Todesstrom

  • Heyne
  • Erschienen: August 2019
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Almut Oetjen
71°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2019

Aufwertung der regionalen Dienststellen durch Spezialisten aus dem Moloch

Irland befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Es herrscht ein soziales Klima, in dem die Armut wächst, Diskriminierung und häusliche Gewalt gegen zumeist Frauen und Kinder zunehmen. Gewalt ist auch in Institutionen wie Kirche und Kinderheimen zu beobachten. Die Menschen bringen dem Staat und seinen Institutionen Misstrauen entgegen. Kurz, ein hervorragender Nährboden für Literatur.

Der moderne irische Kriminalroman, gleich ob er ein historischer, psychologischer oder prozeduraler Krimi ist, erzählt in erster Linie von Menschen in dieser existenziellen Matrix, die Spannungen im Beruf, in der Familie oder in sozialen Gemeinschaften auszuhalten haben. Themen, wie in den Romanen Ken Bruens, der sich für Irland auf dem Weg in die EG und in der EU interessiert, und mit seiner Reihe um Jack Taylor zu den herausragenden Autoren und Taktgebern des Irish Noir gehört.

Wie Bruen hat sich auch die Irin Dervla McTiernan bei der Auswahl des Handlungsorts ihrer Krimis für Galway und das damit gegebene Soziotop entschieden. Protagonist ihrer Romanreihe ist Detective Cormac Reilly, der erste Band trägt den Titel „Todesstrom“.

Wiedersehen nach 20 Jahren

Die Handlung beginnt im Februar 1993, als Cormac Reilly nach Abschluss seiner Ausbildung in das heruntergekommene Landhaus der Alkoholikerin Hilaria Blake und deren zwei Kindern Maude und Jack beordert wird, wo er einen grauenhaften Fund macht.

Im März 2013 erfährt die Chirurgin Aisling Conroy, dass sie schwanger ist. Eine Nachricht, die sie mit ihren beruflichen Vorstellungen nicht vereinbaren kann. Sie spricht darüber mit ihrem Partner Jack. Kurz darauf wird Jack tot aufgefunden, er soll von einer Brücke in den Tod gesprungen sein. Seine Schwester Maude reist zur Beerdigung aus Australien an, und überzeugt Aisling davon, dass Jack sich nicht umgebracht hat.

Cormac Reilly, nun Detective Inspector, soll im Auftrag seines Vorgesetzten den alten Fall Blake wieder untersuchen, der vor 20 Jahren vermutlich vorschnell zu den Akten gelegt worden war. Cormac ist erst seit kurzer Zeit in Galway. Er war zuvor Mitarbeiter der Anti-Terror-Einheit in Dublin. Als seine Lebensgefährtin Emma, eine Biologin, die Leitung eines achtköpfigen Forscherteam in einem Labor der Universität von Galway und eine jährliche Fördersumme von drei Millionen Euro erhält, zieht er mit ihr nach Galway, wo er bei der regionalen Polizeidienststelle seine Kompetenzen zur Entfaltung bringen will.

Und auch soll, weil die irische Polizei gerade im Begriff ist, ein Vorhaben zur Steigerung der Selbstständigkeit und zur Aufwertung regionaler Dienststellen umzusetzen. Einem klassischen Muster folgend, haben Detectives aus einer Metropole in der Provinz einen schweren Stand. So auch Cormac, der sich bemüht, in seiner neuen Dienststelle Fuß zu fassen. Nachdem er in Dublin als „Golden Boy“ gehandelt wurde, mutet sein Wechsel nach Galway denn auch wie ein Karriererutsch an.

