Ein gefährlicher Gegner

  • Atlantik
  • Erschienen: Januar 1932
  • 18
  • London; New York: John Lane, 1922, Titel: 'The secret adversary', Seiten: 312, Originalsprache
  • Leipzig: Goldmann, 1932, Titel: 'Die Abenteuer-G.m.b.H.', Seiten: 240, Übersetzt: Irene Kafka
  • Leipzig: Goldmann, 1938, Titel: 'Die Abenteuer-G.m.b.H.', Seiten: 193, Übersetzt: Friedrich Pütsch
  • München: Desch, 1967, Seiten: 223, Übersetzt: Werner von Grünau
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1976, Seiten: 187, Übersetzt: Werner von Grünau
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1981, Seiten: 187, Übersetzt: Werner von Grünau
  • Genf: Edito-Service, 1983, Seiten: 253, Übersetzt: Werner von Grünau
  • Bern; München; Wien: Scherz, 2002, Seiten: 222, Übersetzt: Werner von Grünau
  • Marburg: Verl. und Studio für Hörbuchproduktionen, 2008, Seiten: 6, Übersetzt: Manfred Fenner, Bemerkung: ungekürzt
  • München: Der Hörverlag, 2009, Seiten: 3, Übersetzt: Johannes Steck, Bemerkung: gekürzt; aus dem Englischen von Sven Koch
  • Hamburg : Atlantik Verlag 2017. Übersetzt von Giovanni u. Ditte Bandini. ISBN-13: 978-3-455-65135-5. 348 S.
  • Hamburg : Atlantik Verlag 2017. Übersetzt von Giovanni u. Ditte Bandini. ISBN-13: 978-3-455-17123-5. 1104 KB (eBook)
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Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2019

Tommy & Tuppence: Verbrecherjäger in Ausbildung

Der „Große Krieg“ ist seit 1918 endlich vorbei, doch in der englischen Heimat geht es weiterhin unruhig zu. Plötzlich wieder zu Zivilisten geworden, suchen junge Männer und Frauen einen Job. Darauf ist die Wirtschaft nicht eingestellt, weshalb es keine Arbeit gibt.

Zu denen, die seit Monaten vergeblich Klinken putzen, gehören die Jugendfreunde (Lieutenant) Thomas „Tommy“ Beresford und Prudence „Tuppence“ Cowley, die sich in London zufällig wiederbegegnen. In ihrer Finanznot beschließen sie, diese ungewöhnliche Zeitungsannonce aufzugeben: „Zwei junge Abenteurer zu mieten. Zu allem und überall einsatzbereit. Honorar muss stimmen. Kein unvernünftiges Angebot wird abgelehnt.“

Tatsächlich meldet sich ein „Mr. Whittington“, der Tuppence anheuern will, um sie nach Frankreich zu schicken. Was genau sie dort tun soll, erfährt die junge Frau nicht, denn da sie allzu neugierig ist, weckt sie den Argwohn dieses offensichtlich kriminellen Herrn, der sich ihrer durch einen Trick entledigt. Das lässt Tuppence sich nicht gefallen. Rückendeckung erfährt sie durch ein hochrangiges Mitglied des Geheimdienstes, das sich der „Abenteurer“ bedienen will, um ein für die Regierung peinliches Dokument zu beschaffen, hinter dem genau diejenigen Gauner her sind, die sie und Tommy schon kennengelernt haben.

Unterstützt vom US-Millionär Julius P. Hersheimmer, der nach seiner verschollenen Cousine sucht, setzen sich Tommy und Tuppence auf die Fährte der Strolche, die sich als gemeingefährliche Gruppe von Umstürzlern und Mördern entpuppt, denen der ebenso geniale wie unsichtbare „Mr. Brown“ vorsteht. Er duldet keine Schnüffler, weshalb Tommy, Tuppence und Julius immer wieder in Lebensgefahr geraten …

Krimi-Meisterfrau in den Startlöchern

1922 war Agatha Christie 32 Jahre ‚alt‘ und stand am Beginn ihrer legendären Karriere als Autorin genreprägender Kriminalromane. Zwei Jahre zuvor war ihr erstes Werk erschienen, das die lesende Welt gut aufgenommen hatte. War „The Mysterious Affair at Styles“ (dt. „Das fehlende Glied in der Kette“) noch ein Rätselkrimi gewesen, der den „armchair detective“ Hercule Poirot vorgestellt hatte, schwebte Christie nun eine deutlich ‚actionreichere‘ Story vor.

