Unsere Frau in Pjöngjang

  • Hanser
  • Erschienen: Januar 2017
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  • Paris: Éditions de Minuit, 2016, Titel: 'Envoyée spéciale', Seiten: 312, Originalsprache
  • München; Berlin: Hanser, 2017, Seiten: 272, Übersetzt: Hinrich Schmidt-Henkel
Unsere Frau in Pjöngjang
Unsere Frau in Pjöngjang
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Jörg Kijanski
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2017

Absurder Agentenroman und literarischer Lesespaß

Mehrere große deutsche Tageszeitungen (Süddeutsche, FAZ, Frankfurter Rundschau), aber auch die NZZ und Die Zeit bewerteten den vorliegenden Roman mit großem Lob. Grund genug auch für die Krimi-Couch, sich dieses ungewöhnlichen Plots anzunehmen, denn wer kommt schon auf die völlig surreale Idee, dass eine gelangweilte Musiker-Gattin eingesetzt wird, um ausgerechnet Nordkorea zu destabilisieren?

Freunde klassischer Agententhriller sollten also gewarnt sein, denn der Erzähler dieser grandiosen Geschichte behält selbst nicht immer den Überblick. Ein klarer Plot, eine erkennbare Handlungsstruktur sind nicht immer gegeben. "Von hier an verlieren wir ihre Spur", heißt es beispielsweise an einer Stelle. Gemeint sind die beiden Protagonisten; wenn man sie denn überhaupt so bezeichnen kann.

"Fassen wir zusammen. Als Kim Jong-un, der neue Oberste Führer, Sohn des Geliebten Führers Kim Jong-il und Enkel des Ewigen Präsidenten Kim Il-Sung, an die Macht kam, sah er sich noch einige Zeit von den sieben historischen Führungskräften des Landes umgeben, darunter sein Onkel, die Nummer zwei des Regimes. Aber diese Bande hat er sich relativ bald vom Hals geschafft, als Erstes ließ er seinen Onkel in aller Öffentlichkeit verhaften und dann exekutieren. Ähnlich wie in Hamlet, nicht wahr, wenn Sie verstehen, was ich meine. Schweigen seitens Constances."

General Bourgeaud, Ende 60, darf aufgrund seiner Verdienste im Geheimdienst weiter agieren. Man lässt ihn gewähren; hier allerdings mit verheerenden Folgen. Sein Mitarbeiter Paul Objat soll eine attraktive Frau für eine Mission rekrutieren, die in Pjöngjang Kontakt zu einem ranghohen Offizier knüpfen soll. Die Wahl fällt auf Constance, deren Ehe mit dem Musiker Lou Tausk gerade nicht so läuft.

Sängerin eines beliebten Liedes scheint als Agentin ausreichend qualifiziert

Ein Welthit sorgte dafür, dass Tausk nicht mehr arbeiten muss, und da Constance die Sängerin des auch in Nordkorea beliebten Liedes ist, scheint sie für die Mission die richtige Frau zu sein. Kurzerhand wird Constance entführt, und da sie sich zuhause langweilt, denkt sie nicht einmal an Flucht. Ebenso wenig denkt ihr Mann daran, ein gefordertes Lösegeld zu zahlen und sucht stattdessen ein Abenteuer mit der Sekretärin seines Halbbruders, einem zwielichtigen Anwalt.

Viele Wochen vergehen, in der Constance von der Außenwelt abgeschirmt lebt. Selbst ihren Bewachern wird die Sache irgendwann unheimlich und so beginnen sie, Constance vor ihrem Auftraggeber in Sicherheit zu bringen. Die Grundlage für ein allgemein einsetzendes Chaos ist gelegt. Ein 30 Jahre zurückliegender Banküberfall erhält unerwartete Aktualität, und bevor Constance von ihrem ungewöhnlichen Auftrag erfährt (auf Seite 175), werden zwei Menschen sterben und ein Mann durch eine Schusswaffe verletzt.

Großartige Beschreibung eines weitgehend unbekannten Landes

Jean Echenoz lässt einen geheimnisvollen Erzähler die Geschichte darstellen, wobei dieser gerne in der "Wir"-Form schreibt. Der Einsatz in Nordkorea umfasst nicht viele Seiten und dennoch gelingt es dem Autor brillant, dass abgeschottete Land hervorragend zu beschreiben. Die strenge Aufsicht der Touristen, die keinen Schritt alleine machen dürfen, die Lager, in denen Menschen gefoltert und getötet werden und auch der Präsident spielt eine Rolle. Großartig ist auch der Schreibstil des Autors, der aus einem ungewöhnlichen Agentenroman eine kleine literarische Sensation macht.

"Wir dachten, es könne nicht schaden, dieses unserem Dafürhalten nach zu wenig bekannte zoologische Phänomen dem Publikum zur Kenntnis zu bringen. Freilich mag das Publikum einwenden, eine derartige Information sei doch nichts als eine Abschweifung, eine Art didaktischer Kapriole, die es erlaube, ohne jeden Zusammenhang mit der eigentlichen Erzählung ein Kapitel kurzerhand zum Abschluss zu bringen. Auf diesen durchaus denkbaren Vorbehalt antworten wir wie kürzlich schon einmal: im Moment."

Eine völlig abgedrehte Handlung, scheinbar abstrus erzählt, mitunter verschachtelte Sätze, viel Komik und amouröse Verstrickungen sowie nicht zuletzt ein breit gefächertes Panoptikum an handelnden Personen. Wie es Echenoz gelingt, die Handlungsstränge immer wieder zusammenzuführen, ist ebenfalls ein Erlebnis. Wer sich auf einen außergewöhnlichen, sprachlich anspruchsvollen Plot einlassen möchte, der sollte hier zugreifen. Großartig!

Unsere Frau in Pjöngjang

Jean Echenoz, Hanser

Unsere Frau in Pjöngjang

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