Das Gesetz des Bösen

  • Bastei Lübbe
  • Erschienen: Januar 2017
  • 1
  • -: Endeavor Press, 2016, Titel: 'Rules of restraint', Seiten: 289, Originalsprache
  • Köln: Bastei Lübbe, 2017, Seiten: 351, Übersetzt: Dietmar Schmidt
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Michael Drewniok
50°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2017

Mörder im Haus der Serienkiller

Die Justizvollzugsanstalt Greenbank gilt als Vorzeige-Einrichtung der englischen Justiz. Früher als hoffnungslose Fälle weggesperrte Schwerstverbrecher werden hier psychotherapeutisch betreut und behandelt. Sogar Heilungen waren möglich - Erfolge, die jenen Teil der Bevölkerung, der Kriminelle dieses Kalibers am liebsten einen Kopf kürzer gemacht oder wenigstens bei Wasser und Brot eingekerkert sähe, in Rage bringt, was sich wiederum Politiker und Medien zunutze machen: Greenbank taugt stets für einen (aufgebauschten) Skandal.

Tatsächlich geht es hinter den Mauern der Anstalt relativ ruhig zu. Dennoch hat die Regierung mit Donald Munro vorsichtshalber einen "Scharfmacher" als neuen Leiter ("Governor") eingesetzt. Er soll dafür Sorge tragen, dass die Insassen sich gemäß des Klangs von Volkes (= Wählers) Stimme wieder wie strafgefangener Abschaum fühlen.

Mit der für ihn typischen Energie (und Rücksichtslosigkeit) geht Munro seine Aufgabe an. Unter den Ärzten und Spezialisten macht er sich damit keine Freunde. Vor allem mit der Psychologin Dr. Kate Crowther gerät Munro ständig aneinander. Bevor dieser Streit eskalieren kann, kommt es jedoch zu einem fatalen Ausbruch: Ausgerechnet Bobby Lennox, ein berüchtigter Frauenmörder, kann entkommen.

Für Munro ist dieser Vorfall fatal, aber es kommt wesentlich schlimmer: Ein Insasse wird brutal ermordet, "draußen" ein ehemaliger Häftling zu Tode geprügelt. Detektive Inspektor Nick Knight von der "National Crime Agency" soll helfen, dem mörderischen Treiben ein Ende zu bereiten - umsonst: Weitere Insassen sterben, dann trifft es auch das Personal, und schließlich wird Munros Amtsvorgänger gemeuchelt und sein Töchterlein entführt ...

Wie soll man mit ihnen umgehen?

In der Regel ist den Lesern eines der Unterhaltung dienenden Romans zu wünschen, dass den Verfasser kein selbst formulierter "Auftrag" zur Niederschrift trieb. Fachwissen und Eifer sind definitiv kein Ersatz für schriftstellerisches Geschick oder wenigstens Routine. David Wilson möchte sicherlich nicht als schlagender Beweis für diese These genannt werden. Nichtsdestotrotz ist er ein idealer Kandidat für diese Rolle - leider, denn die Zeche zahlen wieder einmal die Leser.

Dabei ist die Voraussetzung vielversprechend. Wilson ist nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch seit Jahrzehnten eng in der realen Kriminologie vernetzt. Er hat sich intensiv mit Schwerverbrechern beschäftigt - und dies keineswegs auf Distanz. Wilson war wie seine Hauptfigur Donald Munro "Governor" und hat sich beruflich mit Serienmördern und Kapitalkriminellen beschäftigt. Später wechselte er auf die Seite der Wissenschaft, ohne darüber die Praxis zu vernachlässigen.

Munro weiß also viel über "sein" Thema. Allerdings will er mehr. Schon als "Governor" lag er im Konflikt mit einer "moralischen Mehrheit", die sich nicht mit dem Gedanken anfreunden mochte, Menschen, die das Gesetz wieder und wieder sowie auf grotesk gewaltsame Weisen missachtet hatten, weiterhin als solche zu betrachten und zu behandeln. Da die Todesstrafe abgeschafft ist, sollen solche Verbrecher ins tiefste Loch geworfen und gerade so am Leben gehalten werden: Strafe wird von dieser Gruppe alttestamentarisch als Rache definiert.

So einfach ist es nicht

Was zumindest verständlich ist, wenn man an verstörte Angehörige und Freunde denkt, die ein Mordopfer zurücklässt, wird kritisch, wenn jene sich zu Wort melden, die nicht direkt betroffen sind, aber trotzdem "wissen", dass man Mörder wegsperren sollte, bis sie gestorben sind. Autor Wilson tendiert zu einer liberaleren Auffassung. Keineswegs hält er Serienmörder für "krank" und deshalb für latent unschuldig. Eine psychische Störung entschuldigt Verbrechen nicht, aber sie kann es erklären, weshalb es aus Wilsons Sicht notwendig ist, entsprechend zu forschen: Wer weiß, kann verhindern, was womöglich nicht aus heiterem Himmel kommt.

