Nachtlokal

  • btb
  • Erschienen: Januar 2002
  • 5
  • Paris: Éd. du Seuil, 2001, Titel: 'Descentes d`órganes', Seiten: 217, Originalsprache
  • München: btb, 2002, Seiten: 220, Übersetzt: Eliane Hagedorn & Barbara Reitz
Nachtlokal
Nachtlokal
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Lars Schafft
35°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Thomas-Harris-Klon als reinste Papierverschwendung

Irgendwo in einer Kleinstadt an der französischen Cote d´Azur fischen die Polizisten eine Wasserleiche aus dem Mittelmeer. Der etwas simple leitende Kommissar Jeanneux, von seinen Untergebenen "Jean-Jean" genannt, schiebt den grauenvollen Zustand des Toten auf die gefräßigen Fische. Doch schon die nächste Leichenur ein paar Tage später sowie deren Obduktion bringt Klarheit: von wegen hungrige Meeresbewohner! Beide Männer wurden aufgeschlitzt, ihre Eingeweide komplett entfernt.

Zwar lassen Benzinspuren darauf schließen, dass die Ermordeten mit einem spritgetränkten Stoff geknebelt worden sind. Doch wer will das schon nach ihrem unfreiwilligen Meeresausflug noch klären können? Pathologe "Doc 51", so genannt wegen seiner ständigen Pastis-Fahne, ist sich jedensfalls nicht sicher. Das Schaurige: Er kann auch nicht garantieren, dass die "Operationen" post mortem, also nach dem Eintreten des Todes, durchgeführt worden sind.

Die Polizisten, Kommissar Jean-Jean, Beamtin Lola (ein mediterraner Claudia Schiffer Verschnitt und stetiges Ziel Jean-Jeans sexueller Gelüste), Praktikant Laurent (dauernd im E-Mail-Kontakt mit den Profilern des FBI), der intellektuelle Costello und Marcel Blanc, spießiger Asterix-Polizist, der schon in Der Puppendoktor eine tragende Rolle gespielt hat, ermitteln. Und sind dem Leser (dank zahlreicher Perspektivwechsel bestens im Bilde) immer zwei Schritte hinterher. So weit hinterher sogar, dass sie zwei weitere bestialische Morde zulassen müssen.

Das alles schildert Autorin Brigitte Aubert, in Frankreich ein Krimi-Star, auf etwa 220 Seiten. Und das ist gut so: Jede weitere Seite wäre in diesem Thomas-Harris-Klon die reinste Papierverschwendung. Zwar liest sich "Nachtlokal" durchaus flüssig, jedoch - und das ist schlecht so - stellt sich die Frage: Soll der Leser lachen oder weinen? "Papa Dosen-Öffner" nennt sich der mordende Psychopath. "Papa Dosen-Öffner"! Wie klingt das gegen "Hannibal the Cannibal"? Oder wenigstens gegen die "Zahnschwuchtel" aus Thomas Harris´ Roter Drache?

Die Figur des Serienmörders, der die Organe der Leichen an streunende Katzen verfüttert ist die eine Sache. Die andere Sache sind die schrecklich tölpelhaften und unfreiwillig komischen Polizisten: die Claudia-Schiffer-Polizistin eine waschechte Reinkarnation des Puppendoktors aus Auberts Vorgänger-Roman; der Schürzenjäger (böse Zungen würden "schwanzgesteuert" dazu sagen) Jean-Jean; der in seiner Einfalt fast schon Mitleid erregende Marcel Blanc. Allesamt Deppen, Karikaturen echter Ermittler.

Spannend ist deswegen "Nachtlokal" aufgrund dieser aberwitzigen Figuren-Konstellation auf keinen Fall. Eher erschleicht den Leser der Eindruck, dass Brigitte Aubert durch übertriebene Perversion und Brutalität versucht, inhaltliche Mängel zu kaschieren.

 

Er griff nach dem Paket in dem Einkaufswagen - wie gerne spürte er das kalte, weiche Gewicht -, öffnete das Zeitungspapier und ließ den scharfen Geruch der Eingeweide in die frische Luft aufsteigen. Eine Katze miaute, dann eine andere. Er trat zrück und verschmolz mit dem Schatten der Mülltonnen. "Fresst meine kleinen Kätzchen, fresst, Papa Dosen-Öffner hat ein GESCHENK für euch !", flüsterte er und warf ihnen Handküsse zu. Er liebte Katzen über alles.

 

Was das ganze soll? Warum die Wörter in Versalien, die die Schilderung der Gedankenwelt "Papa Dosen-Öffners" durchziehen? Das weiß wohl nur Frau Aubert selbst, was sie mit diesem reißerischen Machwerk dem Leser sagen will.

Wieder einmal misslungen ist die Eindeutschung des Titels. Heißt es im Original noch passenderweise "Descent d´Organes", hat "Nachtlokal" so viel mit dem Buch zu tun wie mit mediterraner Atmosphäre. Nämlich so gut wie gar nichts.

Wer auf abartige Serienmörder steht und keinen Ekel kennt, ist bei Thomas Harris besser aufgehoben. Südfranzösische Stimmung im Kriminalroman beherrscht Jean-Claude Izzo nicht nur besser, sondern weitaus intelligenter. Wie so oft ist bei Nachtlokal der Fall: Das Original ist besser als die Kopie. Und Brigitte Aubert hat mit Nachtlokal ein wirklich schlechtes Plagiat abgeliefert.

Nachtlokal

Brigitte Aubert, btb

Nachtlokal

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