London Rules (Engl.)

  • John Murray
  • Erschienen: August 2018
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Michael Seitz
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2019

London-Regel Nr. 1: 'Always cover your Arse!'

Eine Truppe von Söldnern radiert mit Maschinenpistolen ein Dorf aus. Das wäre nun nichts besonderes, läge dieses Dorf nicht dummerweise im idyllischen Derbyshire, mitten in England. Als kurz darauf auch noch ein Wasserloch voller possierlicher Pinguine in einem britischen Zoo in die Luft gesprengt wird, ist die Nation in heller Aufregung und beim Inlandsgeheimdienst MI 5 ist die höchste Alarmstufe ausgelöst.

In Slough House, der Heimat der "Slow Horses" (zu deutsch etwa der "lahmen Enten") also der Agenten, die der MI 5 wegen persönlicher Probleme oder grandioser Fehlschläge dorthin aussortiert hat, herrscht dagegen die übliche lähmende Langeweile. Bis, ja bis Roderik Ho, Resident Nerd in Slough House mit egozentrischem Selbstbild, dass so gar nicht mit der Fremdwahrnehmung durch seine Kollegen überein zu bringen ist, nur knapp einem Attentat entgeht, stümperhaft ausgeführt mit einem Kleinwagen. Obwohl er selbst gar nicht an einen Anschlag glauben mag, stellt sich doch bald heraus, dass seine neue, überaus attraktive und damit so gar nicht zu ihm passende asiatische Freundin Kim mehr im Schilde führt, als ihn nur auszunehmen.

Also treten nun - zunächst ein bisschen widerwillig, denn niemand mag Roddie - seine Kollegen in Aktion: River Cartwright, Enkel einer Geheimdienstlegende und nach einer Übung mit katastrophalem Ausgang zu Unrecht ins Slough House abgeschoben, Koksnase Shirley Dander, Psycho J.K. Coe, Louisa Guy, noch immer nicht fertig mit dem Tod Ihres Lovers zwei Bände zuvor sowie die trockene Alkoholikerin und Slough-House Urgestein Catherine Standish versuchen herauszufinden, was hinter dem Attentat steckt. Dabei laufen sie blindlings in einen weiteren Attentatsversuch, diesmal in Ho´s Zuhause. Das ruft nun auch ihren Chef Jackson Lamb auf den Plan. Wie üblich rülpsend, furzend und mit unnachahmlichem Sarkasmus findet Lamb alsbald einige verstörende Verbindungen zwischen den Attentaten auf Ho und denen auf das Dorf und die Pinguine.

Die Attentäter verfolgen offenbar einen noch nicht vollendeten Plan, und der ist nicht auf ihrem eigenen Mist gewachsen, sondern führt direkt in´s Herz des MI 5. Natürlich kann Diana Taverner, genannt Lady Di und zwar nicht die offizielle, aber doch die heimliche Chefin des MI 5, die Veröffentlichung dieser Verbindungen nicht dulden. Sie verordnet dem Slough House und seinen "Bewohnern" daher einen Shutdown, der Jackson Lamb allerdings etwa so sehr interessiert wie Donald Trump der Klimawandel. Wird es ihm und seiner Gurkentruppe gelingen, die Pläne der Attentäter trotzdem noch rechtzeitig zu durchkreuzen? Und falls ja, wer kann daraus den meisten Nutzen ziehen? Und wem gelingt es am Besten, seinen Hintern aus der Schusslinie zu bringen?

Britischer Humor in Bestform ...

Im mittlerweile fünften Band der Jackson-Lamb-Reihe läuft Mick Herrons typisch britischer Humor wieder einmal zu Höchstform auf. Das aus den vorherigen Bänden bereits bekannte, überaus skurrile Slough-House Personal stolpert unverdrossen durch einen Sumpf aus Lügen und Intrigen, und es bleibt fraglich, was den Protagonisten dabei mehr im Weg steht: Die Attentäter, die eigenen Kollegen oder doch die unterschiedlichen "Personal Issues", die jeder einzelne von Ihnen mit sich herumträgt. Einzig Jackson Lamb scheint jederzeit den Überblick zu behalten und wirkt daher wie ein unhöflich-zynischer Inspektor Columbo, nur eben mit richtig schlechten Manieren und Mundgeruch. Niemand, aber auch wirklich niemand, nicht einmal die im Rollstuhl sitzende Chefin des MI 5 Archivs ist vor seinen derben Scherzen sicher. Der Mann ist einfach ein Kotzbrocken, allerdings ein überaus witziger. Auch in diesem Band finden sich wieder Szenen, die jedenfalls dem Rezensenten beim Lesen vor Lachen die Tränen in die Augen trieben.

… aber die Menagerie nutzt sich langsam ab.

 Aber dennoch fällt dieser Band gegenüber seinen Vorgängern ein wenig ab. Zu weit hergeholt wirkt der Plot diesmal, und ein wenig zu sehr scheinen die skurrilen Verwicklungen der Geschichte an den Haaren herbeigezogen. So absurd komisch die Grundkonstellation dieser Romane auch sein mag, auch sie nutzt sich mit der Zeit ab und braucht neue Ideen zum Überleben. Sicher, in Zeiten des Brexit und eines Donald Trump scheint keine noch so groteske Wendung derart unwahrscheinlich, dass wir sie nicht schon morgen in der Zeitung lesen könnten, aber bis zum Beweis des Gegenteils scheint hier doch Einiges ein wenig überzogen.

Andererseits sind die Typen, die Herron karikiert, hier u.a. zwei auf ganz unterschiedliche Weise populistische Politiker, der eine Hard-Brexiteer mit einer heimlichen Neigung zu Frauenkleidern, der andere Vorzeige-Moslem mit familiären Problemen, so urkomisch und so realistisch zugleich, dass das Buch schon allein deswegen unbedingt lesenswert ist. Darüber hinaus: Einiges scheint dem Verfasser dieser Zeilen geradezu hochliterarisch, was für einen Krimi ja durchaus nicht selbstverständlich ist. So etwa, wenn Herron die Abenddämmerung gleich einer Person auf der Suche nach ihrem ewigen Zwilling, der nie getroffenen Morgendämmerung, durch Slough House wandeln und sie Beobachtungen über die Menschen und Zustände dort machen lässt, dann ist das ganz großes und unbedingt lesenswertes Kopfkino. Und wer die Briten schon immer für mehr als nur ein wenig verrückt hielt, der findet bei Herron die ultimative Bestätigung für dieses Vorurteil.

London Rules (Engl.)

Mick Herron, John Murray

London Rules (Engl.)

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