Das vierzehnte Opfer

  • Edition M
  • Erschienen: August 2018
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  • Seattle: Thomas & Mercer, 2017, Titel: 'The unclaimed victim', Seiten: 420, Originalsprache
  • Luxemburg: Edition M, 2018, Seiten: 512, Übersetzt: Falko Löffler
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Kirsten Kohlbrei
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2019

Historisch-fiktive Suche nach einem Serienmörder

Die junge Kris Wiley studiert Kunst in Cleveland und träumt von einer Zukunft als Fotografin. Eigentlich kommt sie aus Cridersville, einem kleinen Nest in Ohio, wo sie nach dem frühen Unfalltod ihrer Mutter allein bei ihrem herrischen Vater Alfred aufwuchs. Als im Wald von Cridersville Leichenteile auftauchen, bei denen der Führerschein Alfred Wileys gefunden wird, kehrt sie für eine Identifizierung des Toten in ihren Heimatort zurück.

Schwankend zwischen Schuldgefühlen und Erleichterung, erscheint ihr der Tod des scheinbar allmächtigen Vaters jedoch einfach nicht vorstellbar. Auf der Suche nach einer anderen möglichen Erklärung seines Verschwindens, entdeckt Kris im verlassenen Haus der Wileys zufällig einige Bücher, die sich mit dem Torso-Killer beschäftigen, einem nie gefassten Serienmörder aus den 30er Jahren. Außerdem erfährt sie, dass sich ein Privatdetektiv in der Stadt nach Alfred erkundigt hat. Auf dessen Visitenkarte ist eine Internetadresse zu den Morden des Serientäters notiert, so dass sie einen Zusammenhang zum Zustand der zerstückelten Leiche vermutet. Verstört flüchtet sie daraufhin nach Cleveland zurück.

Dort stößt sie bei ihrer Recherche im Internet nicht nur auf den Privatermittler, sondern auch auf eine regelrechte Fangemeinde, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Identität des Torso-Mörders zu lüften. Und sie stellt fest, dass sich auch ihr Vater intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. Sie folgt der Spur seiner Suche durch Bibliotheken und Archive bis zum verlassenen Bau der alten Harmony-Missionsdruckerei. Ein weitflächiger, leerstehender Gebäudekomplex, in unmittelbarer Nähe ihres Wohnhauses.

Als sie in der Hoffnung, Hinweise auf den Verbleib ihres Vaters zu finden, das Gebäude untersuchen will, macht sie die Bekanntschaft von Jimmy. Er lebt dort illegal neben einer Anzahl weiterer skurriler Hausbesetzter, die in der Industriebrache Unterschlupf gefunden haben.

Spannung entfaltet sich auf unterschiedlichen Zeitebenen 

Eine sichere Bleibe in dem Gebäude erhoffte sich einst auch Ethel Harding, die in den Armenvierteln Clevelands unterwegs ist, als der Torso-Killer beginnt unter Obdachlosen, Kriminellen und Prostituierten der Stadt seine Opfer zu suchen und die Leichen in Einzelteile zerteilt entsorgt.

Ethel geriet dort in die Fänge einer obskuren Glaubensgemeinschaft, die anscheinend in die bestialischen Machenschaften des Killers verstrickt ist. Ihr gelang jedoch die Flucht vor ihren Peinigern und sie macht sich nun ihrerseits auf die Jagd auf den Mörder, der auch eine Freundin von ihr auf dem Gewissen hat.

Jahrzehnte später fühlt sich nun Kris ebenfalls bei ihren Nachforschungen zunehmend bedroht, erst recht, als ihr Haus mit einem blutroten Stern mit acht Spitzen - einem alten in Kulturen und Religionen mehrdeutig verwendeten Symbol - beschmiert wird. Unterstützung findet sie zwar bei Jimmy, der aus persönlichen Gründen auch die Gräueltaten des Serienkillers aufklären möchte, doch wird sie misstrauisch, nachdem er ihr Informationen scheinbar vorenthält.

Kris findet sich gefangen in einem dichten Netz aus Personen, Taten und Vorkommnissen aus Vergangenheit und Gegenwart. Es scheint, als hätten die Morde niemals aufgehört und den Toten sei nun ein weiteres Opfer gefolgt.

