Fata Morgana

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 1958
  • 18
  • New York: Dodd, Mead & Company, 1952, Titel: 'Murder with mirrors', Seiten: 182, Originalsprache
  • Bern; Stuttgart; Wien: Scherz, 1958, Seiten: 190, Übersetzt: Karl Hellwig
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1978, Seiten: 173, Übersetzt: Karl Hellwig
  • Genf: Edito-Service, 1982, Seiten: 181
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1991, Seiten: 193, Übersetzt: Karl Hellwig
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1995, Seiten: 193, Übersetzt: Karl Hellwig
  • Bern; München; Wien: Scherz, 2000, Seiten: 222, Übersetzt: Rudolf Hermstein
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2004, Seiten: 222, Übersetzt: Rudolf Hermstein
  • München: Der Hörverlag, 2003, Seiten: 3, Übersetzt: Katja Brügger, Bemerkung: gekürzte Fassung von Michelene Wandor; aus dem Englischen von Susanna Daum
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2009, Seiten: 222, Übersetzt: Rudolf Hermstein
  • München: Der Hörverlag, 2006, Seiten: 3, Übersetzt: Katja Brügger, Bemerkung: gekürzte Fassung von Michelene Wandor; aus dem Englischen von Susanna Daum
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2012, Seiten: 304, Übersetzt: Rudolf Hermstein
  • Hamburg: Atlantik, 2015, Seiten: 207, Übersetzt: Rudolf Hermstein
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Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Trügerische Verwandtschaften und ebensolche Todesschüsse

Carrie Louise Serrocold war schon immer ein wenig zu gut für diese Welt. Zart und unter Ignorierung der hässlichen Aspekte des Lebens hat sie zwei Gatten zu Grabe getragen, ist steinreich geworden, hat ein drittes Mal geheiratet. Nun schart sie diverse (Stief-) Kinder und Freunde um sich - in Stonygates, einem einst feudalen Landgut, das Lewis Serrocold - Gatte Nr. 3 - zu einer "Ausbildungsstätte für jugendliche Kriminelle" um- und ausgebaut hat. 200 entsprechend auffällig gewordene Delinquenten werden von Ärzten und Psychologen betreut und hoffentlich "geheilt" in ein straffreies Leben entlassen.

Das ist kein Umfeld für Luise Carrie, meint ihre Schwester Ruth. Sie kann zwar nur ein ungutes Gefühl als Ursache geltend machen, hat aber zufällig eine alte Freundin, die sich gern und erfolgreich als Privatermittlerin betätigt: Miss Jane Marple erklärt sich bereit, Carrie Louise, die sie ebenfalls kennt, aber seit Jahren nicht mehr gesehen hat, einen Besuch auf Stonygates abzustatten.

Vor Ort gerät Miss Marple in einen Ameisenhaufen. Lewis Serrocold ist ein Idealist, der nur für seine Arbeit lebt. Carrie Louise unterstützt ihn - vor allem finanziell, was die übrigen Familienmitglieder nicht erfreut. Vor allem Mildred, Carrie Louises einziges leibliches Kind, würde der "Ausbildungsstätte" gern ein Ende bereiten. Zumindest in diesem Punkt ist sie sich einig mit ihrer (ansonsten verhassten) Stief-Enkelin Gina und den Brüdern Alexis und Stephen Restarick, die Carrie Louise von Ehemann Nr. 2 "geerbt" hat und gutmütig unterstützt.

Christian Gulbrandsen, ein Sohn des ersten Gatten, ist kaum in Stonygates eingetroffen, als ihn jemand umbringt. Jemand wollte ihm den Mund stopfen - und Miss Marple muss herausfinden, warum es geschah, um weitere Morde zu verhindern...

Wie kann ich meine Leser schon wieder überraschen?

Niemand schreibt 43 Bücher ohne Verschleißerscheinungen. Das gilt erst recht, wenn es Kriminalromane sind und die Autorin für überraschende Aufklärungseffekte in einem großen Finale bekannt wurde. Auch Agatha Christie blieb nicht von diesem Schicksal verschont.

Über drei Jahrzehnte war sie bereits als Schriftstellerin aktiv und zudem ungemein fleißig, als sie "Fata Morgana" schrieb. Entstanden ist kein "schlechter" Krimi. Zumindest handwerklich war Christie auf der Höhe ihrer Fähigkeiten und weit entfernt von ihrem Spätwerk, das deutliche Zeichen auch geistiger Ermüdung zeigte. Routine kann in der Unterhaltungsliteratur auch eine schwächere Story ins bereits erwähnte Finale tragen, ohne das Publikum zu enttäuschen oder gar zu verärgern. Nichtsdestotrotz fiel bereits der zeitgenössischen Kritik auf, dass "Fata Morgana" in Plot und Umsetzung ein wenig fadenscheinig war.

Zwar in keiner Weise originell, aber im Genre Rätselkrimi ein legitimer Dauerbrenner: der Schauplatz. Stonygates ist der typische, d. h. abgelegene Ort, den man unbemerkt weder betreten noch verlassen kann. Die Schar der Verdächtigen ist deshalb identisch mit jenen Männern und Frauen, die sich zum Zeitpunkt des jeweiligen Verbrechens im Haus oder auf dem Gelände von Stonygates aufhalten. Zwar scheint Christie das Feld der Verdächtigen beträchtlich zu erweitern, indem sie 200 (!) jugendliche Kriminelle gleich um die Ecke ansiedelt. Die Besserungsanstalt spielt allerdings für das Geschehen keine echte Rolle - und das wird sehr deutlich: ein Fehler, der Christie früher wohl nicht unterlaufen wäre.