Um sich dem Vorwurf zu entziehen, allzu einseitig zu argumentieren, verleiht Wilson dem Governor von Greenbank Züge und Zungen seiner Kritiker. Donald Munro ist kein Freund von Samthandschuhen. Auge um Auge, Zahn um Zahn: Er kann nicht verstehen, was daran falsch sein soll. Immerhin ist Munro bei aller Skepsis offen für Gegenargumente. Dennoch verwandelt Wilson seine Figur nicht von einem Saulus in einen Paulus: So einfach ist es eben doch nicht.

Die Arbeit mit Soziopathen bleibt nach Wilson ein Drahtseilakt. Abstürze bleiben nicht aus. Allerdings können Fehlinterpretationen in diesem Umfeld für Tragödien sorgen. Ein scheinbar therapierter Schwerverbrecher, der rückfällig wird, zerstört die ohnehin begrenzte Bereitwilligkeit einer ängstlichen Öffentlichkeit, die zudem nicht verstehen will, dass eine Menge Steuergeld in wissenschaftliche Spielereien gesteckt wird.

Die Kurve kriegen - oder abstürzen

Relevanter Stoff ist es also, dem Wilson einen Treibriemen in Gestalt einer spannenden Handlung geben will. In diesem Punkt zeigt sich der Meister (der Kriminologie) jedoch als Schüler, der eher durch Eifer als durch gelungene Umsetzung glänzt. Je mehr, desto besser, meint Wilson, weshalb er es uns liefert: mehr Leichen, mehr Splatter, mehr Irrsinn.

Diese Rechnung geht nicht auf. Dabei gab Wilson selbst seinem Erstling den Titel "Die Regeln der Zurückhaltung". "Gesetz des Bösen" ist ein deutscher Allerwelttitel, der zwar durchaus zutreffend und publikumswirksam Gewalt suggeriert, aber schrecklich nichtssagend ist. Die lässt der Autor schnell fallen, um ein wahres Pandämonium mehr oder weniger einfallsreich in Stücke zerlegter Menschenkörper zu präsentieren. Greenbank mutiert einer Filiale des "Arkham"-Irrenhauses, dessen Insassen sich an plakativer Brutalität zu übertreffen versuchen.

Lange macht Wilson ein Rätsel aus der Identität des Täters zu machen. Ohne erkennbaren Grund reißt er ihm plötzlich die Maske vom Gesicht. Von nun an geht es dem Verfasser primär um die "Begründung" der Mordtaten. Wilson füllt viele Buchseiten mit Worten, wo die Tatsachen sich selbst erklären. Stattdessen drängt er den Mörder immer weiter dorthin, wo das Klischee wartet: In Greenbank tobt ein realitätsfernes Grauen, das nicht das kritisierte System, sondern ausschließlich Wilson entfesselt und schürt.

Das Problem der Didaktik

Während die Handlung erst nach und nach zum holprigen Durcheinander zerfällt, sorgen die Figuren von Anfang an für Verdruss. Wilson hat zwar Vorstellungen, wie er seine Charaktere zeichnen möchte, scheitert aber wieder in der Umsetzung. Donald Munro, Nick Knight und Kate Crowther sind primär Sprachrohre, die ausführlich referieren, was für und wider einen modernen Strafvollzug spricht, der auch an die schlimmsten Verbrecher denkt.

Wie man sich denken kann, lenken weitschweifige Diskussionen zwischen den Protagonisten vom eigentlichen Geschehen ab. Das Klischee ist trotzdem immer greifbar, und es eskaliert wie schon angemerkt in der Darstellung der Greenbank-Insassen. Man sollte meinen, dass gerade Wilson Serienkiller glaubwürdig schildern kann; er hat sie schließlich persönlich kennengelernt. Stattdessen präsentiert er uns Klone des "Jokers" oder Hannibal Lectors hart an der Grenze zum Klamauk.

So hinterlässt Wilsons Debütwerk einen durchwachsenen Eindruck. "Das Gesetz des Bösen" ist trotz der intensiven Körperverletzungen kein zynischer "torture porn", wie ihn (der auf dem Backcover als Referenz angeführte) Chris Carter fabriziert. Wilsons Scheitern hinterlässt einen in Teilen interessanten und lesbaren Thriller, was die Mehrheit der Leser verständlicherweise und zu Recht nicht zufriedenstellen dürfte.

Das Gesetz des Bösen

David Wilson, Bastei Lübbe

Das Gesetz des Bösen

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