Cottoncrest

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2016
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  • New Orleans: Louisiana State University Press, 2014, Titel: 'The Cottoncrest Curse', Originalsprache
  • Berlin: Suhrkamp, 2016, Seiten: 415, Übersetzt: Karen Witthuhn
Cottoncrest
Cottoncrest
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Jörg Kijanski
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2016

Breitgefächerter Ausflug in die Südstaaten zum Ende des 20. Jahrhunderts

1893. Louisana. Südstaaten. Auf Cottoncrest hat der Plantagenbesitzer Colonel Judge Chastaine seiner Frau die Kehle durchgeschnitten und sich anschließend erschossen. Schnell ist von einem Fluch die Rede, denn seit Vater wählte den gleichen Freitod. Sheriff Raifer kommen Zweifel. Chastaine war Rechtshändler, wie soll er sich da in die linke Hirnhälfte geschossen haben? Die Tatwaffe ist zudem eine stark verrostete Pistole, dabei war Chastaine dafür bekannt, dass er seine Waffen mit größter Sorgfalt behandelte.

 

"Klar, es hätte der Fluch sein können. Aber man braucht keinen Fluch, wenn man einen Juden hat. Denn die Juden sind verflucht."

 

Die Befragung der schwarzen Dienerschaft ergibt kaum Erkenntnisse. Keiner hat etwas gesehen oder gehört. Nur Marcus weiß zu berichten, dass die Plantagenbesitzer sehr zurückgezogen gelebt haben und ihr einziger Kontakt nach außen der fahrende Händler Jake Gold war. Mit ihm habe sich das Ehepaar auch über dessen jüdische Religion unterhalten. Deputy Bucky erzählt die Neuigkeiten weiter und ruft damit Tee Ray Brady auf den Plan. Tee Ray, ein Weißer, arbeitet auf der Plantage und ist voller Hass. Er trommelt seine "Ritter" zusammen, die sich schon bald zur Jagd auf Jake Gold aufmachen, denn ein Jude als Mörder geht immer. Diesem bleibt nur die Flucht...

Bürgerkrieg, Rassengesetze, Reconstruction und ein rätselhafter Doppelmord

Um es vorweg zu nehmen. Wer Cottoncrest als Kriminalroman liest, so steht es auf dem Buchcover, wird womöglich eine kleine Enttäuschung erleben. Denn auch wenn auf dem Buchrücken steht, dass Jake Gold "den Mörder entlarven" muss, so entspricht dies nicht dem Inhalt. Worum geht es also?

 

"Miten malach hamovess treibt nit kain kastovess. Mit dem Engel des Todes treibt man keine Späße."

 

Der Enkel von Jake Gold sitzt in unserer Zeit mit seiner Enkelin zusammen und erzählt dieser die Geschichte ihres Ururopas. Wie konnte der Sohn eines jüdischen Schlachters aus einem kleinen russischen Dorf in die Geschehnisse von Cottoncrest hineingeraten? Es beginnt mit der Ermordung Zar Alexander II. im Jahr 1881, dessen Nachfolger Zar Alexander III. kurzerhand die Juden für das Geschehen verantwortlich macht. Es kommt zu einem Pogrom und so flieht der kleine Yaakov Gurevich über Umwege nach Amerika, wo er sich fortan Jake Gold nennt und als fahrender Händler gute Geschäfte macht. Diese führen ihn nach Cottoncrest, wo er sich mit den Eigentümern anfreundet. Nachdem das eingangs erwähnte Verbrechen geschehen ist, bildet sich um Tee Ray ein Lynchmob, die "Ritter der Weißen Kamelie" reiten wieder. Ku-Klux-Klan-Gesetz hin oder her. Jake Gold muss fliehen und mit ihm, wenngleich auf getrennten Wegen, das schwarze Personal von Cottoncrest. In der Folge dreht es sich um die Fragen, ob deren Flucht gelingt, wer den Herrensitz erben wird und - ja, nebenbei auch - wer denn der Doppelmörder gewesen ist?

 

"Der ligen iz di oigen, der emess iz hinter die oigen. Die Lüge liegt vor deinen Augen, die Wahrheit dahinter."

 

Erzählt wird die Geschichte aus immer wieder wechselnden Perspektiven, so dass diese sehr kurzweilig gehalten ist. Dabei spannt der Autor thematisch einen weiten Bogen und erzählt über das Leben, Arbeiten und vor allem Denken der Menschen in den Südstaaten im ausgehenden 20. Jahrhundert. Der Bürgerkrieg ist vorbei, aber noch immer leiden viele Menschen unter den Folgen. Die anschließende Reconstruction währte nur kurz, denn nach Abrücken der Nordstaatler führten die Weißen in New Orleans schnell wieder Gesetze ein, die die Rassentrennung de facto neu legitimierten. Die Sklaverei war abgeschafft, die Ungleichheiten bis hin zu offenem Rassismus blieben.

 

"Sie hassen die Juden, weil sie glauben, wir hätten Jesus getötet. Und sie hassen die Katholiken, weil sie glauben, Ihr gehorcht einer fernen Macht, dem Papst, anstatt Amerikaner wie sie zu sein."
"Wie dumm. Wie können Tee Ray und die anderen so etwas glauben? Der ouaouaron im Sumpf - der Ochsenfrosch - hat mehr Verstand."

 

Cottoncrest ist vor allem für jene Leser zu empfehlen, die sich für die amerikanische Geschichte sowie das Thema Rassentrennung interessieren. Die Gesetzeslage und Verfahren bis hin zum Obersten Gerichtshof werden ebenso dargestellt wie die typische Landschaft im Süden der USA. Hinter New Orleans gibt es vor allem riesige Baumwollfelder und Zuckerrohrplantagen. Dazu den großen Mississippi, nahezu undurchdringliche Sümpfe und immer wieder Rassismus. Nigger oder Darkies sind ebenso verhasst wie Juden und Katholiken. Wohin blinder Hass führen und welche grotesken Folgen dieser haben kann, zeigt sich bitterböse auf den letzten Seiten, die es fürwahr in sich haben.

Cottoncrest

Michael H. Rubin, Suhrkamp

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