Macbeth

  • Der Hörverlag
  • Erschienen: Januar 2018
  • 15
  • München: Der Hörverlag, 2018, Seiten: 2, Übersetzt: Wolfram Koch
Macbeth
Macbeth
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Almut Oetjen
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2018

Die Wiederkehr des Regentropfens und die Lust an der Macht

Das Hogarth-Shakespeare-Projekt wurde zum 400. Todestag des Dramatikers William Shakespeare eingerichtet. Seit 2016 sind sieben des auf acht Bände angelegten Vorhabens erschienen, auch in deutscher Übersetzung. Beim ersten deutschen Projektpartner, dem Knaus Verlag, sind dies Jeanette Wintersons "Der weite Raum der Zeit", Howard Jacobsons "Shylock", Anne Tylers "Die störrische Braut", Margaret Atwoods "Der Sturm", Edward St Aubyns "Dunbar und seine Töchter" und Tracy Chevaliers "Der Neue". Der siebte Titel, Jo Nesbøs "Macbeth", wird von Penguin verlegt. Als achter und letzter Band ist Gillian Flynns "Hamlet" nach Terminverschiebung für Januar 2021 angekündigt.

Der Norweger Jo Nesbø hat sich mit "Macbeth" die kürzeste und letzte der großen Tragödien Shakespeares ausgesucht. Sie besteht aus fünf Akten und einer rigorosen szenischen Marschroute, die wenige Seitenwege in Form von Nebenhandlungen aufweist. Nesbø hat daraus den (bislang) umfangreichsten Beitrag für das Projekt geschrieben. Sind die anderen Bücher maximal 320 Seiten lang, bringt seins es auf nahezu den doppelten Umfang. Dabei hat er aus den fünf Akten Shakespeares drei gemacht. Die deutsche Fassung ist eine Übersetzung der englischen Übersetzung aus dem Norwegischen. Alle drei Fassungen sind 2018 erschienen.

Inspector Macbeth und sein SWAT-Team stellen 4,5 Tonnen Amphetamin sicher

Die Stadt Capitol wird nominell regiert von Bürgermeister Tourtell, faktisch jedoch vom jeweiligen Chief Commissioner der Polizei. Nachdem der korrupte und despotische Chief Commissioner Kenneth Opfer eines Schlaganfalls geworden ist, wird der gesetzestreue Duncan sein Nachfolger und besetzt die Führungspositionen mit unbescholtenen Idealisten. Die Norse Riders unter ihrem Anführer Sweno, eine der beiden großen Drogengangs der Stadt, erwarten eine Lieferung. Inspector Duff, Leiter des Rauschgiftdezernats, hat einen anonymen Hinweis darauf bekommen und hofft, die Lieferung beschlagnahmen zu können. Die Polizeiaktion gelingt jedoch nur, weil Inspector Macbeth und sein SWAT-Team unterstützend eingreifen. Sie stellen 4,5 Tonnen Amphetamin sicher.

Duncan befördert Macbeth zum Leiter des Dezernats für Organisierte Kriminalität. Das verärgert Duff, der schon länger auf eben diese Beförderung aus war.

Macbeth und sein alter Freund Banquo treffen auf drei Schwestern aus der zweiten großen Drogengang Capitols, die von Hecate angeführt wird. Ihre Wortführerin Strega prophezeit, Macbeth werde bald Chief Commissioner und Banquos Sohn Fleance irgendwann seine Nachfolge antreten. Der überraschte Macbeth erzählt von dieser Begegnung seiner Lebensgefährtin Lady, die ihn überredet, Duncan auf einer in Kürze anstehenden Party zu ermorden. Das soll den Aufstieg Macbeths in das Amt des Bürgermeisters einleiten.

Handlung wird vom Autor in das schottische Fife verlegt

Jo Nesbø, der mit seiner Serie über den norwegischen Polizisten Harry Hole international bekannt wurde, verlegt die Handlung der Shakespeareschen Tragödie nicht nach Norwegen, auch nicht in ein Schloss, sondern nach Schottland (Fife und Umgebung).

