Graue Nächte

  • Lübbe
  • Erschienen: Dezember 2018
  • 5
  • Reykjavík: Vaka-Helgafell, 2016, Titel: 'Petsamo', Seiten: 341, Originalsprache
  • Köln: Lübbe Audio, 2018, Seiten: 4, Übersetzt: Walter Kreye
Graue Nächte
Graue Nächte
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Carola Krauße-Reim
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2019

Liebe ist ein starkes Gefühl

Island war im 2. Weltkrieg neutral, dennoch wurde es erst von den Briten und dann von den Amerikanern besetzt, beide Male unter dem Vorwand, damit eine deutsche Invasion verhindern zu wollen. Das Zusammenleben von Soldaten und Einheimischen war nicht immer einfach, aber die Besetzung brachte einen ungeahnten Wirtschaftsaufschwung. „Graue Nächte“ spielt genau zu dieser Zeit.

Bereits zum zweiten Mal ermitteln der isländische Kommissar Flóvent und der kanadisch-britische Militärpolizist Thorson gemeinsam. Es gilt, den Mord an einem vermeintlich amerikanischen Soldaten und das Verschwinden einer Frau aufzuklären, die beide im Zusammenhang mit dem Auffinden eines ertrunkenen Isländers stehen könnten.

Farblose Polizisten ermitteln im düsteren Island

Arnaldur Indridason gibt nur sehr wenig Informationen zu den beiden Ermittlern preis. So fällt es dem Leser auch nicht leicht, sich ein Bild von Thorson und Flóvent zu machen. Sie sind einfach zu farblos und oberflächlich beschrieben, als dass sie wirklich prägnante Typen sein könnten. Indridason charakterisiert sie eigentlich nur über ihren Beruf. Gefühlsregungen, Gedanken, persönliche Eigenarten, die einen Menschen zum Individuum werden lassen, fehlen hier weitgehend.

Schade, zwei so unterschiedliche Kommissare, die trotzdem viel gemein zu haben scheinen, wären ein Gewinn für die Geschichte gewesen. Doch die sparsame Charakterisierung passt zum düsteren und minimalistischen Setting. Island im kühlen Frühjahr, im 2. Weltkrieg während der Besetzung, ist schon deprimierend genug. Wenn dann aber auch noch im Armenviertel von Reykjavík ermittelt wird, oder ein einsames Lavafeld als Schauplatz herhalten muss, ist die Tristesse komplett. Im Kopf des Lesers verblasst jede Farbe, und alles spielt sich nur noch schwarz-weiß ab.

Titel und Cover passen nicht wirklich

Unter diesen Voraussetzungen könnte man sowohl Titel als auch Cover als durchaus gelungen bezeichnen. Doch, wenn eine Geschichte meist in der Hauptstadt spielt, und dazu noch oft in militärischer Umgebung, sollte nicht unbedingt ein einsames Haus auf dem Fjäll als Umschlagbild herhalten, eine Ansicht Reykjavíks zur damaligen Zeit hätte besser gepasst.

Überhaupt wäre in Bezug auf die Handlungsorte eine Karte von Island mit Ortangaben zu Beginn der Geschichte ganz praktisch gewesen, denn allein schon deren Namen sind für Nicht-Isländer schwierig zu lesen, vor allem schwierig zu merken und eine geographische Einordnung nahezu unmöglich. Auch der deutsche Titel ist mal wieder wenig aussagekräftig, was den Inhalt des Krimis betrifft. Im Original lautet er „Petsamo“, was zugegebenermaßen nicht Jedem unbedingt ein Begriff ist, aber doch zumindest in direktem Zusammenhang mit der Geschichte steht, denn hier liegt die Wurzel allen Übels.

Petsamo und die Esja

1940 erlaubten die Nazis einigen Isländern, aus allen skandinavischen Ländern nach Island zurückzukehren. Zusammengesammelt verließen sie den finnischen Hafen Petsamo auf der Esja und brachten sich so in Sicherheit. Dieses historische Ereignis hat der Autor aufgegriffen und bindet es sehr emotional verpackt in die Geschichte ein, die somit zum einen 1940, zum anderen 1943 spielt. Entweder ist der Leser in isländischer Geschichte bewandert, oder er hat den Klappentext gelesen, ansonsten wird ein Auseinanderhalten dieser zwei Zeitebenen schwierig, denn Indridason hat auf eine zeitliche Kennzeichnung der einzelnen Kapitel verzichtet.

Drei Fälle mit einem unspektakulären Schluss

Eine Zeitangabe als Kapitelüberschrift ist zwar nicht zwingend notwendig, hätte aber die Orientierung erleichtert und dazu die Spannung erhöht. Denn, schnell ist klar, dass die Personen und Vorkommnisse auf der Esja eine zentrale Rolle spielen und, dass der Ertrunkene, der Ermordete und die Verschwundene drei Jahre später im Zusammenhang damit stehen.

Hier wird nicht ein Knäuel aufgewickelt, dessen Ende zum Täter führt. Hier werden die Taten miteinander verwoben, die nach langwierigen Ermittlungen zu einem doch eher langweiligem und vorhersehbaren Schluss führen. Dem Leser wird schnell klar, wie der Hase läuft. So erschließt sich die Spannung nicht so sehr aus den Ermittlungen, sondern aus der Frage, wie lange es noch dauert, bis Thorson und Flóvent auch dahinter kommen.

Fazit:

„Graue Nächte“ ist kein Buch für Leser, die es prickelnd aufregend haben wollen. Hier köchelt die Spannung eher auf Sparflamme. Deutlich wird, dass Liebe in allen möglichen Varianten und auch die kriegsbedingten Umstände eine große Rolle spielen. Trotzdem fesselt die Geschichte, denn Island unter der Besetzung, das Leben zu dieser Zeit, und auch die daraus entstandenen Probleme allein sind schon interessant. Dass dann auch noch Ermittlungen zu drei Fällen von Nöten sind, die nur in dieser Zeit so möglich waren, macht das Ganze zu einem lesenswerten Krimi.

Graue Nächte

Arnaldur Indriðason, Lübbe

Graue Nächte

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