Küss mich, Tod

  • Amsel
  • Erschienen: Januar 1953
  • 3
  • New York: Dutton, 1952, Titel: 'Kiss Me, Deadly', Seiten: 251, Originalsprache
  • Berlin: Amsel, 1953, Titel: 'Die verlorenen Schlüssel', Seiten: 248, Übersetzt: Dietrich Bogulinski
  • München: Heyne, 1966, Titel: 'Rhapsodie in Blei', Seiten: 156, Übersetzt: Werner Gronwald
  • München: Heyne, 1980, Titel: 'Rhapsodie in Blei', Seiten: 156, Übersetzt: Werner Gronwald
  • München: Heyne, 1990, Titel: 'Rhapsodie in Blei', Seiten: 254, Übersetzt: Walter Ahlers
  • Hamburg: Rotbuch, 1999, Seiten: 262, Übersetzt: Lisa Kuppler
Küss mich, Tod
Küss mich, Tod
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

vorsätzlich politisch unkorrekt, tückisch verderbt und höllisch unterhaltsam

Nachts auf einsamer Landstraße springt dem Privatdetektiv Mike Hammer, unterwegs zurück nach New York, eine schöne Frau vor den Wagen. Berga Torn trägt nichts als einen Trenchcoat, ist gerade aus einer Irrenanstalt entsprungen und wird von der Mafia verfolgt. Davon ahnt Hammer noch nichts, als er sich ritterlich der Dame annimmt. Leider sind Bergas Häscher schlauer als er; sie stellen ihm eine Falle und schlagen ihn zusammen. Hilflos muss Hammer beobachten, wie die Männer seine Anhalterin beim missglückten Versuch eines Verhörs zu Tode foltern. Mit der Leiche setzen sie ihn in den Wagen und stürzen ihn in einen Abgrund.

Nur knapp kommt Hammer mit dem Leben davon. Sein Ärger geht erst richtig los. Noch im Krankenhaus verhört ihn die Polizei in Gestalt seines alten Freundes Pat Chambers von der Mordkommission. Wesentlich härter nimmt ihn allerdings das FBI in die Mangel. Berga Torn war ein wichtige Kronzeugin, die vor dem Kongress gegen den Mafiaboss Carl Evello aussagen sollte. Als dessen ehemalige Geliebte hatte sie einiges gesehen, über das sie besser hätte schweigen sollen. Evello ist ein mächtiger Mann, der von korrupten Politikern und womöglich den Behörden gedeckt wird: ein Gegner, mit dem man sich besser nicht anlegt, wie Freund Chambers und Velda, Hammers tüchtige und allzeit willige Sekretärin, den angeschlagenen Detektiv inständig warnen.

Aber in Mike Hammers Kopf setzt seit jeher etwas aus, wenn er dem Bösen zu begegnen meint (was etwa dreimal in der Stunde vorkommt). Berga Torn hatte sich ihm anvertraut und wurde trotzdem ermordet. Das fasst er als persönlichen Affront auf. Die Mafia hasst er zudem sogar noch mehr als normale Gangster, feiste Geldsäcke, verlogene Politiker, Schwule, emanzipierte Frauen, Falschparker, Rothaarige ... Kommt Mr. Hammer erst einmal in Fahrt, spaltet er Schädel und lässt Zähne & Kugeln fliegen. Sein blindwütiger Einmann-Feldzug trägt ihn dieses Mal mitten in die Reihen des organisierten Verbrechens. Er provoziert offen Evello und seine Schergen, die er ganz ernsthaft plant mit Stumpf und Stiel auszulöschen. Sollte ihm dabei jemand in die Quere kommen - um so besser, denn ein Mike Hammer im Krieg kennt kein Pardon, keine Gnade; er schlägt und schlachtet und überlässt es Gott oder dem Teufel, anschließend um seine Opfer zu streiten ...

Angesichts der gerade skizzierten Geschehnisse dürfte mancher Leser diese Kapitelüberschrift für einen Euphemismus halten. So zu handeln hieße allerdings über ein tief ausgefahrenes Gleis zu rumpeln, ohne einen eigenen Weg in das psychotische Universum von Mike Hammer & Mickey Spillane, diese beiden Brüder im (Un-)Geiste, zu versuchen.

