind. Vor allem da Kinderpornographie bzw. -missbrauch, wie man sich nach der Erwähnung Dutroux’ bereits denken konnte, eine Rolle spielt.

Kinderpornographie und Verschwörungstheorie

Während die sommerliche Hitze Berlin fest im Griff hat, verschwinden mehrere junge Mädchen. In allen Fällen wird an ihre Großeltern ein Video geschickt, in dem man sieht, wie die Opfer unter Drogen vergewaltigt werden. Wird das im beiliegenden Erpresserschreiben geforderte Lösegeld gezahlt, werden die Mädchen wieder freigelassen. Nachdem sich ein Großvater nun bereits vor der Übergabe an die Polizei wendet, nehmen die Ermittlungen von Hallstein und Max Lohmeyer endlich an Fahrt auf.

Zeitgleich startet in den sozialen Medien die „Befrei-dich!“-Kampagne, in der mehrere Videos online gestellt werden, in denen man Drosselküken sieht, die sich in ihren aus Plastik gebauten Nestern selber strangulieren, wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Fesseln zu zerreißen. Genau wie diese Küken soll auch die jugendliche Zielgruppe ihre Fesseln der sozialen Netzwerke zerreissen und sich auf einen Selbstfindungstrip in der Natur begeben, um nicht zu ersticken. Müßig zu sagen, dass keine mehr davon zurückkehrt.

Hallstein hat schon bald den Verdacht, dass die beiden Ermittlungen zusammenhängen könnten und geht sogar noch weiter: Sie beginnt, an eine groß angelegte Verschwörung zu glauben und die „Schattenmänner“ zu jagen, die ihren weitreichenden Einfluss aus dem Hintergrund nutzen, um zu vertuschen und zu verschleiern. Hier zeigt sich eine der oben genannten Parallelen zum Fall Dutroux, denn auch dort wurden Stimmen laut, die an eine Verschwörung glaubten, waren einige Ermittlungspannen doch zu offensichtlich, und auch die überraschend hohe Anzahl an Todesfällen während der Ermittlungen machte misstrauisch.

Wie weit man Gößling auf dem Weg seiner Verschwörungstheorie folgen will, muss jeder Lesende für sich entscheiden. Er dehnt zwar die Grenzen der Glaubwürdigkeit bis aufs äußerste aus, doch im Großen und Ganzen kann man sich zumindest theoretisch vorstellen, dass es so etwas gibt.

Bewährtes Ermittler-Duo ist am Start

Hallstein und Max ergänzen sich in den Ermittlungen erneut gut, diesmal sogar noch ein bisschen besser, denn Max ist reifer geworden, hat mehr Selbstvertrauen in sich und seine Fähigkeiten, und seine Besonnenheit tut dem Duo gut. Denn Hallstein ist weiterhin Hallstein: Sie hat weiterhin einen deutlich jüngeren Lover, liebt weiterhin ihr 300 PS starkes Auto und kämpft weiterhin gegen ihr Trauma an. Ein Trauma, das durch das Verschwinden ihres Bruders ausgelöst und durch die Ermittlungen in „Wolfswut“ bereits verstärkt wurde. Auch in „Drosselblut“ schont Gößling seine Ermittlerin nicht, und was sie diesmal erleiden muss, hat das Potential, selbst psychisch Gesunde in die Knie zu zwingen - erst recht jemand bereits traumatisierten. Hier ist auch kaum mehr glaubhaft, dass Hallstein das alles aushält, ohne endgültig den Halt zu verlieren.

Fazit:

„Drosselbrut“ ist wieder ein fesselnder und teilweiser furioser Thriller, der erneut in die Abgründe der menschlichen Psyche hinabsteigt. Allerdings balancieren Geschichte und Figurenzeichnung so manches mal haarscharf an der Grenze zur Unglaubwürdigkeit. Das Ende ist sichtlich auf eine Fortsetzung ausgelegt, und es bleibt abzuwarten, ob Gößling diese Gratwanderung weiter gelingt -  oder ob er abrutscht. Davor erwarten die Lesenden jedoch mit diesem Buch noch einige spannende Stunden - wenn sie denn ihr eigenes Kopfkino während der Lektüre aushalten.

Drosselbrut

Andreas Gößling, Droemer Knaur

Drosselbrut

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