Schluss der Vorstellung

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1957
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  • New York: Lippincott, 1953, Titel: 'Curtain for a Jester', Seiten: 222, Originalsprache
  • München: Goldmann, 1957, Seiten: 189, Übersetzt: Arno
  • München: Goldmann, 1959, Seiten: 189, Übersetzt: Arno Dohm
  • München: Goldmann, 1978, Seiten: 189, Übersetzt: Arno Dohm
Schluss der Vorstellung
Schluss der Vorstellung
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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2016

Des Witzbolds unerwartet mörderischer Irrtum

Byron Wilmot ist durch den Vertrieb von Scherzartikeln zu viel Geld gekommen. Er pflegt den Ruf eines verschrobenen Witzboldes, der seinen Mitmenschen gern grobe und geschmacklose Scherze spielt. Dahinter verbirgt Wilmot seinen Hang zur Gemeinheit, denn er liebt es, seine Opfer zu manipulieren und bloßzustellen.

Seine letzte Party ist typisch für dieses Treiben. Wilmot lebt in einem Penthouse in New York City. Dorthin lädt er u. a. seine von ihm geschiedene Gattin Gertrude, seinen alkoholkranken Neffen Clyde Parsons, die Angestellten Martha Evitts und John Baker und den Diplomaten Arthur Monteath ein. Alle werden sie von ihm an diesem Abend gedemütigt; der lange trockene' Clyde beginnt sogar wieder zu trinken.

Zeuge der hässlichen Szenen wird das ebenfalls im Haus ansässige und von Wilmot eingeladene Ehepaar Gerald "Jerry" und Pamela "Pam" North. Er leitet einen kleinen Verlag und wird mit seiner Gattin immer wieder in Kriminalfälle verwickelt. Auch dieses Mal kommt es dazu, denn am Morgen nach der Party liegt Wilmot mit einem Messer in der Brust tot im besagten Penthouse. Zu den Verdächtigen gehören die weiter oben genannten Personen. Zu ihnen gesellt sich Butler Sylvester Frank, der im Dienst seines Herrn ebenfalls nichts zu lachen hatte.

Den Fall übernimmt Captain William Weigand, ein alter Freund von Jerry und Pam, die deshalb Informationen aus erster Hand erhalten. Die Ermittlungen enthüllen Wilmots dunkle Seite, doch sie belegen auch, dass jeder der Verdächtigen gute Gründe hatte, den verhassten Scherzkeks zu töten. Mit der üblichen Energie macht sich das Ehepaar North daran, Captain Weigand zu unterstützen. Dass mancher potenzieller Täter sich mit Enthüllungen lieber an Jerry und Pam wendet, sorgt für erstaunliche Erkennt- und Missverständnisse - und Lebensgefahr ...

Katzenverstärktes Ermittler-Ehepaar

Glücklich ist jener Autor, der ehrgeizarm vor allem Profi bleibt und schreibt, was die Mehrheit des Publikums schätzt (und kauft)! Dies herauszufinden ist freilich nicht so einfach, wie viele Kandidaten es wünschen. Ein vielversprechender Weg besteht darin, sich an erfolgreichen Vorbildern zu orientieren, um diese zu kopieren bzw. so zu variieren, dass die Herkunft urheberrechtlich ärgerfrei verschleiert bleibt.

Dem Ehepaar Richard und Frances Lockridge gelang dieses Kunststück Anfang der 1940er Jahre. Sie mischten den populären Kriminalroman mit der ebenfalls populären Liebesgeschichte, der sie moralisch einwandfrei jegliche Anrüchigkeit nahmen, indem sie Mann und Frau als Ehepaar darstellten. Auf diese Weise war es u. a. möglich, Mrs. North in dünner Nachtkleidung oder sogar nackt in der Badewanne liegend in der Unterhaltung mit Mr. North zu schildern, ohne dafür als sittenloses Ferkel gerüffelt zu werden. Der Zeitgeist honorierte solche Scheinheiligkeit durch Kritikerlob, das wiederum die Verkaufszahlen steigerte: Kein Wunder, dass die "Mr.-&-Mrs.-North"-Serie mit Schluss der Vorstellung bereits Band 18 erreichte und ihr Ende keineswegs in Sicht war.

Dabei sind "Jerry" und "Pam" aus heutiger Sicht ziemliche Langweiler. Sie gehören zur oberen Mittelklasse, wobei Mr. North vorgeblich einem Job nachgeht, der ihn quasi intellektuell adelt, wobei die Arbeitsumstände so vage gehalten bleiben, dass sich der Leser wundert, wieviel Zeit einem Verlagsleiter offenbar bleibt, die er in kriminalistische Nachforschungen investieren kann. Mrs. North ist zwischen den Fällen offenbar hauptsächlich damit beschäftigt, die drei Katzen zu füttern. Sie dienen als Kinderersatz und generieren weitere Leser, die es mögen, wenn ihre Lektüre durch niedliche Haustiere ergänzt wird. Ansonsten sieht Pam North gut aus, was durch die Augen ihres Gatten zurückhaltend & pseudo-erotisch in andeutungsvolle Worte - s. o. - gekleidet wird.