Sicherlich lassen sich die Hammer-Romane als rotziger, spätpubertärer, krankhafter, spekulativer und für den schnellen Dollar heruntergeschriebener Mist klassifizieren. So hat man es nicht nur hierzulande fast ein halbes Jahrhundert getan. Die hehre Literaturkritik und der gesunde Menschenverstand gingen die übliche verhängnisvolle Zweckehe ein. Das Ergebnis: blindreflexiges Spillane-Beißen bei maximaler Ignorierung des Originals. Aber wieso konnte dieser Autor bisher 200 Millionen Bücher verkaufen und zum höchstauflagigen Kriminalschriftsteller aller Zeiten werden? Sind diese Leser denn alle dumpfbirnige, gewaltgeile Rednecks? Wie kann es dann angehen, dass die "Mystery Writers of America", die Organisation der US-Krimiautoren, Mickey Spillane 1995 für sein Lebenswerk und seine Verdienste um das Genre den "Grand Master" verliehen haben? Sind die US-Amerikaner doch alle so hirnleer wie George Dabbeljuh Bush? Nein, das ist zu simpel - da muss also doch etwas mehr sein!

Dass seit einiger Zeit zum ersten Mal seit langer Zeit, gut übersetzt und ungekürzt die ach so schlimmen Mike Hammer-Romane im Rotbuch Verlag wieder greifbar geworden sind, hat Ihren Rezensenten, der immer dann neugierig wird, wenn man ihm zu seinem Besten etwas verbieten möchte, auf Spillane aufmerksam werden lassen. "Küss mich, Tod" ist zwar nicht die erste (sondern die sechste) Hammer-Geschichte, aber hier gibt es den genialen Film von Robert Aldrich (1954, dt. "Rattennest"), der zusätzlich Interesse an der Originalstory weckt.

Einerseits tritt hier der seltene Fall ein, dass der Film das Buch in Sachen Originalität und Qualität um Längen schlägt. Schwierig war das nicht, denn "Küss mich, Tod" ist in der Tat ein ärmliches, schludriges, auf den grellen Effekt und alle niederen Instinkte ausgerichtetes Stück Kriminalliteratur. Auf der anderen Seite hat dieser Roman ganz eigene, seltsame Qualitäten. Spillanes Räuberpistole entsetzt weniger durch ihre vordergründig-spekulative, rohe Gewalt - die soll ebenso Leser locken wie Tugendbolde schocken -, sondern fesselt mehr durch die schiere Wucht ihrer ungefilterten Bösartigkeit. Hier gibt es vielleicht Erklärungen, aber keine Entschuldigungen für jene, die gegen die Lex Hammer verstoßen. Diese steht höher als jede polizeiliche, juristische oder politische Autorität; sie haben sich gegen GOTT versündigt, und zwar den des Alten Testaments, für den nichts als die Regel "Auge um Auge, Zahn um Zahn" gilt. Im Zeitalter der Ökonomie übernimmt Hammer sogar zusätzlich (und gern) zur Rolle des Richters die des Henkers: "Küss mich, Tod" ist ein delirierender Rachetraum der im Leben zu kurz Gekommenen, Dummen, Dumpfen, denen Mickey Spillane durch Mike Hammer endlich (scheinbar) eine Stimme gibt.

Dazwischen immer wieder erstaunlich lyrische, fast poetische Stimmungsbilder, die den durchaus fähigen Autoren enttarnen, der zynisch die ihm ergebene Klientel verrät: Spillane hat immer wieder betont, primär für Geld zu schreiben und deshalb alle einschlägigen Klischees zu bedienen. Aber er kann halt nicht ständig verbergen, dass er mehr von seinem Handwerk versteht als ihm die Kritik zugestehen mag.