Eines ihrer Vorbilder dürfte der Roman „The Thirty-Nine Steps“ (dt. „Die neununddreißig Stufen“) gewesen sein. John Buchan hatte 1915 den Krimi mit dem Spionage-Thriller kombiniert und damit sehr erfolgreich ein neues Subgenre (mit-) erschaffen. Christie schwebte allerdings ein deutlich ‚leichteres‘, der Geheimdienst-Realität nur vorgeblich verpflichtetes Garn vor.

„Ein gefährlicher Gegner“ dokumentiert darüber hinaus eine interessante Umbruchphase. Den Ersten Weltkrieg hatte Großbritannien zwar gewonnen. Doch die Welt war nach 1918 in Aufruhr geraten. Viele europäische Königshäuser hatten ihre Macht verloren. Nach vier Jahren der Entbehrung auch an der Heimatfront verlangten die unteren Schichten mehr Rechte. Eine seit Jahrhunderten stabile Ordnung geriet ins Gleiten und löste sich zusehends auf.

Helden einer neuen Ära

Tommy und Tuppence (= „Twopence“, eine alte englische Münze, aber als „to not matter twopence“ = „sich den Teufel um irgendetwas scheren“ auch eine den Charakter unserer Heldin umschreibende Redewendung) sind ideale bzw. idealisierte Repräsentanten dieses Umbruchs. Sie stammen aus ‚kleinen Verhältnissen‘, die sie kriegsbedingt hinter sich lassen können: Das hierarchische System hält sich zwar, ist aber durchlässiger geworden. Der Krieg ist zwar keineswegs der sprichwörtliche „Vater aller Dinge“, doch er sorgt für Bewegung. Tommy und Tuppence werden aus dem Kriegsdienst in eine Welt geworfen, die einerseits aus dem Gleichgewicht geraten ist, aber andererseits neue Möglichkeiten bietet.

Vor allem Tuppence begreift und begrüßt die Veränderung. Als Tochter eines finanziell nicht auf Rosen gebetteten Geistlichen stand vor dem Krieg ihre ‚Zukunft‘ fest: Sie hätte entweder geheiratet oder wäre als (unbezahlte und unvermählte) Haushälterin im Elternhaus geblieben. Doch der „Große Krieg“ hat auch die Frauen gefordert. Weil die Männer an der Front kämpfen mussten, wurden sie benötigt, um die „Heimatfront“ zu halten. Tuppence gehörte sogar zu den Frauen, die es bis an die Kampflinie schafften, wo sie als Krankenschwester diente. Dabei erfuhr sie eine Freiheit, die sie keineswegs wieder aufgeben will.

Schon äußerlich zeigt sie dies der Welt, indem sie bequeme Kleidung trägt und sich eine Kurzhaarfrisur schneiden lässt. Tuppence will weiterhin selbstständig bleiben und fürchtet sich vor der Rückkehr in ein ‚Heim‘, das ihr fern der Großstadt London entsprechende Anwandlungen rasch austreiben würde. Deshalb ist Tuppence die treibende Kraft hinter den „Jungen Abenteurern“.

