Große Kanonen für kleine Gangster

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 1977
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  • New York: Random House, 1976, Titel: 'Guns', Seiten: 213, Originalsprache
  • Frankfurt am Main; Berlin; Wien: Ullstein, 1977, Seiten: 187, Übersetzt: Michael K. Georgi
Große Kanonen für kleine Gangster
Große Kanonen für kleine Gangster
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2023

Kein Leben, keine Zukunft, kein Ausweg.

Teddy Stein, Jacko und Colley Donato sind Verlierer seit dem Tag ihrer Geburt. Die fand auf der Schattenseite von New York City in Armut statt. Das Trio entschied sich früh für das Verbrechen als ‚Beruf‘. Doch hat man es nie weit gebracht, überfällt Schnapsläden, Pfandleihen und kleine Geschäfte. Die Beute ist gering, das Risiko hoch, denn das Gesetz kennt keine Gnade mit unverbesserlichen Strolchen. Alle haben sie schon im Gefängnis gesessen. Sollte man sie noch einmal erwischen, droht jahrzehntelange Haft.

Für Teddy, Jacko und Colley ist diese trostlose Situation Lebensalltag. Man lebt in den Tag hinein. Geht das Geld aus, wird ein neues Ding gedreht. Zwölfmal hat man es so gehalten, nie gab es Schwierigkeiten: Schon der Anblick einer Waffe und eine Drohung reichten aus, um verängstigte Ladenbesitzer in Schach zu halten.

Doch Glück währt nie lange in diesem Milieu. Der Polizei ist die Zunahme von Überfällen aufgefallen. In einige Läden wurden Beamte postiert, um die Räuber auf frischer Tat zu ertappen. Tatsächlich schnappt die Falle irgendwann zu, aber der Zugriff misslingt: Die drei Gauner können fliehen, ein Polizist bleibt tot, ein zweiter schwer verletzt am Tatort zurück.

Damit haben Teddy, Jacko und Colley eine Grenze überschritten. Polizistenmord wird nicht geduldet. Die Unterwelt gerät in Aufruhr, als die wütenden Beamten nach den Tätern fahnden. Überall sind sie präsent. Um die drei Kleingangster zieht sich das Netz zu. Flüchten können sie nicht, denn nur in ihrem Milieu kennen sie sich aus. Die Solidarität unter Kriminellen hat freilich enge Grenzen. Das ‚Geschäft‘ leidet unter dem Polizeidruck. Deshalb dauert es nicht lange, bis Misstrauen und Panik aufkeimen. Wem kann man trauen? Wird womöglich einer der ‚Kameraden‘ die Gelegenheit nutzen, sich als Kronzeuge der Justiz anzudienen? Die Lage ist aussichtslos, und obwohl sie sich gegen ihr Schicksal stemmen, können die drei Gauner ihm nicht entrinnen …

Geboren, gefangen, verdammt

Wir ahnen nicht nur nach wenigen Seiten, wie diese Geschichte ausgehen wird - wir wissen es! Allzu überzeugend hat Autor Ed McBain sie eingefädelt und mit Figuren besetzt, die keinerlei Zukunftsperspektive besitzen. Die Lage ist nicht ernst, sondern hoffnungslos, und das war sie bereits, als Teddy, Jacko und Colley geboren wurden, um Unheil über sich und die Menschen in ihrem Umfeld zu bringen.

McBain hält keine sozialkritische Predigt, sondern erzählt eine spannende Geschichte, die bedrückend das vorprogrammierte Elend als Aufhänger nutzt. Was wäre aus Teddy, Jacko und Colley geworden, hätte man sie nicht dort alleingelassen, wo sich ihnen kein Ausweg aus der Misere anbietet, die sie Leben nennen? Doch die Obrigkeit setzt allein auf Strafen und ignoriert, dass sie auf diese Weise eine Generation heranwachsen lässt, die nicht in der Lage ist zu begreifen, dass sie nur verlieren kann.

Unser Trio ist nicht unbedingt das, was man moralisierend ‚böse‘ nennt. Die drei jungen Männer haben durchaus ‚gelernt‘: Sie mussten zu dem Schluss kommen, dass ‚ehrliche Arbeit‘ in ihrem Milieu nur lebenslange Schinderei für Mindestlohn bedeutet. Die einzige Möglichkeit, diesen Teufelskreis zu unterbrechen ist die gewaltsame Aneignung von Geld und Gut. Teddy, Jacko und Colley denken kaum über die moralischen Implikationen ihres Handelns nach; sie können es gar nicht.