Kein Schurke übertrifft die eigene Familie

Bevölkert wird Stonygates von einer ebenso skurrilen wie den Leser verwirrenden Familie mit überaus komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen, die darüber hinaus oft nur "ehrenhalber" bestehen. Die Figurenzeichnungen sind weniger prägnant als grob und flüchtig. Christie stützt sich auf Klischees, denen sie nicht so geschickt wie sonst Leben einhauchen kann. So ärgert die Charakterisierung der jungen Gina, die in Italien geboren wurde, weshalb ihr die Autorin die schwere Last ranzig gewordener Vorurteile aufbürdet: Gina ist "dunkelhäutig", aber hübsch, dabei jedoch typisch südländisch = emotional stets unter Volldampf, verspielt, "grausam" - Gina mag keine Menschen, die krank und hässlich sind - und zwar verheiratet, ohne sich anscheinend an ihr Ehegelübde zu halten, weil sie sie feurigen Triebe nicht kontrollieren mag oder kann.

Obwohl Christie sich große Mühe gibt, bleibt Carrie Louise weniger ein Rätsel als ein Vakuum. Miss Marple sieht sie als Frau, die das Böse aus ihrem Leben auszublenden versteht, während sie auf ihre durch Geburt und Vermögen nicht erworbenen, sondern ererbten Privilegien keinen Wert legt. Ausgerechnet die folgenden und damit "modernen" Generationen sind damit nicht einverstanden. Tochter Mildred - unscheinbar und eifersüchtig - hasst es, das Familiengeld für die "Heilung" nach ihrer Ansicht unverbesserlicher Strolche ausgegeben zu sehen, Alexis und Stephen sind Schnorrer. Der Idealist Lewis Serrocold schwebt in kaum nachvollziehbaren Sphären, sodass in Stonygates faktisch Juliet "Jolly" Bellever, die Hausdame, Sekretärin und Mädchen für alles, das Heft an sich gerissen und das Sagen hat.

Eigentlich wirkt diese Figurenschar - die durch das psychisch wankelmütige Faktotum Edgar Lawson "ergänzt" wird - viel zu schräg und schrullig, um einen perfekten Mord auszubrüten; ein Vorbehalt, den Christie nie wirklich zerstreuen kann. Dazu passt eine melodramatische Coda, in der wieder einmal der Schicksal eingreift, um einem nicht wirklich "bösen" Schurken den schmählichen Tod am Galgen zu ersparen.

Der Tatort als Theaterkulisse

Zwar ermittelt offiziell die Polizei in Gestalt des (als Figur nicht erinnerungswürdigen) Inspektors Curry, doch der tritt von selbst in die zweite Reihe zurück, als er erfährt, wer die weißhaarige Miss Marple ist, die in Stonygates logiert. Diese ist selbst eher durch den Willen der Autorin als mit einem logischen Grund dorthin gelangt, was die Leser Christie aber verzeihen, denn als Miss Marple vor Ort ist, macht sie, was ihr Publikum verlangt, und ermittelt, indem sie Erfahrung und Menschenverstand statt kriminalistischer Techniken zum Einsatz bringt.

Der Rückgriff auf einschlägige Skandale und Tragödien, die sie in St. Mary Mead, ihrem Heimatdorf, beobachtet und miterlebt hat, ist ein unentbehrliches Element jedes Marple-Krimis. Sie wirkt passiv und kultiviert ihren Auftritt als alte, kleine, gebrechliche Dame, weshalb sie vom Rand der Ereignisse den Überblick behalten kann. Tatsächlich ist Miss Marple kühl und durchaus selbstgefällig; es belastet sie nicht, dass überführte Täter im Gefängnis landen oder gar gehenkt werden.

Nichtsdestotrotz sammelt auch Miss Marple Indizien. Dieses Mal ist es sogar der Geistesblitz eines (fälschlich) Verdächtigen, der sie auf die richtige Fährte bringt. Während "Fata Morgana" als Titel keinen Sinn ergibt, deutet Christie mit (dem zugegeben schwierig oder überhaupt nicht sinngerecht zu übersetzenden) Titel "They Do It with Mirrors" erstaunlich deutlich an, wie die in einem "locked room" begangene Tat auf völlig unerwartete Weise begangen werden konnte. "Sie machen es mit Spiegeln" ist ein Spruch aus der Theaterwelt. Auf der Bühne kommen Spiegeltricks zum Einsatz, die das Publikum als solche nicht erkennt und für die Realität hält. Christie verwandelt Stonygates in eine Bühne. Im genreüblichen Finale erläutert Miss Marple, wie das funktioniert hat. Im optimalen Fall sind die Leser ebenso überrascht wie das andächtig lauschende Publikum. Christie hält die Fäden auch in "Fata Morgana" fest in der Schreibhand. Trotzdem wirkt die Auflösung einerseits überkompliziert und andererseits banal - eine gewisse Enttäuschung, die Christie mit "A Pocketful of Rye" (dt. "Das Geheimnis der Goldmine"), dem sechsten Miss-Marple-Roman, bereits 1953 wettmachen konnte.

"Fata Morgana" im Fernsehen

Erstmals wurde Fata Morgana 1985 als "Murder with Mirrors" (dt. "Mord mit doppeltem Boden") für das US-Fernsehen verfilmt. Helen Hayes spielte - in ihrer letzten Rolle überhaupt - Miss Marple. Hollywood-Veteranin Bette Davis trat als Carrie Louise auf.

Zwischen 1984 und 1992 setzte die BBC alle zwölf Romane mit Miss Marple um. Joan Hickson übernahm die Titelrolle. In der vierten Staffel der TV-Serie "Agatha Christie's Miss Marple" (2004-2013) wurde "Fata Morgana" 2010 abermals in Szene gesetzt; Miss Marple spielte nun Julia McKenzie.

Fata Morgana

Agatha Christie, Scherz

Fata Morgana

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