Kill 'em all

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2019
  • 2

Originalausgabe erschienen unter dem Titel „Kill ‘em All“
- London : William Heinemann 2018. 352 S.
- München : Heyne Verlag 2019. Übersetzt von Stefan Glietsch

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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2019

Ein Star muss nicht unbedingt lebendig sein

Steven Stelfox hat bereits eine breite (Blut-) Spur durch die Medienwelt gezogen. Als Produzent für miserable, aber einträgliche Musiker und Strippenzieher hinter einer grottigen, überaus erfolgreichen ‚Reality‘-TV-Show verdiente er Millionen, während seine Klienten längst vergessen und in der Regel traurig endeten. Aktuell arbeitet Stelfox als ‚Berater‘: Soll in der Medienbranche lukrative Drecksarbeit erledigt werden, engagiert man ihn, weil seine Kenntnis einschlägiger Tricks nur von seiner Skrupellosigkeit übertroffen wird.

Ein alter ‚Freund‘ hat ein Problem: James Trellick, Leiter einer US-amerikanischen Plattenfirma, konnte den fragwürdigen Star seines Labels just zu einer Comeback-Tournee zwingen. Lucius Du Pre ist pleite und hochverschuldet; sein Untergang würde auch das Label killen. Obwohl Lucius medikamentensüchtig und geistig verwirrt ist, konnte man ihm den Ernst der Lage klarmachen. Nicht austreiben ist ihm allerdings sein Hang zu minderjährigen Jungs. Sein jüngstes Opfer hat ihn gefilmt, und die Eltern fordern 50 Mio. Dollar Schweigegeld.

Das Geld können weder der ausgebrannte Ex-Sänger noch das Label aufbringen, Der panische Trellick lässt Stelfox freie Hand. Weder die Angst oder gar der Respekt vor dem Gesetz oder moralische Bedenken schränken diesen ein, sondern nur die Furcht erwischt zu werden. Stelfox setzt einen bizarren Plan um und will Du Pre in einen Mythos verwandeln, statt ihn auftreten zu lassen. Zunächst geht alles gut, doch sogar Stelfox unterschätzt Du Pres Starrsinn. Der Sänger langweilt sich in seinem fernen Exil, wird nicht gründlich genug beaufsichtigt und merkt, dass man ihn weltweit vermisst. Lucius will nach Haus und vor sein Publikum - etwas, das Stelfox und seine Spießgesellen auf keinen Fall geschehen lassen dürfen …

Glänzende Zeiten für Drecksäcke

Aller guten Dinge sind bekanntlich drei, obwohl „gut“ ein Attribut ist, das sicher nicht auf Steven Stelfox angewendet werden kann, der faktisch sämtliche Negativeigenschaften addiert, die ein Mensch aufweisen kann, ohne ein Serienkiller zu sein. Das Besondere (oder Traurige) liegt in der Tatsache, dass dies nicht zwangsläufig durch das Gesetz oder die Gerechtigkeit bestraft, sondern im Gegenteil von einer Gesellschaft honoriert wird, die den Betrug der langweiligen, mühseligen Realität vorzieht.

Nach „Kill Your Friends“ (2008) und „The Second Coming“ (2011; dt. „Gott bewahre“) kommt Stelfox nun ein drittes Mal über seine Leser. Wer glaubt, dass Autor John Niven in Sachen unterhaltsam-zynischer Bosheit die Puste ausgehe, darf beruhigt sein. „Kill ‘em All“ ist mindestens so niederschmetternd unterhaltsam wie die Vorgänger. Dieser Roman wirkt auch deshalb so ‚wahr‘, weil die USA seit 2017 quasi von einem realen Steven Stelfox regiert. Dies nutzt Niven, um Stelfox als Trump-Fan zu outen, der nicht nur ein Vorbild bewundert, sondern erkennt, wie weit man es bringen kann, wenn man nur dreist genug betrügt. Niven lässt Stelfox den „Großen Mann“ einmal persönlich treffen. So inspiriert geht Stelfox seinen Plan an, vom schnöden Multimillionär zum Milliardär aufzusteigen, was den Griff in die düstersten Winkel der Trickkiste erfordert.

