Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens

  • DuMont
  • Erschienen: Januar 2017
  • 2
  • Köln: DuMont, 2017, Seiten: 512, Originalsprache
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Jörg Kijanski
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2017

Auf die Diktatur folgt die Globalisierung

Nach der Wende wurden Großkonzerne der Agrarindustrie politisch gefördert, Kleinbauern hatten zumeist das Nachsehen. Nicht immer ging es bei den LPG-Umwandlungen rechtmäßig zu. Jörg Marthen, Bauer aus Prenzlin, zog 2011 Konsequenzen und mit Frau und Tochter nach Rumänien, wo er seitdem seinen Traum lebt.

Im September 2014 scheint der Traum ausgeträumt, die Frau ist längst zurück in Deutschland, die 18-jährige Tochter liegt ermordet im Wald. Der Täter scheint bereits festzustehen, ein junger rumänischer Mitarbeiter, der wohl vergeblich ein Auge auf die Tochter des Chefs geworfen hatte. Er war zum Zeitpunkt am Tatort, im Kamin seiner Wohnung finden sich Überreste seiner verbrannten Kleidung, an dieser Blutspuren der Toten.

"Auf seiner Kleidung ist Blut."
"Wie kommen Sie an seine Kleidung?"
"Lag im Kamin. Er hat sich umgezogen."
"Selbst wenn es ihr Blut ist: Würde das beweisen, dass er sie getötet hat?"
"Es würde nahelegen, dass er auf ihr gelegen hat, als sie blutete. Ersparen sie mir solche Spitzfindigkeiten bitte."
"Darauf hinzuweisen, dass das Naheliegende nicht unbedingt der Wahrheit entspricht, nennen Sie spitzfindig?"

Kommissar Ioan Cozma von der Kripo in Temeswar sieht seinem nahenden Ruhestand entgegen, taucht mit seinem Kollegen Ciprian "Cippo" Rusu schon lange unter dem Radar. Bloß nicht auffallen oder anecken, sollen die anderen Kollegen die Mordfälle lösen. Beide haben hierfür ihre Gründe.

Cozma verfolgt seine dunkle Vergangenheit, denn in Zeiten der Diktatur war er bereits als Polizist tätig, nicht immer wurden rechtsstaatliche Methoden angewandt. Währenddessen steht Cippo auf der Liste der DNA, der Antikorruptionsbehörde; zu oft hat er sich schmieren lassen. Jetzt also noch mal ein Mordfall, dessen Auflösung offensichtlich erscheint. Allein ein grüner Polo, der zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts gesichtet wurde, stört die Ermittlungsarbeit, denn der Hauptverdächtige floh zu Fuß.

Die Ermittlungen schlagen bald hohe Wellen, der Verdächtige flieht nach Prenzlin, dort wo seine unnahbare Liebe aufgewachsen ist. Cosma versucht ihn dort aufzufinden und merkt schnell, dass er nicht alleine unterwegs ist. Ein Wettrennen gegen Zeit beginnt...

Parallelen zwischen Rumänien und Ostdeutschland

Oliver Bottini ist einer der wichtigsten deutschen Krimiautoren der Gegenwart, liefert er doch regelmäßig neben spannenden Plots auch gleichzeitig schonungslose politische Analysen. Im vorliegenden Fall mit dem sperrigen Titel "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens" geht es unter anderem um die Folgen der Globalisierung am Beispiel der Agrarindustrie sowie um Einblicke in die Diktaturen in Rumänien sowie in der DDR und deren Auswirkungen auf die Gegenwart.

"Wenn es so einfach gewesen wäre."
"Einfach nicht, aber dafür friedlich. Eine friedliche Revolution."
"Richtig, ihr hattet keine Toten."
"Vorher und nachher schon."
"Nachher?"
"Selbstmorde. Stasi-Leute, Offiziere. Parteikader. Und bei Euch?"
"Über tausend. Die meisten erst nach der Hinrichtung von Ceausescu am 25. Dezember. Ist noch nicht ganz klar, was genau geschehen ist. Welche Rolle haben Ceausescus Gegner in der Kommunistischen Partei, das Militär, die Securitate gespielt. Deshalb nennen es die einen "Revolution", die anderen "Staatsstreich"."

Während, wie eingangs erwähnt, durch die Subventionierung der Großindustrie die ostdeutschen Kleinbauern das Nachsehen hatten und in Folge die ländlichen Gebiete zunehmend veröden (billige Arbeitskräfte aus Osteuropa verrichten die Feldarbeit, junge Einheimische wandern ab), breiten sich in Rumänien ausländische Investoren immer mehr aus. Große landwirtschaftliche Flächen gehören arabischen, libanesischen oder eben auch deutschen Firmen. Die rumänischen Kleinbauern haben das Nachsehen, leben in Armut und wenden sich verstärkt - wie in Ostdeutschland - rechten Bewegungen zu.

"Keine Lügen diesmal."
"In diesem Land retten Lügen manchmal Leben."
"Die Zeiten sind vorbei."
"Schau ins Parlament, Polizist, und du weißt, dass es nicht vorbei ist."
"Rumänien ist nicht das Parlament oder die Sozialdemokraten oder Victor Ponta." Cippo bückte sich, hob einen Klumpen Erde hoch und hielt ihn Voinea entgegen. "Das ist Rumänien."
"Nein, das ist jetzt Deutschland."

"Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens" ist ein großartiges Buch, dessen Themenpalette lange über das pure Leseerlebnis hinaus wirkt. Man denkt über die Folgen der Globalisierung nach, das politische Geschwätz vom "Wachstum über alles", aber auch über die Folgen persönlicher Schicksalsschläge.

Davon bietet das Buch reichlich, an vielen Stellen heißt es durchatmen. Fans von Friedrich Ani kommen in dieser Hinsicht voll auf ihre Kosten. Doch wartet bei all der Trauer und Einsamkeit am Ende Erlösung? Nein, nur die Erkenntnis über die Zusammenhänge. Bis dahin sterben zahlreiche Menschen, nicht nur die Bösen. Das ist ebenso mutig wie konsequent und verstärkt den bleibenden Eindruck.

Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens

Oliver Bottini, DuMont

Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens

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