Dunkels Gesetz

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 2017
  • 3
  • Berlin: Ullstein, 2017, Titel: 'Dunkels Gesetz', Seiten: 192, Originalsprache
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Andreas Kurth
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2017

Lauter Loser beim Showdown im Niemandsland

Richard Dunkel war viele Jahre für die französische Fremdenlegion im Einsatz, vor allem in Afrika. Er lebt eigentlich in Frankreich, besucht aber seinen Kameraden Anheuser, der in der Nähe der deutsch-belgischen Grenze lebt. Dunkel braucht Geld, Anheuser vermittelt ihm einen Job als Wachmann in der aufgelassenen Grube Altglück, in der noch Blei und Zink im Boden liegen sollen.

Achim, Kleinkrimineller und Besitzer einer Tankstelle im Niemandsland, will mit seinen Kumpels endlich richtig Kohle machen. Er fädelt ein Drogengeschäft mit rumänischen Lieferanten ein, und biedert sich damit auch bei der regionalen Unterwelt-Größe Falco an. Achim glaubt, hier die letzte Möglichkeit gefunden zu haben, um noch mal richtig Schnitt zu machen. Dabei kommt ihm allerdings Dunkel nachhaltig in die Quere. Bei einem Rundgang über das Gelände in Altglück stößt der nämlich auf ein Mitglied von Achims Gang, und fackelt gleich mal die gesamte Drogenküche ab. Damit setzt der ehemalige Fremdenlegionär eine Kettenreaktion in Gang, die nur wenige der Beteiligten überleben.

Der Roman zieht einen Farbschleier von der Wirklichkeit

Sven Heucherts "Provinz-Noir" sei ein Abgesang auf den goldenen Westen, schreibt der Verlag auf der Rückseite des Buches. Ob im deutsch-belgischen Grenzgebiet der Westen wirklich so golden gefärbt war, lasse ich mal dahingestellt. Gemeint ist wohl eher das sich über Jahrzehnte hinziehende Zechensterben und die damit verbundene Entwicklung so genannter "strukturschwacher" Gebiete in alten Bergbau-Regionen. In einer solchen Gegend ist der Roman angesiedelt. Die Figuren sind allesamt mehr oder minder gescheiterte Existenzen - die dennoch weiterhin durchaus hochfliegende Pläne für ihre Zukunft haben.

Damit sind wir bei der Frage, was in diesem Zusammenhang ein "Provinz-Noir" ist? Jan Küveler hat sich in der "Welt" mal mit dem Genre-Thema auseinander gesetzt. Und in meinen Augen eine brauchbare Definition entwickelt.

Er schreibt: "Noir ist gar kein Genre, sondern eine Farbe - eine Abgeklärtheit des Menschenbildes, die den Farbschleier von der Wirklichkeit zieht, die all die bunten Illusionen von Ehre, Liebe, Anstand platzen lässt wie Luftballons nach dem Ende des Kindergeburtstags. Noir ist, was unter die Haut geht." Der Definition des Kollegen kann ich mich für diesen Roman anschließen - hier wird wirklich der Schleier weggezogen.

Die Sonnenseite des Lebens haben die Protagonisten noch nie gesehen

Wenn man diese Definition akzeptiert, ist das Buch in der Tat ein Provinz-Noir. Heuchert hat seine Geschichte in einer trostlosen Welt angesiedelt. Die Sonnenseite des Lebens haben die Protagonisten alle noch nie gesehen. Und doch haben sie die trügerische Hoffnung, irgendwie dorthin zu kommen. Ex-Legionär Dunkel will sich als Wachmann nur das Geld für ein paar Monate Lebensunterhalt in seiner Wahlheimat Frankreich verdienen. Schnell findet er heraus, dass ein angebliches Unglück auf dem Grubengelände tatsächlich ein Mord war. Und über das Drogenlabor kann er eben auch nicht einfach hinwegsehen - die brutalen Reaktionen auf sein rigoroses Eingreifen führen direkt in die Katastrophe.

Achim und seine Kumpel Haller und Behrentz werden nur durch die gemeinsame Geldgier zusammengehalten - eine höchst fragile Allianz, wie sich bald herausstellt. Marie und ihre Mutter, deren Namen der Leser nie erfährt, leben bei Achim - mehr schlecht als recht. Und die Unterweltgröße Falco ist so undurchsichtig wie Kohlenstaub im Keller. Falco - ein perfekter Namen für einen Drogendealer, wenn an sich an die neue deutsche Welle erinnern möchte.

Ex-Fremdenlegionär wird Sprung in bürgerliches Leben nie schaffen

Mit Richard Dunkel hat Sven Heuchert einen ambivalenten Charakter geschaffen, den man als Leser aber irgendwie mag. Er ist ein Mensch mit vielen widersprüchlichen Eigenschaften. Nicht unbedingt sympathisch, sondern eher so abgehalftert, dass er perfekt in dieses Szenario passt. Im Gegensatz zu seinem früheren Kameraden Anheuser hat er den Sprung in eine bürgerliche Existenz nicht geschafft - und wird ihn wohl auch nie schaffen.

Alle anderen müssen mehr oder weniger ein Klischee bedienen, um ihre Rolle in diesem Noir-Roman auszufüllen. Das junge und naive Mädchen, der böse und geile Stiefvater, die verlebte und verlotterte Mutter und die skrupellosen Drogendealer.

Tanz der Loser mit den großen Zielen endet für etliche Protagonisten tödlich

Heucherts gut erzählte Geschichte lebt nicht unbedingt von der Spannung. Hier geht es vielmehr um die vielen Fragen, die aufgeworfen werden - ohne dass es wirkliche Antworten gibt. Stimmung und Schicksale sind interessant, auch wenn nicht alles zu Ende erzählt wird. An diesen überaus lakonischen Stil muss man sich als Leser erstmal gewöhnen, aber ich habe mich hervorragend unterhalten gefühlt. Der Autor lässt eben viel Platz für die eigene Fantasie des Lesers, um die Lücken auszufüllen.

Die triste Welt von Neu- und Altglück wird ziemlich plastisch geschildert. Eine Grube Altglück hat es übrigens tatsächlich gegeben, aber sie dient wohl nur als Namenspatron, da nicht im Grenzgebiet gelegen. Alte Seilschaften, die Jagd nach dem kleinen oder auch großen Glück - der Tanz der Loser mit den großen Zielen endet für etliche Protagonisten tödlich. Es ist schon eine Kunst, auf nicht mal 190 Seiten so viel Unheil-schwangeren Inhalt zu packen. Ein lesenswertes Buch für verregnete Herbsttage - dann passen Wetter und Stimmung bestens zusammen. Aus dem Stand hat Heucherts Werk übrigens im September den Sprung auf Platz 5 der Krimibestenliste von FAS und Deutschlandfunk Kultur geschafft. Ich darf anmerken - da gehört er durchaus hin.

Dunkels Gesetz

Sven Heuchert, Ullstein

Dunkels Gesetz

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