Die Morde von Pye Hall

  • Insel
  • Erschienen: März 2018
  • 12
  • London: Orion, 2016, Titel: 'Magpie murders', Seiten: 464, Originalsprache
  • Hamburg: Jumbo, 2018, Seiten: 8, Übersetzt: Katja Danowski & Bodo Wolf
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2018

Wenn’s schon einmal mörderisch gut geklappt hat …

Cloverleaf ist ein kleiner und feiner, jedoch wirtschaftlich nicht mehr erfolgreicher Buchverlag, dessen Wohl oder Wehe von einem einzigen Zugpferd abhängt: Alan Conways Kriminalromane um den deutschstämmigen Meisterdetektiv Atticus Pünd sind zwar deutlich an die Rätselkrimis à la Agatha Christie angelehnt, finden aber gerade deshalb ein begeistertes und kopfstarkes Publikum.

So ist Lektorin Susan Ryeland froh, als Conway pünktlich zum Weihnachtsgeschäft das Manuskript zu einem neuen Pünd-Thriller einreicht. Es erzählt vom Mord an einem rücksichtslosen, herrschsüchtigen Gutsherrn und bietet die für das Genre wichtige und vertragsgemäß von Conway gelieferte Mischung aus detektivischer Raffinesse und verdächtigen Machenschaften.

Allerdings fehlen die entscheidenden Schlusskapitel des Manuskripts, in denen Atticus Pünd zum großen Finale lädt, den Fall klärt und der Täter entlarvt. Kurz darauf steht fest, dass Conway es nicht nachreichen wird: Er hat sich auf seinem Landgut von einem Turm gestürzt. Einem Abschiedsbrief kann entnommen werden, dass er unheilbar erkrankt war und langes Leiden vermeiden wollte.

Ryeland will wenigstens die fehlenden Kapitel sichern und reist zum Ort des Geschehens. Doch weder als Datei noch als Ausdruck oder handschriftlich liegen die Seiten vor. Stattdessen stößt Ryeland auf die Spuren eines Mannes, der keineswegs der war, der zu sein er vorgab. Conway hütete hässliche Geheimnisse. Man hasste ihn, weshalb sich Ryeland fragt, ob der Autor vom Turm gefallen ist oder gestoßen wurde …

Literarischer Mord wird gefährlich real

Seit geraumer Zeit konzentriert sich der britische Autor Anthony Horowitz auf die kriminalliterarische Vergangenheit und hier – Herkunft verpflichtet! – auf den angelsächsischen Rätselkrimi, der seine »Goldene Ära« vor dem Zweiten Weltkrieg hatte, ohne jedoch jemals auszusterben. Nach wie vor gibt es ein Publikum, das unter einem Krimi ganz klassisch die spannend zu lesende Auflösung eines Kapitalverbrechens erwartet. Hinzu kommt der Nostalgie-Faktor: Auch (und gerade) im 21. Jahrhundert werden »Whodunits« in eine »gemütlichere« Vergangenheit verlegt, als das Leben (angeblich) weniger kompliziert war und selbst ein Mord als sportliche Herausforderung betrachtet werden konnte.

Während viele Autoren es dabei bewenden lassen, wollen oder können andere nicht ausblenden, dass sich die Zeiten geändert haben. Horowitz fährt jedenfalls zweigleisig. Er legt einerseits einen lupenreinen Als-ob-Rätselkrimi vor, wie er »einst« erschienen sein könnte, bettet ihn jedoch andererseits in eine Rahmenhandlung ein, die in der Gegenwart spielt und als »moderner« Krimi konzipiert ist, der sich nicht nur spielerisch um Mord dreht, sondern die Realität sowie die persönlichen Befindlichkeiten der Figuren einfließen lässt.

Präsentiert wird uns diese Kombination als Vexierspiel: Das zunächst präsentierte Atticus-Pünd-Mysterium sollte deshalb nicht »nur« zum Vergnügen gelesen werden, denn Horowitz spickt es mit Hinweisen auf eine düstere Meta-Ebene. Der fiktive Autor Alan Conway verschlüsselt nicht nur sein Leben, sondern spart auch keineswegs mit boshaften Spitzen gegen seine Mitmenschen, die er verachtet, ausgenutzt und gedemütigt hat. Stellvertretend für die Leser spürt Susan Ryeland Conway nach, was sie selbst in Lebensgefahr bringt, da der verhasste Autor – dies preiszugeben ist wahrlich kein Spoiler! – tatsächlich nicht ohne Nachhilfe sein Leben ausgehaucht hat.