Die Figuren. Mike Hammer: Vigilant, Psychopath, Frauenhasser, Rassist, Kommunistenfresser, Schläger und Sadist; reaktionär bis in die Knochen, ultra-rechts und faschistoid. Aber Spillanes Welt ist keine für Weichlinge, und nur dieser Mike Hammer hat halt den Mumm, sie vom Abschaum zu reinigen, wie es sich seine Fans nach Feierabend wünschen. Stellvertretend für sie, die der Horror vor einer Welt eint, in der Kriminelle (zu denen naseweise Frauen ebenso gehören wie nicht-weiße Minderheiten, die laxe & Steuergelder veruntreuende Obrigkeit, langhaarige Kriegsdienstverweigerer und sonstige Sündenböcke, die für das eigene Unvermögen und Versagen verantwortlich gemacht werden können) zieht Hammer in die Schlacht. Sein alter Kumpel Pat Chambers würde zwar oft gern mittun, aber er ist bei der Polizei und damit an schnöde Regeln gebunden, über welche die Schurken ohnehin nur lachen. Aber Hammer kriegt sie alle, denn so vertiert, pervers und brutal können sie gar nicht sein, um seinem Zorn zu widerstehen!

Dafür gibt's für den wackeren Streiter viel Blei und Blut, aber das ficht ihn nicht an, sondern macht ihn nur wütender. Geld ist für Hammer nicht so wichtig; er verteidigt lieber die "Gerechtigkeit". Dafür schätzt oder fürchtet man ihn; es ist ihm einerlei. Rückendeckung gibt ihm der treue Pat, für's Herz gibt es immer schöne Frauen, die Supermacho Hammer schmachtend zu Willen sind. Aber Vorsicht: Der liebt irgendwie die feurige Velda, die freudig dreißig oder vierzig Jahre darauf wartet, dass sie ihr Mike endlich zum Traualtar führt, und bis dahin gern den Rock auch in der Öffentlichkeit lüpft, wenn ihr Geliebter es wünscht. Trotzdem ist Hammer kein Kostverächter. Frau sollte aber - sogar wenn hübsch - nicht gegen die Lex Hammer verstoßen, denn sonst endet sie wie jeder x-beliebigen Strolch mit einer Kugel Kaliber .45 im Bauch (Mikes Markenzeichen) - wenn sie Glück hat.

Ansonsten bevölkern nur Opfer, vor allem aber Schwächlinge und Lumpen Hammers Universum. Wie mit ihnen, die ihr Schicksal selbst herausgefordert haben, umzuspringen ist, führt er uns auf knapp 270 Seiten vor. Das ergibt wahrlich keine ausgefeilte Handlung, aber immerhin einen konsequenten Amoklauf, der den Leser wahlweise mit Weltschmerz & Brummschädel oder mit wutleer gekotztem & angenehm beruhigtem Magen zurücklässt.

"Die verlorenen Schlüssel" wurden wie so viele Spillane-Romane von der Bundesprüfstelle auf den Index jugendgefährdender Schriften gesetzt. Spätere Nachauflagen (u. a. im Ullstein-Verlag) wurden in der deutschen Übersetzung "entschärft", um diese geschäftsschädliche Maßnahme zu vermeiden. Die damit einhergehende Bevormundung der nur theoretisch mündigen Leserschaft wurde im Dienst der guten Sache, d. h. der Schaffung eines geistig-moralisch sauberen deutschen Landes (welche seither bekanntlich verdientermaßen gewaltige Fortschritte gemacht hat), gern in Kauf genommen.

Natürlich ist es ein wenig irritierend (aber auch sehr witzig), dass die Werke des Schmuddel-Bestsellerkönigs Spillane heute neu übersetzt, schön betitelt und auf feines Papier gedruckt ausgerechnet im Rotbuch-Verlag erscheinen, der sich sonst eher der Rettung des weltverbesserisch gesellschaftskritischen, plakativ minderheitsbewussten oder wenigstens deutschen Kriminalromans verpflichtet fühlt. Aber die Zeiten sind hart, die druckende Konkurrenz unerbittlich, und so müssen offensichtlich einige Konzessionen gemacht werden. Spillane wird's freuen; er kultiviert seit Jahrzehnten selbstbewusst und provokant zugleich sein Image als Goldesel mit Mundgeruch, der zwar nur durch die Hintertür, aber eben doch in jeden feinen Club der literarischen Welt eingelassen wird: Geld stinkt nicht, Spillane hat es und die breite Anerkennung noch dazu. Womöglich ist das die eine Wahrheit, die seine Kritiker am meisten ärgert.

Küss mich, Tod

Mickey Spillane, Amsel

Küss mich, Tod

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