Bull Mountain

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2016
  • 3
  • New York: G. P. Putnam's Sons, 2015, Titel: 'Bull Mountain', Originalsprache
  • Berlin: Suhrkamp, 2016, Seiten: 335, Übersetzt: Johann Christoph Maass
Bull Mountain
Bull Mountain
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2016

Kain & Abel unter Südstaaten Schnaps- & Mordbrennern

Quasi seit Anbeginn der Zeit herrscht der Clan der Burroughs über Bull Mountain, einen dicht bewaldeten Hügel tief im Hinterland des US-Staates Georgia. Hier siedelt ein Menschenschlag, der wenig auf die Gesetze gibt, sondern nach eigenen Regeln lebt, handelt und auch stirbt. Der eigene Grund und Boden ist nicht nur Besitz, sondern den Eigentümern heilig. Jeder Versuch, ihnen zu nehmen, was ihnen gehört, wird mit Gewalt quittiert.

Die Burroughs haben sich nie an die vom fernen Staat und seinen Repräsentanten vorgegebenen Spielregeln gehalten. Ursprünglich waren sie Wilderer und Schwarzbrenner, später erweiterten sie ihr Portfolio um Rauschgifthandel und Waffenschmuggel. Schon seit Jahren bemühen sich Gesetzeshüter, den Burroughs das Handwerk zu legen. Doch Halford, derzeitiges Oberhaupt der Sippe, kann sich auf die Treue seiner Spießgesellen verlassen, die das Gesetz ebenso inbrünstig hassen wie er sowie gut bezahlt werden.

Special Agent Simon Holly von der Bundesbehörde für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen schlägt deshalb eine andere Taktik vor. Er wendet sich an Clayton, Halfords Bruder, der die Familienbande hinter sich gelassen hat und als Sheriff einen guten Ruf genießt. Holly ahnt, dass Burroughs-Blut dennoch dicker als Wasser ist. Er informiert Clayton über eine anstehende Aktion: Die Behörden haben die Geduld mit Halford verloren und planen Bull Mountain zu stürmen.

Clayton könnte seinen Bruder retten, indem er diesen "umdreht" und als Kronzeugen gewinnt: Für die Justiz interessanter als Halford ist dessen Partner Oscar Wilcomb, der in Florida mehrere illegale Waffenfabriken betreibt. Clayton schlägt ein - und tappt in eine diabolisch geschickt gestellte Falle, denn nicht Gerechtigkeit, sondern persönliche Rache treibt Simon Holly an ...

Wütend, ungebildet & stolz darauf

Der US-amerikanische Hinterwäldler ist ein merkwürdiges Phänomen. Real möchte selbst die Mehrheit seiner Mitbürger möglichst wenig mit ihm zu tun haben. "White Trash" nennt man ihn und die Seinen sogar, denn sie hausen in den Randbereichen der Gesellschaft, wo sie ihr eigenes Süppchen kochen, das sie gern mit unappetitlichen Ingredienzen würzen. So zählen Gesetzestreue, Gleichberechtigung oder Gewaltverzicht eher nicht zu den Leitsätzen der "Backwood"-Bewohner.

Mit Verallgemeinerungen sollte man bekanntlich vorsichtig sein, doch spätestens in seiner populärkulturellen Inkarnation wird der Hinterwäldler zur mythischen Gestalt, die irgendwo zwischen Bigfoot und Zombie angesiedelt, also hässlich, menschenfeindlich und mordlustig ist. Vor allem in den Genres Krimi und Horror gehört der "Redneck" quasi zum Figureninventar. Im Schutz der Wälder tritt er das Gesetz mit schmutzigen Füßen, schändet schöne Stadtfrauen, meuchelt ihre männliche Begleitung (oder umgekehrt), frisst sie womöglich und treibt Unzucht mit der eigenen Verwandtschaft, was sich ungünstig auf Körper & Geist der Nachkommenschaft auswirkt.