Das haben wir nicht gewollt!

Aus diesem Grund kommt ihnen nicht in den Sinn, dass die ‚geregelte Arbeit‘, der sie nachgehen, eine Illusion ist. Die drei jungen Männer sind keine absichtlichen Mörder. Sie setzen ihre Waffen als Drohung ein. Damit sind sie stets durchgekommen. Wieso sollte sich dies ändern? Diese Frage stellen sie sich nicht. Auch sonst sind sie erschreckend (und mit schrecklichen Folgen) beschränkt: Natürlich wirbelt das Trio Staub auf, weshalb die Polizei ihm auflauert. Ein unglücklicher Zufall sorgt dafür, dass nicht die Räuber, sondern die Polizisten auf dem Schlachtfeld zurückbleiben.

Nun schaltet die Maschine des Gesetzes einen Gang herauf. Hinzu kommt ein archaischer Drang zur Rache: Polizisten sind ‚Ritter‘ in blauer Uniform - ein Orden, dessen Mitglieder füreinander einstehen. Der Ordnungsdienst ist gefährlich, weshalb die Polizei dafür sorgt, dass dem Verbrechen eines klar ist: Jede Attacke wird persönlich genommen und geahndet! Das Gesetz bietet genug Nischen, in denen Selbstjustiz nicht wahrgenommen wird. Als Teddy, Jacko und Colley einen Polizisten umbringen, haben sie ihr Todesurteil unterschrieben.

Dies ist ihnen sehr wohl bewusst. Doch sie wollen nicht ins Gefängnis, das sie zu Lebzeiten nicht mehr verlassen würden. Verzweifelt suchen sie nach einem Ausweg, den es - uns Lesern ist es wie gesagt bald klar - nicht gibt. Insofern leuchtet ein, dass „Große Kanonen für kleine Gangster“ - der deutsche Titel ist das peinliche Zeugnis einer Ära, als Verlage ‚witzig‘ sein wollten, um Leser zu ködern - nicht die typische Geschichte einer Kriminaltat erzählt, die einfallsreich aufgeklärt werden muss. McBain lässt nie einen Zweifel daran, dass die Polizei diese Täter fassen wird. Originelles Denken und die trickreiche Vertuschung der Tat sind ausdrücklich nicht Elemente des Geschehens.

Tragödie der Hoffnungslosigkeit

„Guns“ (so der betont nüchterne und deshalb den Grundton unterstreichende Originaltitel) gehört nicht in McBains berühmte Reihe um das „87. Polizeirevier“, die er mehr als ein halbes Jahrhundert bis zu seinem Tod im Jahr 2005 fortsetzte. Mit einigen Änderungen hätte der Roman durchaus dort erscheinen können. Doch McBain setzt dieses Mal den Fokus anders. Die Polizei ist zwar ein ständig präsenter Gegenspieler, bleibt aber eine eher anonyme, bedrohliche Macht.

Im Zentrum stehen stattdessen Teddy, Jacko und vor allem Colley, dessen Leben sich nach dem ‚versehentlichen‘ Mord in eine Abwärtsspirale verwandelt, die sich immer schneller dreht. Auf dem Weg nach unten lernt Colley sämtliche Formen menschlicher Niedertracht kennen. Colley ist vogelfrei. Mit steigender Verzweiflung sucht er ein Versteck, Verbündete, einen Ausweg, verlässt die Stadt und begibt sich auf eine ziellose Odyssee ins Hinterland.

Systematisch verbaut ihm McBain jede Möglichkeit. Immer weiter driftet Colley in jene Randzone der Gesellschaft ab, die den Verdammten vorbehalten ist. Er kann und will nicht begreifen, wie ihm geschieht. Als das Ende kommt, inszeniert es McBain durchaus theatralisch. Wer durch die Waffe lebt, wird durch die Waffe umkommen; Colley selbst zitiert an einer Stelle dieses Sprichwort. McBain sorgt dafür, dass es sich erfüllt.

Fazit

Ein Krimi ohne Rätsel bzw. eher die Beschreibung einer buchstäblichen Höllenfahrt, auf die sich ein flüchtiger Mörder begibt. Er bleibt innerhalb der vom Verfasser gesetzten Grenzen einer kleinen, kriminellen Welt gefangen und ist zum Untergang verflucht: ein eindringliches, kompromisslos auf sein logisches Ende zusteuerndes Drama.

Große Kanonen für kleine Gangster

Ed McBain, Ullstein

Große Kanonen für kleine Gangster

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