Wer sich in Gefahr begibt …

Stellt man »Fiktion« und »Bericht« gegenüber, muss man feststellen, dass die vom Verfasser angestrebte Wechselwirkung nur bedingt funktioniert. Viele Conway-Rätsel sind für das Geschehen unwichtig oder überhaupt belanglos. Horowitz ist ein wenig zu erfolgreich in seinem Bemühen klarzustellen, dass Conway quasi manisch mit seinem Publikum »spielte« und oft »nur« verletzen wollte.

In solchen Passagen wird deutlich, dass der moderne Krimi mit seinem Hang zum Psychologischen dem »Whodunit« keineswegs zwangsläufig überlegen ist: Wird der Mensch bzw. »das Menschliche« so wichtig wie oder gar wichtiger als »der Fall«, wächst die Gefahr, sich in fruchtlosen bzw. sich selbst befruchtenden und in Gang haltenden, die Handlung buchstäblich überwuchernden Spaziergänge durch seelische Untiefen zu verlieren. Horowitz gerät in dieser Hinsicht zwar nicht annähernd so ins Schwafeln wie beispielsweise Elizabeth George oder Tana French, vermag aber entsprechende Längen nicht zu vermeiden.

Faktisch lässt sich die Atticus-Pünd-»Hälfte« dieses Romans separat unterhaltsamer lesen als im gedachten Zusammenhang. Horowitz legt zwar offen, wie dreist sich »Conway« vor allem bei Agatha Christie bedient hat. (Atticus Pünd = Hercule Poirot ist nur die offensichtlichste »Parallele«.) Sollte er das allgemeinkritisch gemeint haben, hat er sich selbst ein Bein gestellt, denn Horowitz demonstriert, dass ein guter Schriftsteller die Altmeister/innen des Rätselkrimis kurzweilig variieren kann. Ein »echter« Literaturkritiker würde sicher anmerken, dass Horowitz Conways Pünd-Thriller als mechanisch-seelenloses Handwerk entlarven möchte. Stattdessen fällt eher auf, wie angenehm sich ein Krimi lesen lässt, der mit dem Psycho-Thriller höchstens liebäugelt.

Papier kann sehr scharf sein

Horowitz lässt den »realen« Teil seines Romans im modernen Buchverlagsmilieu spielen. Das ermöglicht ihm handlungsübergreifende Spitzen, die (hoffentlich) seinem Insiderwissen entspringen. Das Buch ist – zumindest in seiner gedruckten Version – angeblich ein Auslaufmodell. Auf jeden Fall ist das Verlagsgeschäft komplex bzw. schwierig geworden in einer Gegenwart, die einerseits digital und andererseits analphabetisch geworden ist. (Unterhaltungs-) Literatur ist heute jenseits romantischer Vorstellungen über künstlerische und geistige Werte mehr denn je eine Ware. Horowitz beschreibt – manchmal sarkastisch, nie allzu offensichtlich – die Folgen.

Mit 600 Seiten ist dieses Buch recht umfangreich geworden – ein weiteres Manko (zu) vieler moderner Kriminalromane. Dass dies hier nicht so durchschlägt, ist der besonderen Struktur zu verdanken, denn wie gesagt bekommen wir zwei Geschichten zum Preis von einer. Horowitz kann schreiben, Lutz-W. Wolff übersetzen, sodass »Die Morde von Pye Hall« sich über die Gesamtdistanz vergnüglich lesen lässt.

Anthony Horowitz scheint mit diesem Roman außerdem ausgelotet zu haben, ob die lesende Welt bereit ist für einen »modernen« Stand-Alone-»Whodunit« (oder einen »metafiktionalen Thriller«?). Mit »The Word Is Murder« (2017; dt. »Ein perfider Plan«) stellt er uns mit Daniel Hawthorne nicht nur einen modernen Sherlock Holmes vor, sondern schlüpft als »Anthony Horowitz, Bestseller-Autor«, in die Watson-Rolle. Die Ironie ist offenbar beim (angelsächsischen) Publikum angekommen, denn es gibt bereits einen weiteren Hawthorne/Horowitz-Thriller.

Die Morde von Pye Hall

Anthony Horowitz, Insel

Die Morde von Pye Hall

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