Brian Panowich verzichtet auf gar zu grelle Klischees, obwohl auch die Burroughs und ihre Spießgesellen zumindest in Sachen Folter, Mord und Totschlag ihr Soll redlich erfüllen. Der Autor rührt an einer anderen Saite: US-Hinterwäldler stehen auch für eine seltsame Spielart der landestypisch ohnehin rasanten Heimatliebe, die der offiziellen Regierung und ihren Repräsentanten den Stinkefinger zeigt und stattdessen einem archaischen Patriotismus huldigt, der angeblich alte, simple Siedlertugenden bewahrt: Auf meinem Land, das ich der Natur und den Indianern mit Blut, Lug und Tränen abgetrotzt habe, bin ich allein der Herr - und Gnade Gott allen, die sich dem nicht fügen!

Verquere Sicht aber konsequentes Handeln

Die Zeit schwächt diese Haltung keineswegs ab, sondern verstärkt die Bindung noch. Spätestens als die Steuerbehörden die letzten Winkel des Landes erreicht hatten und damit das letzte Stündlein der Pioniere schlug hatte, gab es immer jemanden, der Familien wie den Burroughs ihr Land = ihre Heimat = ihre Welt streitig machen und ihnen vorschreiben wollte, was sie zu tun und vor allem zu lassen hatten.

Das wurde erst recht zum Problem, wenn die Primäreinnahmequelle des jeweiligen Clans auf kriminelle Weisen erzielt wurden. Irgendwann wurden (Pelztier-) Jäger zu Wilderern, Schnaps- zu Schwarzbrennern, (konföderierte) Rebellen zu Mördern. Autor Panowich beschreibt die nächste Evolutionsstufe: Lokal aktive Strolche wie die Burroughs bleiben zwar die Könige ihres Hügels, doch sie gehen mit der Zeit und organisieren sich.

Auf Bull Mountain beginnt die neue Ära nach dem Zweiten Weltkrieg und mit einer Gewalttat, die weniger als Mord schockiert, sondern als Verrat an der Familie, die auch den Burroughs über alles geht. Folgerichtig wird hier der Keim für eine Entwicklung gelegt, die den Burroughs einerseits Reichtum beschert, während sie andererseits die Familie vergiftet, spaltet und schließlich vernichtet. Immer wieder unterbricht Panowich die gegenwärtige Handlung, um auf markante Ereignisse der Vergangenheit zurückzublenden. Was 1949 auf Bull Mountain geschah, wirkt sich mit einer Zwangsläufigkeit aus, die in der Tat die Existenz eines personifizierten Schicksals vermuten lässt - quasi ein Dogma, dem noch die Burroughs des 21. Jahrhunderts zumindest unterbewusst anhängen, weil sie ihre Wurzeln tief in den Bull Mountain geschlagen haben.

Liebe & Hass im ewigen Zwiespalt

Es ist keinesfalls ihr kriminelles Handeln, das die Burroughs untergehen lässt. Auf Bull Mountain ist man erfahren, entschlossen und schwer bewaffnet genug, Gesetzeshüter und Konkurrenten rigoros auszuschalten. Zur Achillesferse werden die ungleich schwerer wiegenden persönlichen Konflikte, die einem Shakespeare gefallen hätten: Die Achse des heftig um sich kreisenden Familienlebens ist aus dem Gleichgewicht geraten. Immer größer wird die Unwucht, bis der Mechanismus sich selbst zerreißt.

Dazu wäre es angesichts der zahlreichen Brüche auch ohne die Umtriebe des (nur scheinbaren) Außenseiters Simon Holly gekommen. Vor allem der Konflikt zwischen den Brüdern Halford und Clayton ist eine tickende Zeitbombe. Panowich mag sich dabei an einer historischen Vorgabe orientiert haben: Während sieben Brüder mehr oder weniger im Verbrecherimperium des Al Capone (1899-1947) aktiv waren, hatte der älteste Bruder James (1892-1952) New York City früh verlassen und war in den Mittleren Westen gegangen, wo er sich als gesetzestreuer, entschlossen durchgreifender Gesetzeshüter und Friedensrichter einen Namen machte; aus "James Capone" wurde 1918 allerdings "Richard James Hart", um sich von der Restfamilie abzugrenzen.

