Höllenjazz in New Orleans

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2018
  • 8
  • London: Pan, 2012, Titel: 'The Axeman's jazz', Originalsprache
  • München: Piper, 2018, Seiten: 510, Übersetzt: Elvira Willems
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Jochen König
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2018

Dreht Euch nicht um, der Axtmann geht herum

"The Axeman's Jazz" ist nicht nur das 1984er-Album der Band BEASTS OF BOURBON, sondern auch der erste Roman aus Ray Celestins "City Blues Quartet". Auf Deutsch ziemlich reißerisch als "Höllenjazz in New Orleans" betitelt, wodurch leider der Bezug zum "Axeman" verloren geht, um den sich weite Teile der Handlung drehen. Der Axeman ist so etwas wie der Jack The Ripper von New Orleans. Nicht, was seine Mordopfer angeht, zunächst italienischstämmige Kaufleute, die er in ihren Privathaushalten niedermetzelte, sondern aufgrund der Legendenbildung, die dank seiner Korrespondenz mit den Zeitungen der Stadt und dem Umstand, dass er offiziell nie entlarvt und festgenommen wurde. Ein sehr realer Mythos, dessen sich die Popkultur gleich bemächtigte und ganz eigene Spielchen damit inszenierte. Bis hin zum dritten Teil des American Horror Story-Franchises "Coven", in dem der Axeman im Anschluss an seine blutigen Taten ein unrühmliches und blutiges Ende durch die messerschwingenden Angehörigen eines Hexenzirkels findet.

Der Axeman - zwischen Realität und Fiktion

In der Realität wurden dem Axeman zwei Mordserien zugeschrieben, eine im Jahr 1911, die andere zwischen 1918 und 1919. Wobei die Morde von 1911 nur aufgrund von Indizien dem Axtkiller zugeschrieben wurden, handfeste Beweise oder gar Bekennerschreiben wie 1919 gab es nicht, geschweige denn eine Erklärung für die mordfreie Zeit von acht Jahren.
Der Brief des Axemans an die "Times-Picayne" hält auch Einzug in den Roman. Im Prolog und ein weiteres Mal inmitten des Textes. Legendär jene Passage, in der der Axeman die nächsten Morde ankündigt, "Dienstagnacht um 0:15 Uhr (irdische Zeit)", aber verspricht jeden zu verschonen "in dessen Haus zum oben genannten Zeitpunkt eine Jazzband spielt" , da er "ein großer Liebhaber der Jazzmusik" sei. Als Werbemaßnahme ein Volltreffer, kaum ein Musiker blieb ohne Engagement in jener Nacht. "Coven" treibt das Geschehen auf eine sarkastische Spitze, indem der Axeman von seinen Mörderinnen in ihr Heim gelockt wird, weil sie Klassik spielen. Auf einem Grammophon.

Jazz kann Leben retten

"Höllenjazz in New Orleans" beginnt mit dem Journalisten John Riley, der den Brief des Axeman öffnet und so mitten hinein ins Geschehen gezogen wird. Doch der Reporter bleibt eine (wichtige) Nebenfigur, die Haupterzählstränge gehören dem Polizisten Michael Talbot, der auf den Axeman-Fall angesetzt ist, dem ehemaligen Cop Luca D'Andrea, der zu Beginn der Handlung gerade aus dem berüchtigten Angola-Gefängnis entlassen wird und der jungen Ida Davis, die meist als Bürokraft mit Zusatzaufgaben für die Pinkerton-Detektei arbeitet, aber gerne vollwertige Privatdetektivin werden möchte. Weshalb sie auf eigene Faust nach dem Axtmörder fahndet, immer ihren Jugendfreund Lewis im Schlepptau. Bei dem es sich um niemand anderen als den wenig später weltberühmten Jazz-Trompeter Lewis "Louis" Armstrong handelt.

Cops, Pinkerton und die Schwarze Hand

Alle drei ermitteln mit verschiedenen Ansätzen und aus, ihren Lebensumständen entsprechenden, unterschiedlichen Perspektiven. Dabei kommen sie allesamt dem Axeman beziehungsweise seinen Unterstützern gefährlich nahe. Dass der Axeman nicht bloß ein durchgeknallter Einzeltäter ist, zeigt sich daran, dass das Trio diverse Schuldige ermittelt, doch Ida und Michael sich vorerst nicht einmal begegnen werden. Luca D'Andrea ist im Auftrag des Mafiosi "Don" Carlo Matranga unterwegs, der seine Geschäfte und sein Klientel durch den Axeman bedroht sieht. Mit Michael Talbot verbindet ihn eine gemeinsame Vergangenheit, war der jüngere Polizist so etwas wie der Protegé des damals schon in den Diensten der Mafia stehenden Luca.