Prozeduraler Krimi mit berührenden Szenen

Der Einstieg in den Roman ist anrührend. Die 15-jährige Maude und ihr zehn Jahre jüngerer Bruder Jack warten auf die Polizei, während die tote Mutter im Obergeschoss liegt. Wie lange sie schon warten, lässt sich daran abmessen, dass Maude am Morgen ihren Bruder in den Ort zur Schule gebracht und danach die Polizei angerufen hat. Als diese am Landhaus eintrifft, ist der Tag fast vorbei. Maude überzeugt Cormac, nicht so zu verfahren, wie er möchte. Stattdessen folgen die Polizisten ihrem Vorschlag, der es ihr ermöglicht, ihren Bruder im Krankenhaus in Sicherheit zu bringen - und dann spurlos zu verschwinden. Maude zeigt sich hier als intelligentes Mädchen. Auf ähnlich intelligente und sensible Weise ist der Einstieg in die Gegenwartserzählung geschrieben.

Danach gibt es drei Ermittlungsgruppen, was grundsätzlich interessant ist. Cormac soll den „Fall“ von 1993 wiederaufnehmen, heißt: erstmals untersuchen. Ein wenig kompetenter Kollege ermittelt im aktuellen Suizidfall. Beide Ermittlungen werden sich später als Bausteine einer perfiden Konstruktion erweisen. Schließlich untersuchen Jacks Tod auch Maude und Aisling und gelangen zu verwertbaren Ergebnissen.

Wechsel zwischen Mann und Frau als Hauptfiguren

McTiernan verbindet in ihrem Erstling direkt oder über Umwege mehrere Themen miteinander. Dafür lässt sie sich einige Zeit.

Die Erzählung konzentriert sich auf die beiden Hauptfiguren, die als solche in den ersten Kapiteln positioniert werden: Cormac und Aisling. Sie stehen abwechselnd im Zentrum einzelner Kapitel, aber McTiernan führt beide Erzählstränge oft zusammen. Während sie ihre Serienfigur Cormac in diesem Buch eher vorstellt als entwickelt, sind die beiden Frauenfiguren Aisling und Maude gut charakterisiert.

Cormac wird vermutlich in Folgebänden noch weiterentwickelt, vielleicht umgibt ihn ja etwas Mysteriöses, weshalb nicht bereits jetzt zu viel über ihn preisgegeben werden soll. Er wird hier stärker auf indirekte Weise beschrieben, wie er damit umgeht, dass er in einem korrupten Umfeld gelandet ist, weiter, wie er sich Emma und Maude gegenüber verhält. Die Rückblicke auf 1993 werden genutzt, am Beispiel von Maude und ihrer Familie das beschämende Verhalten von Institutionen zu beleuchten.

Man mag McTiernan aufgrund des Handlungsortes Galway und der behandelten Themen mit Bruen vergleichen. Betrachtet man die beiden Ermittlerfiguren Jack Taylor und Cormac Reilly, ist der Unterschied zwischen beiden recht groß. Cormac ist lebensfroh und unternehmungslustig. Sein Leben ist nicht aus den Fugen geraten, er ist nicht beschädigt, Alkohol spielt in seinem Leben keine Rolle.

Er bekommt jedoch Probleme, als er mit Emma nach Galway zieht. Man teilt ihm dort ungelöste Altfälle, Cold Cases, zu. Nur ein Kollege hat Interesse an ihm. Er scheint auch einen schweren Stand zu haben, weil er, wie er einmal zu hören bekommt, aus dem Moloch (Dublin!) in die 80.000 Einwohner kleine Stadt gekommen ist, in der angeblich jeder jeden kennt.

Fazit:

Dervla McTiernan führt mit ihrem Debüt „Todesstrom“ einen vielversprechenden Detective als Serienfigur ein. Nach anfänglich anrührenden Szenen wechselt die Erzählung in den Modus eines prozeduralen Kriminalromans, der hart am Fall entlang erzählt wird. Eine positive Hauptfigur in einem nicht so positiven Umfeld bekommt es mit Polizeikorruption und Kindesmissbrauch zu tun.

Todesstrom

Dervla McTiernan, Heyne

Todesstrom

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