Während Al und James Capone niemals aneinandergerieten, sorgt Panowich als allmächtiger Autor dafür, dass Halford und Clayton Burroughs sich nicht aus den Augen verlieren. Ein Konflikt wird automatisch dramatischer (sowie tragischer), wenn sich enge Familienmitglieder bekämpfen. Kain und Abel sind buchstäblich biblische Muster für mögliche Konsequenzen. Vater-, Mutter, Bruder-, Schwestermörder: Dies sind von der Gesellschaft besonders heftig ausgestoßene Gesetzes- und Tabubrecher.

Zwischen Hammer & Amboss

Selbstverständlich verzichtet Panowich - der überhaupt gern bzw. furchtlos Hinterwäldler-Klischees aufgreift - nicht auf eine schöne Frau, geht aber nicht so weit, Clayton-Gattin Kate als Zankapfel und Spielball der beiden Brüder einzusetzen. Sie übernimmt stattdessen eine tragende Rolle in diesem Drama: Ihr bleibt es überlassen, die Wahrheit hinter den Ereignissen zu erkennen; jenes Komplott, das Halford und Clayton verborgen blieb, weil sie anders als Kate nicht über den Dingen stehen und den Überblick behalten können.

Diese Intrige gewinnt im letzten Drittel an Kraft und schiebt sich in den Vordergrund - glücklicherweise, denn lange konnte man annehmen (oder fürchten), die Brüder würden im Feuer anrückender Polizisten und FBI-Agenten pathetisch zueinanderfinden und im gemeinsamen Kugeltod vereint sein. So simpel geht Panowich nicht vor. Die Rückblenden kündigen die Auflösung an; die Burroughs-Sippe hat sich in der Vergangenheit einen Feind zu viel gemacht - einen Feind zudem, der aus einem ganz bestimmten Grund das Format besitzt, den Burroughs Paroli zu bieten. Der Löwenanteil der Spannung, die Panowich mit Bull Mountain erzeugt, geht auf sein Geschick zurück, geduldig eine teuflische Falle aufzubauen und zuschnappen zu lassen, um doch einen Konstruktionsfehler zu berücksichtigen, der die perfekte Rache scheitern lässt. Da er dafür (in der guten deutschen Übersetzung) nur 336 Seiten benötigt, bleiben Schaumschlägerei und Buchstabenquark aus. (Hätte Greg Iles ihn geschrieben, wäre dieser Roman dreimal so dick geworden - mindestens.)

Weniger eindrucksvoll weil vor allem aus unzähligen, meist minderwertigen Filmen und TV-Serien bekannt sind die Schilderungen diverser Untaten, die von den Burroughs und ihren von echten Waldschraten kaum zu unterscheidenden Schergen oder den waffenschmuggelnden Bikern des "Partners" Wilcomb - die "Sons of Anarchy" lassen mehr als grüßen - begangen werden. Panowich kann nichts dafür; hier lassen sich wohl einfach keine Highlights mehr setzen.

Dafür kann der Autor mit seinen Landschaftsbeschreibungen punkten. Dies ist unverzichtbar, denn der Handlung würde das Fundament fehlen, wäre Bull Mountain nicht der von Panowich geschaffene mythische Ort, der ungeachtet der blutigen Ereignisse Burrough-Territorium bleiben wird: Im Epilog trägt Kate die nächste Generation in ihrem Kugelbauch. Sie kehrt mit dem übel zusammengeschossenen Gatten und dem ungeborenen Sohn zum Bull Mountain zurück. Was das Trio dort erleben wird, erfahren wir 2017 in der Fortsetzung "Like Lions".

Bull Mountain

Brian Panowich, Suhrkamp

Bull Mountain

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