Wobei diese Tricks weder raffiniert sind, noch sein müssen. Die Menschen sieht Stelfox als Herde von Schafen, die von Wölfen wie ihm nach Belieben rasiert oder gerissen werden. Voller Verachtung und Schadenfreude lästert Stelfox - souffliert vom Verfasser - über jene Dummköpfe, die sich an Gesetze und Regeln halten, statt sich mit Zähnen und Klauen an die Spitze der Nahrungs- bzw. Einkommenspyramide durchzukämpfen, um sich dort unter Aufbietung sämtlicher (vor allem illegaler) Mittel zu halten. Dabei hilft ihm, dass der Mensch mehrheitlich betrogen werden will. Die klassische Mär vom Tellerwäscher, der sich zum Millionär hocharbeitet, wurde dabei abgelöst vom Mythos, dass jeder Mensch unabhängig vom Talent ein Star sein kann.

Schwäche ist schlimmer als der Tod

Stelfox kommt ‚von unten‘ und hängt an Reichtum und Einfluss, denn darüber definiert er sich. Nichts fürchtet er als den Rücksturz dorthin, wo er einst gestartet ist. Es würde ihn in eines der Schafe verwandeln. Als es irgendwann gar nicht gut um ihn steht, gerät Stelfox in Panik. Er malt sich seinen Niedergang aus und geht auf eine mehrtätige Sauftour. Natürlich findet er einen Ausweg: Stelfox tritt Gesetz und Moral einfach noch stärker als sonst mit den Füßen. Er ist reich und kann sich Spezialisten für sämtliche Schandtaten anheuern, was einen Killer einschließt, der dieses Mal urlaubsreif ist, bis Stelfox wieder bzw. fester denn je im Sattel sitzt.

Die Handlung orientiert sich an der Biografie von Michael Jackson, der hier „Lucius Du Pre“ heißt. Niven hält sich so dicht ans Vorbild, dass einem unbehaglich wird: War Jackson abzüglich der romanhaften Überspitzung womöglich wirklich so? Du Pre ist sowohl ein armes Würstchen als auch ein Verbrecher, der so lange ungestört seiner Realitätsflucht, seinem Verschwendungsdrang und seiner Unzucht mit Minderjährigen frönen darf, wie er Bedienstete, Leibärzte und vor allem Anwälte bezahlen kann. Erst als diese Quelle zu versiegen droht, werden Maßnahmen ergriffen, die jedoch ausschließlich den Erhalt des Verdienstes gelten und nicht einer Gerechtigkeit, die Niven mit ätzendem ‚Humor‘ als sinnleere Worthülse karikiert. Selbst die Eltern des von Du Pre missbrauchten Jungen wollen ihr Stück vom Kuchen und setzen dafür ihr Kind als Instrument ein.

Was Stelfox sich ausdenkt, um Du Pres Bankrott in einen Triumph zu verwandeln, ist nicht neu, weitet aber das Bekannte ins Ungeheuerliche aus. Die Erkenntnis, dass ein Künstler tot wertvoller als lebendig ist, wird durch Präzedenzfälle wie Elvis Presley, Tupac Shakur oder eben Michael Jackson bewiesen. Außerdem erleichtert der Tod die Vermarktung, da lebendige Stars bocken und ihren Nimbus durch allzu öffentliche Exzesse beschädigen können. Tot sind sie kein Störfaktor, was Stelfox zu einem Masterplan weiterentwickelt, der nicht nur den kapriziösen De Pre bändigt, sondern auch sämtliche Stolpersteine auf Stelfoxes Weg zum Milliardär glättet. Was dies im Detail bedeutet, sei an dieser Stelle verschwiegen bzw. nur so viel gesagt: Der Buchtitel trifft dieses Mal ins Schwarze!

Nivens literarischer Amoklauf hat Methode: Die ebenso zynische wie erfolgreiche Negierung sämtlicher Werte soll belegen, wie tief die Welt inzwischen gesunken ist. Politik, Finanzwesen, Medien und Kunst: Niven spart nichts und niemanden aus. Manchmal ermattet und deprimiert der endlose Schwall polierter Bosheiten, der sich über uns Leser ergießt. Trügerisch tröstlich ist die Tatsache, dass es faktisch keine Opfer gibt: Alle tanzen um das goldene Kalb, und wen es dabei erwischt, verdient sein Schicksal. An Besserung ist nicht zu denken, weshalb damit zu rechnen ist, dass wir Stelfox nicht zum letzten Mal begegnet sind.

Fazit:

Zum dritten Mal erteilt Stelfox durch Gesetz und Moral gelähmten Lesern eine Lektion über die Mechanismen des modernen Mediengeschäfts. Sein ‚Witz‘ ist ebenso bitterböse wie treffsicher, der Unterhaltungsfaktor gewaltig, obwohl diese Reaktion politisch völlig unkorrekt ist …

Kill 'em all

John Niven, Heyne

Kill 'em all

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