Als sie der Wahrheit zu nahe kommt, gerät ihr eigenes Leben in Gefahr. Die erschreckende Gewissheit entzieht ihrer Existenz jede Grundlage, zwingt sie zum Handeln und verändert ihr  Dasein unwiderbringlich.

Realität dient als Vorlage

Autorin D.M. Pulley ist gelernte Bauingenierin und hat erst vor einigen Jahren mit dem Schreiben von Kriminalromanen begonnen. Sie erzählt ihre Geschichte auf 500 Seiten relativ flüssig und selten langatmig, Manche etwas schiefe Formulierungen können dabei der Übersetzung aus dem Amerikanischen geschuldet sein. Für ihren Plot bedient sie sich der historisch realen Figur des so genannten Torso-Killers, dem zwischen den Jahren 1934 und 1938 der Mord an 13 in und um Cleveland herum zerstückelt aufgefundenen Toten zugerechnet wurde und dessen Identität ungeklärt blieb.

Gut recherchiert arbeitet sie zahlreiche authentische Fakten und Personen in ihre fiktive Version der Geschehnisse ein. Zudem markiert sie den Wechsel der Handungsstränge mit Zitaten aus zeitgenössischen  Zeitungsartikeln. Durch die Darstellung nationalsozialistischer Tendenzen und okkulter Rituale liefert sie zum einen Einblick in die gesellschaftlichen Strukturen  Amerikas dieser Zeit, skizziert aber auch bis heute bestehende Konflikte von brisanter Aktualität, wie etwa rassistische Einstellungen innerhalb der Polizei.

Faszinierender Schauplatz und stimmige Charaktere

Absolut positiv macht sich Pulleys Berufserfahrung bei der Beschreibung des Harmony-Missionshauses bemerkbar, zu dem sie von einem realen Vorbild inspiriert wurde.

Als lokales Zentrum gewählt verbindet Pulley damit geschickt die beiden Erzählstränge der Handlung, indem sie ihre Protagonistinnen Kris und Ethel sich gleiche Wege durch das verschachtelte Gebäude suchen lässt. Letzlich wird der Trakt auch Schauplatz des Zusammenkommen der Ebenen, da sich eine Bewohnerin als Zeitzeugin der damaligen Geschehnisse entpuppt, die Kris aufschlussreiche Erklärungen liefern kann.

Pulleys authentische Hauptfiguren verfolgen zwar das gleiche Ziel, unterscheiden sich  charakterlich doch sehr. Die unsichere Kris hat zunächst wenig von der Stärke einer vom Leben geprüften Ethel, reift jedoch durch die Anforderungen der extremen Situation.

Auch das Personenkarussel der Nebenfiguren entwirft Pulley abwechslungsreich. Etwa mit Ben, dem skrupellosen Freund Alfreds, Troy, dem übergriffigen Ex von Kris oder Madame Mimi, einer abgedrehten Hellseherin und Bekannten Jimmys.

Kris Suche führt sie immer tiefer in die Vergangenheit ihres Vaters und damit auch in ihre eigene Kindheit zurück. Dabei entdeckt die fassungslose Tochter seine Verbindungen zu rechtsextemistischen Organisationen und sogar der angebliche Unfalltod ihrer Mutter erscheint plötzlich fraglich. Nach und nach fügen sich die einzelnen Ergebnisse dann wie Mosaikstückchen zu einem schrecklichen Gesamtbild zusammen. Und so klärt sich am Schluss doch überraschend, wenn auch nicht völlig unerwartet auch die Identität des 14. Opfer.

Fazit:

„Das vierzehnte Opfer“ bietet eine nicht unbedingt spektakuläre, aber in sich schlüssige und spannende Geschichte, die von der fundierten Recherchearbeit der Autorin profitiert. Die historischen und gesellschaftlichen Bezüge vermitteln eine Atmosphäre, die besonders Fans von Thrillern mit Schauplatz Amerika auf ihre Kosten kommen lässt. Anders als Titel und Thema befürchten lassen könnten, erwartet den Lesern kein blutiges Abschlacht-Drama, sondern solide gelungene Krimiunterhaltung.

Das vierzehnte Opfer

D. M. Pulley, Edition M

Das vierzehnte Opfer

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