Der Handlungsort und die Akteure beschreiben in etwa eine britisch-skandinavische Sphäre, so ähnlich wie die britischen Verfilmungen der Wallander-Stoffe Henning Mankells mit Kenneth Branagh. Ein Scharfschütze heißt Olafson.

Zwar gibt es keine Zeitangaben, aber Orientierungsmarken zur ungefähren zeitlichen Einordnung. Der jüngste genannte Song, Lindisfarnes "Meet Me on the Corner", stammt aus 1972.

Dass Deputy Chief Commissioner Malcolms Traum seit Kindertagen, der Chevrolet Chevell SS 454, seit 1964 hergestellt wurde, deutet auf mindestens Mitte der 1970er Jahre hin. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich das Land mitten in einer Ölkrise befindet. Die erste dieser Krisen datiert auf 1973, die zweite auf 1979/80. Es sind offensichtlich die 1970er Jahre, die Stadt ist ein rund um die Uhr geöffneter Marktplatz für Drogen. Großbritannien befindet sich im industriellen Niedergang.

Dieser Niedergang wird bei Nesbø als Wandel in drei Stufen beschrieben: auf die Stilllegung der Industrie folgte die der Bahnstrecke, "damit niemand mehr wegkommt", und den Abschluss bildet die Drogenabhängigkeit der Bevölkerung. Sinnigerweise wird dort gedealt, wo zuvor Bahnfahrkarten verkauft wurden. Es gibt drei Möglichkeiten in Capitol reich zu werden: Casinos, Drogen und Politik.

Erinnerung an die eiserne Lady Margaret Thatcher

In Verbindung mit Macbeths Partnerin, die nur "Lady" genannt wird, erinnert man sich an Margaret Thatcher, die von 1975 bis 1990 Vorsitzende der Konservativen Partei und von Mai 1979 bis November 1990 die erste Premierministerin des Vereinigten Königsreichs war. Sie reformierte die englische Wirtschaft dermaßen rigoros, dass sie als "Eiserne Lady" bezeichnet wurde. Vielleicht schwebte sie Nesbø ja vor, oder sie bewegte sich unterschwellig mit, als er seine Lady entwarf. Zwar passt sie nicht exakt in den Zeitrahmen, aber der ist auch nicht eindeutig bestimmbar.

Der Autor ist studierter Ökonom, arbeitet mit indirekten wie auch direkten ökonomischen Hinweisen. Malcolm hat Philosophie und Betriebswirtschaft studiert. Hecate, in Shakespeares Tragödie die Herrscherin über die drei Hexen, ist der entscheidende Drogenboss der Stadt und Besitzer eines der beiden Casinos, das andere gehört Lady.

Er bezeichnet sich nach einem Konzept des britischen Moralphilosophen und Ökonomen Adam Smith als "Unsichtbare Hand", und einmal wird ein "Philosoph Adam Hand" erwähnt. Hecate lenkt aus dem Hintergrund das Marktgeschehen in Capitol. Er sagt einmal, seine Religion heiße Kapitalismus, und der freie Markt sei sein Glaubensbekenntnis. Er stellt eine Droge her, die "Brew" genannt wird, eine crackartige Substanz, von der die halbe Stadt abhängig ist.

Hecate will Macbeth unter Kontrolle und in das Amt des Bürgermeisters bekommen. Nesbøs drei Hexen, Schwestern Hecates genannt, eine heißt Strega, haben im modernen Sinn mit einer Form von Religion zu tun, die kapitalistisch verstanden wird. Sie treten als eine Art Anlageberaterinnen auf, die Hecates Produkt verkaufen. Hecate selbst geht davon aus, dass die Vorhersage Stregas eintreten wird, weil Macbeth sie in seinem Sinne interpretieren werde: als durch Gier bestimmten Lebenswunsch.