Bis Michael maßgeblich dazu beitrug, dass der korrupte Cop von zweifelhaftem Ruf und hohem Ansehen im Gefängnis landete. Für fünf Jahre, die aus dem agilen Mann einen gebrochenen machen, der sich nach seiner Heimat Sizilien sehnt. Schmerzlich wird ihm bewusst gemacht, dass der Auftrag, den Axeman zu überführen, die einzige Möglichkeit darstellt, ein Ticket raus aus New Orleans zu bekommen. Auf welche Art auch immer.

Multipler Showdown während eines apokalyptischen Unwetters

"Höllenjazz in New Orleans" beginnt mit einer Beerdigungszeremonie und endet mit einem multiplen Showdown während eines apokalyptischen Unwetters. Trademarks, die anscheinend unvermeidlich zum künstlerischen Umgang mit New Orleans gehören. Ray Celestin baut dies aber äußerst geschickt in seine gelungene Mixtur aus geschichtlicher Aufarbeitung und Fiktion ein. So benutzt er den Beerdigungszug, um den jungen und sehr begabten Kornettisten Lewis Armstrong einzuführen, während das Gewitter zum Finale die Fragilität des Gesamtkonstrukts New Orleans betont. Einer Stadt, in der die Musik lebt, das Leben so intensiv pulsiert, dass es mitunter schmerzt. Die aber gleichzeitig durchdrungen ist von Korruption und Rassismus, in der die Machtansprüche des Mafia-Ablegers "Black Hand" bis ins Rathaus und darüber hinaus reichen. Der Gewittersturm sorgt für Reinigung wie für ein unter den Teppich kehren unliebsamer Verstrickungen und verweist natürlich schmerzhaft auf die Zerstörung, die Jahrzehnte später der Hurrikan Katrina anrichten wird.

New Orleans - zwischen Musik, Liebe, Laster, Rassismus und Tod

Dazwischen lässt sich der Autor viel Zeit, flaniert durch das New Orleans des Jahres 1919, sorgt für eine atmosphärische Darstellung des Stadtlebens und flechtet Tagespolitik ins Geschehen ein. Die Vereinigten Staaten stehen kurz vor der landesweiten Verabschiedung des Prohibitionsgesetzes - das mit ziemlicher Sicherheit eine Rolle im zweiten Band des Quartetts spielen wird -, in der Stadt selbst findet eine frühe Art der Gentrifizierung statt und mehr oder weniger unterschwelliger Rassismus tritt unverhohlen zutage. Gerade letzteres nimmt viel Raum ein und ergänzt den Roman um eine weitere Ebene. Insbesondere durch Michael Talbot, der heimlich mit einer schwarzen Frau verheiratet ist und zwei Kinder mit ihr hat, was ihn Job und Reputation kosten könnte, wenn es publik wird.

In der ersten Hälfte hätte sich Celestin beim Erzeugen von gekonnt gestaltetem aber etwas selbstverliebtem Lokalkolorit, kürzer fassen können. Ira, Lewis, Michael und Luca tänzeln um die Mordfälle herum, als wären sie geradezu bestrebt, keine allzu eiligen Fortschritte zu machen.

Geglückter Auftakt eines vielversprechenden Quartetts

Nach etwa zweihundert Seiten nimmt aber auch der kriminalistische Part an Fahrt auf, Celestin wechselt äußerst elegant und erstaunlich bündig zwischen den Erzählsträngen hin und her, ohne dass es je aufgesetzt oder wie erzwungene Spannungsmache wirkt. Findet so nicht nur zu einem, sondern gar drei furiosen Schlussakkorden, die jeder für sich stimmig sind. Und hat noch Platz für einen pointierten Epilog.

"Höllenjazz in New Orleans" ist ein erfreulicher Kriminalroman in historischem Gewand, der es mit seiner Themenvielfalt etwas zu gut meint. Doch werden wir einen Teufel tun, überbordende Ambition abzustrafen. Wir legen uns doch nicht mit dem Axeman an.

Höllenjazz in New Orleans

Ray Celestin, Piper

Höllenjazz in New Orleans

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