Die letzte Terroristin

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2018
  • 4
  • Berlin: Suhrkamp, 2018, Seiten: 320, Originalsprache
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Andreas Kurth
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2018

Aus der Zeit gefallene Killer geistern durch die Republik

Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik muss die volkseigene Wirtschaft "abgewickelt" werden. Die so genannte Treuhandanstalt bewertet die Firmen in den neuen Bundesländern, und verkauft sie vor allem an Interessenten aus dem Westen. Im vereinigten Deutschland sind immer noch Terroristen aktiv, die sich der Roten Armee Fraktion (RAF) zurechnen. Für sie gehört Treuhand-Chef Hans-Georg Dahlmann zu den legitimen Zielen, die es auszuschalten gilt.

Zunächst wird jedoch Ernst Wegner, Vorstandsvorsitzender einer Frankfurter Großbank, auf dem Weg zur Arbeit ermordet. Für Dahlmann wird daraufhin die Sicherheitsstufe nochmals erhöht, die zuständigen Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes (BKA) rechnen fest mit einem Anschlag. Ausgerechnet in dieser angespannten Situation hat der Treuhand-Chef eine neue persönliche Assistentin eingestellt - die Studienfreundin seiner Tochter, scheinbar über jeden Zweifel erhaben. Wie sehr er sich damit in Gefahr begibt, ahnt der Top-Manager nicht mal im Ansatz.

Dieses Buch ist auf keinen Fall ein Thriller

In seinem zweiten Roman hat André Georgi ein Thema aufgegriffen, dass neuerdings etliche Autoren in ihre Geschichten einflechten. Auch bei Horst Eckert und Martin Calsow - um nur zwei Beispiele zu nennen - ging es jüngst um die RAF und ihre Überreste. Offenbar ist die Zeit reif, um literarisch diesen Aspekt deutscher Vergangenheit aufzugreifen. Das kann man gekonnt und weniger gekonnt machen.

Georgi ist mit seinem Buch auf der Krimi-Bestenliste von FAS und Deutschlandfunk Kultur gelandet. Das ist nach der Lektüre des Romans - ein Thriller ist das Werk in meinen Augen auf keinen Fall - einigermaßen verwunderlich.

Von Kritikern wird "Die letzte Terroristin" durchaus unterschiedlich bewertet. Marcus Müntefering hat auf Spiegel Online ein recht positives Bild gezeichnet, hebt die hochkarätig besetzte Verfilmung hervor. Und bescheinigt Georgi, dass seit Rainer Werner Fassbinder vor vier Jahrzehnten niemand "ein vergleichbar trostloses, wenn auch ungleich schrilleres Bild des Terrors" gezeichnet habe.

Das ist mir viel zu positiv. Ich bin da eher bei Matthias Dell, der im Deutschlandfunk von einem "RAF-Thriller, der sich nichts traut" gesprochen hat.

Schön verpackt, nachvollziehbar, aber ohne Spannung

Nochmal, das ist kein Thriller. Auch wenn man historische Fakten mit falschen Namen in einen Roman einbaut, kann man das durchaus spannend gestalten. André Georgi hat einen Geschichte über Sandra Wellmann geschrieben, die persönliche Referentin von Dahlmann. Die diversen historischen Vorbilder nennen die Kollegen in ihren Besprechungen richtig: Ernst Wegner steht für Alfred Herrhausen, den Chef der Deutschen Bank, der durch ein Sprengstoff-Anschlag getötet wurde, wie er hier im Buch beschrieben wird.

Sandra Wellmann steht für Susanne Albrecht, die bei der gut bekannten Familie Ponto geklingelt hat, um eine Entführung zu ermöglichen. Die Aktion lief aus dem Ruder, Ponto wurde erschossen. Georg Dahlmann steht für Detlef Karsten Rohwedder, den Treuhand-Chef, der vermutlich von der RAF erschossen wurde. Der Showdown findet in Bad Gronau statt - als Pendant zu Bad Kleinen, wo Wolfgang Grams auf den Gleisen erschossen wurde, wie hier die Terroristin Bettina Pohlheim. Alles schön verpackt, alles nachvollziehbar, alles spannungsarm.

Ein wirklich gutes Thema wurde weitgehend verschenkt

Matthias Dell spricht davon, das Buch sei "streckenweise fad wie Fast Food". Das ist ein hartes Urteil, aber durchaus zutreffend. Einerseits hätte man die Handlung in der Tat um ein paar überraschende Wendungen anreichern können, andererseits finde ich es zu plump gemacht, wie Georgi die Terroristen gegenüber der Gründer-Generation der RAF herabstuft. Münterfering schreibt, der Autor habe sie als "traurige Abziehbilder falsch verstandener Idole" dargestellt. Mag sein, aber für meinen Geschmack ist das zu billig geworden. Den Gauloises ohne Filter die Lord extra gegenüber zu stellen, und das mit dem Geschmack von Bietigheim-Bissingen und Kohlrouladen zu assoziieren, zieht nicht so richtig.

Es mag schon sein, dass Georgi damit ein trostloses Bild dieser so genannten dritten RAF-Generation zeichnen möchte, aber das ist nicht wirklich gelungen. Man kann das Buch gut weglesen, als Drehbuch-Autor versteht sich Georgi auf schnelle Schnitte. In Filmform mag das vielleicht sogar gut ankommen, aber im Buch hätte ich mir mehr Tiefgang gewünscht. Die Abziehbilder hätte man deutlicher charakterisieren müssen. Und wer ist nun die letzte Terroristin? Pohlheim oder Wellmann?

Die Freundin der Dahlmann-Tochter wird in ihren Selbstzweifeln ausreichend geschildert, die anderen Terroristen bleiben fade und blasse Nebenfiguren. Und so vermag ich nicht zu erkennen, warum dieses Buch auf einer Bestenliste gelandet ist. Wer die fragliche Zeit nicht miterlebt, oder sich damit durch Lektüre auseinander gesetzt hat, wird dieses Buch und seine Geschichte ohnehin nur schwer nachvollziehen können. Und auch nicht verstehen, was der Gegensatz von Gauloises ohne Filter und Lord extra ist. Ein wirklich gutes Thema wurde weitgehend verschenkt. Und das ist wirklich schade.

Die letzte Terroristin

André Georgi, Suhrkamp

Die letzte Terroristin

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