In der Anlage und Motivgebung durch Nesbø lässt sich Macbeths Weg beschreiben als ein Ansparprogramm von Verbrechen, eine mörderische Kapitalbildung, deren Zinsgutschriften ihn letztlich zum Gerichteten werden lassen.

Selbstgespräche über den Widerspruch zwischen Denken und Handeln

Anders als Macbeth kann Lady von ihrem Gewissen abstrahieren, während er sich der Schändlichkeit seines Handels ständig bewusst ist. Shakespeares Tragödie weist auffällig viele Selbstgespräche auf, in denen es um den Widerspruch zwischen Denken und Handeln geht. Sein Macbeth ist ein tragischer Charakter, der einen inneren Zwiespalt austrägt, sich tief in Schuld verstrickt und Mitgefühl erzeugen kann.

Nesbøs "Macbeth" wird als primär action-orientierte Geschichte erzählt. Bereits die Inszenierung der frühen Vereitelung des Drogentransfers zeigt, in welche Richtung es bei ihm geht. Da kommt der Aspekt der Tragödie zu kurz. Das korrupte Gemeinwesen erhält mehr Aufmerksamkeit als die zerfallenden Beziehungen. Shakespeare selbst legt den Schwerpunkt auf Macbeths innere Vorgänge, dessen Gier nach Macht.

Nesbøs Inszenierung von Actionszenen ist einfallsreich, ob es sich um Verfolgungsjagden, Schießereien, Erpressung handelt. Ihm fallen gelegentlich gute Bilder ein, besonders für Schlüsselszenen aus der Vorlage, darunter die Rolle der Lokomotive Bertha Birnam in der Umsetzung einer Variante der verschlüsselten Prophezeiung, in der Birnam Wood eine entscheidende Rolle spielt. Phantastische Momente bekommen eine implizite Erklärung. Als Macbeth der Geist des ermordeten Banquo erscheint, könnte dies eine drogeninduzierte Halluzination Macbeths sein.

Nesbøs "Macbeth" ist in erster Linie ein Thriller über einen Machtkampf, der in einer noir-artigen Umgebung stattfindet. Er dampft die Tragödie zusammen auf die Prämisse: Die Polizisten eines korrupten Reviers in einer verrotteten Stadt sind nichts anderes als Mitglieder einer speziellen Gang der Organisierten Kriminalität.

Nebenfiguren bei Shakespeare bekommen hier mehr Aufmerksamkeit, darunter Seyton und Caithness, der bei Shakespeare einer der Adligen ist, die sich gegen Macbeth wenden, und bei Nesbø die in Duff verliebte Chefin der Kriminaltechnik.

Das Motiv der Zyklizität von Geschichte, das sich bei Shakespeare nicht findet, aber offen in der Verfilmung des Stoffes durch Roman Polanski ("Macbeth", USA/GB 1971), bildet Nesbø ab in der Bewegung eines Regentropfens, der wir zu Beginn und am Ende folgen. Es handelt sich um den Wassertropfen des kleinen Prinzen, und Nesbø stellt eine bewertende Verbindung zum Großen her, indem er einen Möwenschiss eine ähnliche Bewegung vollziehen lässt.

Als Genreroman reiht sich "Macbeth" nahtlos in das Werk Nesbøs ein und kann mit dem Schnitt der Gradzahlen aus den bisherigen Rezensionen bewertet werden: 87 Grad. Als Beitrag zum Shakespeare-Projekt ist er weniger gelungen. Er enthält Namen und Motive, manche reizvolle Änderung. Der von Shakespeare behandelte Themenkomplex findet sich ebenfalls, dies aber eher oberflächlich. Vor allem die inneren Vorgänge und Selbstgespräche in der Tragödie erreichen eine Tiefe und Komplexität, die es bei Nesbø nicht gibt. Als Eintrag in das Shakespeare-Projekt erhält der Band 73 Grad. Die Gesamtbewertung liegt daher bei 80 Grad.

Macbeth

Jo Nesbø, Der Hörverlag

Macbeth

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