Lautlose Nacht

  • Argon
  • Erschienen: Januar 2017
  • 6
  • London: Little, Brown, 2015, Titel: 'The Quality of Silence', Originalsprache
  • Berlin: Argon, 2017, Übersetzt: Tanja Geke, Bemerkung: gekürzte Ausgabe
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Jörg Kijanski
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2017

Für Fans außergewöhnlicher Schauplätze

Jasmin Alfredson fliegt mit ihrer zehnjährigen Tochter Ruby nach Alaska, wo sie ihren Mann Matt treffen möchte. Dieser ist Naturfilmer und flog vor Kurzem zu dem kleinen Dorf Anaktue, wo er Kontakte zu den Einheimischen hat. In Fairbanks gelandet, wird Jasmin mitgeteilt, dass es eine verheerende Brandkatastrophe in Anaktue gegeben habe. Dreiundzwanzig Bewohner hat die Ansiedlung, vierundzwanzig Leichen wurden gefunden, ebenso der Ehering von Matt. Jasmin indes ist sich sicher, dass ihr Mann noch lebt. Der nächst gelegene Flughafen im über 600 Kilometer entfernten Deadhorse ist jedoch gesperrt, so dass sie nur über den Dalton-Highway ihr Ziel erreichen kann. Ende November bei bis zu minus vierzig Grad eine Höllenfahrt und nur der Trucker Adeeb ist bereit, Jasmin und ihr Tochter mitzunehmen. Beim Erreichen einer Tankstelle erleidet Adeeb jedoch einen Zusammenbruch und muss von anderen Truckern nach Fairbanks zurückgefahren werden. Jasmin entert kurzentschlossen dessen Megatruck und setzt die Reise mit Ruby fort. Etliche hundert Kilometer liegen vor ihnen, es geht über den Atigun-Pass und durch die arktische Tundra. Mitten im Nirgendwo wartet aber nicht nur eisige Kälte. Ruby erhält plötzlich Mails mit Bildern von toten Tieren und seit längerer Zeit folgt den Beiden offensichtlich ein Tanklaster. Ein Orkansturm droht, Hilfe ist nicht zu erwarten...

Geht es vielleicht ein bisschen realistischer?

Fangen wir mit dem größten Minuspunkt an. Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Mutter allein mit ihrer zehnjährigen Tochter in einem Monstertruck quer durch eine der unwirtlichsten Gegenden der Welt fährt, um ihren Mann zu suchen, der höchstwahrscheinlich tot ist? An diesem Punkt angekommen, neigt der Verfasser dieser Zeilen normalerweise dazu, sich intensiver mit der Frage zu beschäftigen, ob es sich wirklich lohnen kann weiter zu lesen? Viel unglaubwürdiger kann ein Plot kaum anfangen, zumal klar ist, dass Jasmin ihre Tochter nicht in Fairbanks zurücklassen kann, denn Ruby ist von Geburt an gehörlos. Drückt man mit maximal möglicher Großzügigkeit alle drei Augen zu, dann erwartet einen in Lautlose Nacht ein ungewöhnlicher Thriller mit einem noch ungewöhnlicheren Schauplatz.

 

"Die riesigen Dimensionen Alaskas wirkten furchterregend auf Adeeb: anderthalb Millionen Quadratkilometer, und das einzige Anzeichen von Zivilisation, das man durch die Windschutzscheibe sah, waren die Straße aus Eis und die daneben verlaufende Transalaska-Pipeline. [...] Schlimmer als die gefährliche Straße, die Kälte und Einsamkeit fand er die Abwesenheit jeglicher Farben nichts als Schneeweiß im Lichtkegel der Scheinwerfer und ansonsten Dunkelheit."

 

Die ersten rund achtzig Seiten führen kurzweilig in die Ausgangsituation ein, danach beginnt die gefährliche Fahrt über den Dalton-Highway. Da ihr Fahrer frühzeitig ausfällt, sind Jasmin und Ruby fortan auf sich allein gestellt; bei zweistelligen Minusgraden und pechschwarzer Polarnacht. Wer ein Faible für Alaska hat, der sollte sich auf diesen Horrortrip unbedingt einlassen, denn damit glänzt der Roman. Und da die Fahrt stundenlang dauert, haben Jasmin und Ruby alle Zeit der Welt, ihren Gedanken nachzuhängen. Wahlweise nach dem Aufkommen der Liebe zwischen Jasmin und Matt, die kürzlich kleinere Risse erhalten hat, woran möglicherweise eine Inupiaq-Frau namens Corazon schuld sein könnte. Oder über die Hänseleien, die Ruby in der Schule ertragen musste. Während der Fahrt wird gebärdet auf Teufel komm raus, was interessante Einblicke in die ungewohnte Kommunikationsform gibt, sowie über eine Maschine kommuniziert. Allerdings beinhalten die Gespräche auch einige Längen, was nicht verwundert, denn die Fahrt nimmt rund zweihundert (!) Seiten in Anspruch.

Fracken, Baby, fracken.

Auf den letzten hundert Seiten folgt dann die Auflösung, was es mit der Katastrophe in Anaktue auf sich hat. Hierbei ergeben sich einige interessante Aspekte für Umweltaktivisten, denn das bereits erwähnte Deadhorse besteht weitgehend aus Unterkünften für die Ölarbeiter der nahegelegenen Prudhoe Bay, dem größten Erdölvorkommen der USA. Massenhaft Öl gibt es auch in Anaktue, was für viele Firmen reizvoll ist. Allerdings setzen diese dabei auf das umstrittene Fracking.

Eine spektakuläre Landschaft, ein gehörloses Kind, das man schnell lieb gewinnt, und eine kritische Auseinandersetzung über das Fracking sind die Ingredienzien des vorliegenden Romans. Das ohnehin hohe Lesetempo wird durch zwei wechselnde Erzählperspektiven gekonnt verstärkt. Die Erzählerin folgt Jasmin, während Ruby die Ereignisse in ihren Worten wiedergibt. Und die Verfolgung durch den ominösen Tanklaster lässt gar Erinnerungen an den Film "Duell" von Steven Spielberg aufkommen. Darüber kann man sogar vergessen, wie realitätsfremd die Ausgangssituation war.

Lautlose Nacht

Rosamund Lupton, Argon

Lautlose Nacht

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