"Zufällige" Verwicklung in kriminelles Tun

Wieso ausgerechnet Mr. und Mrs. North immer wieder in verbrecherisches Treiben verwickelt werden, zu dessen Aufklärung sie letztlich entscheidend beitragen, bleibt ein tunlichst gehütetes Geheimnis des Autorenduos bzw. wird einfach behauptet. Jerrys Verlagsaktivitäten verschaffen ihm Eintritt zu sämtlichen Gesellschaftsschichten; ständig umschmeicheln ihn Möchtegern-Autoren, die ihre Manuskripte veröffentlicht sehen wollen. Mr. und Mrs. North gelten gleichermaßen mondän wie vertrauenswürdig, weshalb sich auch in diesem Fall (vor allem weibliche) Zeugen (oder Täter) lieber an Pam wenden, statt sich der Polizei anzuvertrauen.

Dabei sind es nicht grobe Klötze à la Sergeant Mullins, die dort das Sagen haben. Den Wilmot-Mord übernimmt William "Bill" Weigand, den ein gewisses Maß an Bildung auszeichnet, sodass er nicht stumpf auf offensichtliche aber trügerische Beweise' hereinfällt, sondern hinterfragt, was er sieht und hört. Leider wird die Distanz zwischen dem Feingeist Weigand und dem geistig eindimensionalem (aber gutmütigen und für manchen lauen Gag guten) Mullins von Lockridge etwas zu offensichtlich bemüht. Auch sonst geht es vergleichsweise betulich zu. Schluss der Vorstellung bietet vor allem Krimi-Routine. Originell oder "gewagt" sollten Lockridge-Thriller gar nicht sein. Sie waren auf ein Publikum zugeschnitten, das sich ähnlich integriert aber locker wie Mr. und Mrs. North fühlte oder fühlen wollte.

Der daraus resultierende Verzicht auf das "harte" = hässliche Verbrechen sicherte Lockridge auch im fernen Deutschland lange Jahre hohe Veröffentlichungsquoten. Vor allem in den 1950er Jahren rühmte sich der Goldmann-Verlag gern (und schamlos) des selbst verordneten Krimi-Kuschel-Kurses. "Intelligent" sollte in den publizierten Krimis gemordet werden, die von weniger rücksichtsvollen Autoren wie Dashiell Hammett, Raymond Chandler oder gar Jim Thompson eindrucksvoll beschriebene Schlechtigkeit der menschlichen Alltagswelt blieb ausgeklammert. Am Ende siegte stets die Gerechtigkeit, wie es die schläfrige, ungern wirklich beunruhigte Mehrheit der Leser schätzte.

Handwerk kann bestehen

Nichtsdestotrotz sind Krimis wie Schluss der Vorstellung heute keineswegs ungenießbar, auch wenn ihre zeitgenössische Bigotterie hin und wieder gar zu deutlich durchscheint. Selbst die reichlich eingesetzten Klischees bleiben erträglich, denn die Lockridges waren geschickte Handwerker. Die Handlung fließt zügig, zumal dieser Thriller in weniger als 200 Seiten sein Ziel erreicht. Hinzu kommt ein von den beiden Autoren gar nicht beabsichtigter Nostalgiefaktor: In diesen 1950er Jahren geht es selbst in einer Großstadt wie New York City non-globalisiert gemächlich zu. Man raucht und trinkt folgenlos aus Leibeskräften, trägt selbst in der Geborgenheit der eigenen Wohnung gepflegte Hauskleidung' und steigt in Aufzüge, die von speziellen Hilfskräften bedient werden.

Die professionellen und manchmal schmutzigen Aspekte der kriminalistischen Ermittlungen übernimmt Captain Weigand; ein geschickter Zug, denn auf diese Weise kann Lockridge in den Gefilden des Polizei-Krimis wildern, ohne das Don-Draper-Gehabe seiner beiden Hauptfiguren zu beeinträchtigen. Deshalb bleiben unappetitliche Seiten außen vor; es gibt keine schwarzhumorigen Ausflüge in die Pathologie. Mr. Wilmot fällt nach einem sauberen Herzstich umgehend tot um und bleibt eine vorzeigbare Leiche.

Nach den üblichen Verwicklungen, Sackgassen und Irrtümern klärt sich der Fall im typischen großen Finale. Der Strolch rekrutiert sich aus dem Feld der Verdächtigen, die uns schon im einleitenden Kapitel vorstellt wurden: Lockridge spielt fair. Das Motiv wurzelt in einem ungeklärten Verbrechen der Vergangenheit; der Verfasser rollt es nach und nach auf und verknüpft letzte lose Fäden pünktlich zur Auflösung. Nach einem spektakulär dramatischen Höhepunkt und gefolgt von einer letzten Frage-und-Antwort-Runde im Kreise der erwähnten Katzen endet einer jener Kriminalromane, die es (zu Recht) nie in die Riege der Klassiker schafften, ohne deshalb ihren Unterhaltungswert gänzlich eingebüßt zu haben.

Schluss der Vorstellung

F. R. Lockridge, Goldmann

Schluss der Vorstellung

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