Das „Große Spiel“ als Abenteuer

Tommy ist eine ideale Ergänzung; kein Wunder, denn Christie hat ihn als solche maßgeschneidert. Während Tuppence durch Einfallsreichtum (sowie ‚typisch weibliche‘ Sprunghaftigkeit) auffällt, ist Tommy der zwar langsam denkende, aber systematisch vorgehende Part des Duos. Geschickt unterläuft Christie auf diese Weise die Erwartungen einer mehrheitlich weiterhin konservativen Leserschaft, wenn sie eine Frauenfigur präsentiert, die eindeutig ‚stärker‘ als der Mann ist. In ihrem Überschwang unterlaufen Tuppence Fehler, die der geduldige Tommy ausbügeln muss. Nichtsdestotrotz ist Tuppence die Hauptfigur.

Die Welt der Geheimdienste nutzt Christie eher als Spielfeld. Schon im 19. Jahrhundert (und damals im Zusammenhang mit dem Kolonialkonflikt zwischen Großbritannien und Russland in Zentralasien) galt die Spionage als „Großes Spiel“. Die Realität sah definitiv prosaischer (und tödlicher) aus, doch sie abzubilden ist nicht Christies Ziel, obwohl sie zeitgenössisch aktuelle Entwicklungen ins Geschehen einfließen lässt. So stützt sie sich auf das belegte Wirken von „Anarchisten“, die im Auftrag russischer „Kommunisten“ europaweit die Arbeiterschaften zur Revolution aufwiegeln wollen. Doch Christies ‚Revolutionäre‘ sind Klischee-Schurken, die sich schon durch ihr Äußeres als scheinheilige Schlangen erweisen. Ihr Ränkespiel ist eher dramatisch als zielorientiert, was vor allem Tommy in eine stark an Edgar Wallace erinnernde ‚Unterwelt‘ führt, die plumpverschwörerisch in verkommenen Ruinenhäusern munkelt.

Ohnehin steht über dem Ganzen ein Super-Schurke à la Dr. Mabuse, dessen erstes Abenteuer - welcher ‚Zufall‘! - 1921 von Autor Norbert Jacques veröffentlicht wurde. „Mr. Brown“ ist ein Superhirn und Meister der Maske. Wie ein Fisch im Wasser bewegt er sich gleichermaßen auf politischem und sozialem Parkett und durch die trüben Untiefen der Unterwelt. Mr. Brown sieht alles und ist seinen Gegnern stets einen Schritt voraus, muss aber letztlich vor dem Elan (aber nicht dem Geschick) des Duos Tommy und Tuppence kapitulieren.

Schon die zeitgenössische Kritik merkte an, dass sich Christie bei erfolgreichen Kolleg/inn/en bediente, lobte aber die rasante Story und die interessanten Figuren. Heute blendet man den Gedanken an ‚historischen Realismus‘ besser gänzlich aus. Zu naiv und oft geradezu albern - Humor altert - wirkt dieses Garn, das freilich eine ‚andere‘, noch nicht in ihrem Rang als „grande dame“ des Kriminalromans erstarrte Agatha  Christie zeigt.

„Ein gefährlicher Gegner“ - Kino und Fernsehen

Der Roman wurde bereits 1929 verfilmt - interessanterweise in Deutschland und unter der Regie von Fred Sauer. „Die Abenteurer G.m.b.H.“ war noch ein Stummfilm, weshalb der Import ins Ausland keine Probleme bereitete, da nur die Zwischentitel übersetzt werden mussten. Aus unerfindlichen Gründen wurden die Namen der meisten Protagonisten geändert; so hießen Tommy und Tuppence nun „Pierre“ bzw. „Lucienne“. In Großbritannien und den USA trug der Film den Titel „Adventures Inc.“ Er galt lange als verloren, wurde wiederentdeckt und 2001 im Rahmen der Reihe „A Tribute to the Work of Agatha Christie“ im National Film Theatre, London, aufgeführt.

1983 wurde der Roman für die Serie „Agatha Christie‘s Partners in Crime“ neu und für das Fernsehen verfilmt. 2014 griff die BBC den Stoff für einen Dreiteiler auf. Die Geschichte spielte nun im Jahre 1952 und ließ Tommy und Tuppence deutlich gealtert auftreten.

Ein gefährlicher Gegner

Agatha Christie, Atlantik

Ein gefährlicher Gegner

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