Prime Cut

  • Edition Nautilus
  • Erschienen: Januar 2015
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  • Fremantle/Western Australia: Fremantle Pres, 2011, Titel: 'Prime Cut', Seiten: 345, Originalsprache
  • Hamburg: Edition Nautilus, 2015, Seiten: 368, Übersetzt: Sabine Schulte
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2016

Moderne Sklaverei & antiker Serienmord down under

Hopetoun, gelegen an der Südküste Australiens, war lange ein von Gott & der Welt vergessenes Nest. Seit dort gewaltige Nickelvorkommen entdeckt wurden, hat sich der Ort in eine Boomtown verwandelt, was auch dem organisierten Verbrechen nicht verborgen blieb. Die lokale Polizei ist unterbesetzt und überfordert, Detective Senior Sergeant Tess Maguire zudem nach einer schweren Dienstverletzung traumatisiert.

Als eine Leiche ohne Kopf und Gliedmaßen aus dem Meer gezogen wird, wird ihr zur "Verstärkung" ein Zwei-Mann-Team des zufällig gerade in der Nähe tätigen "Viehdezernats" zugeteilt. Detective Senior Constable Philip "Cato" Kwong, ehemals Mitglied der Mordkommission und als Sündenbock in einem Korruptionsfall strafversetzt, brennt darauf sich zu rehabilitieren. Sein Kollege Jim Buckley ist weniger motiviert, denn er kämpft mit einer tödlichen Krankheit.

Stuart Miller, ehemals Detective Sergeant bei der Kriminalpolizei von Sunderland (Nordost-England), lebt im Ruhestand in Busselton, Western Australia. Der Ex-Polizist leidet darunter, den Mordfall Christine und Stephen Arthurs nie gelöst zu haben: Im Mai 1973 hat Ehemann und Vater David grausam seine Familie umgebracht und konnte flüchten, der Fall wurde nie gelöst. Nun gibt es eine frische Spur: Offenbar hat David in Australien zwei neue Familie gegründet und diese 1983 bzw. 1998 ebenfalls ermordet. Eine für die Aufklärung "kalter" Mordfälle gegründete Polizeiabteilung rollt den Fall auf. Davids Fährte führt nach Hopetoun.

Miller klinkt sich ein und will den Kontakt zu seinem Schwager, dem Polizeibeamten Jim Buckley, nutzen, um interne Unterlagen einsehen zu können. Dass dieser in einer anderen Sache bereits in Hopetoun ermittelt, weiß Miller nicht. Wenig später ist Buckley tot - erschlagen mit einem Stein. Cato, der keine Ahnung vom Fall Arthurs hat, glaubt an die Tat eines lokalen Drogenrings. Dass er den Weg eines gerissenen Serienkillers kreuzt, wird ihm zu spät und mit unschönen Konsequenzen bewusst ...

Vergangenes wehrt sich gegen das Vergessen

Dem schon älteren bzw. lektüreerfahrenen (sowie -geprüften) Leser fällt es bekanntlich schwer, Kriminalromane zu entdecken, deren Verfasser nicht unbedingt das Genre neu erfinden, sondern spannend unterhalten wollen. Viel zu oft wird das berüchtigte Schema F bemüht und womöglich mit klebrigen Seifenschaum verquirlt, was "Krimis" zweifelhaften Inhalts und endloser Länge hervorbringt: Dies ist jene Schwafel-Ware, die sich auf den Abverkaufs-Tischen moderner Buchladenketten stapelt und den wahren Krimi-Freund zur Verzweiflung bringt.

Umso erfreulicher ist es, zwischen den daraus notgedrungen resultierenden Griffen ins sprichwörtliche Klo unerwartet auf ein (denkbar unauffällig layoutetes) Werk zu stoßen, das die ersehnte Freude am nicht unbedingt raffiniert, sondern straff und unterhaltsam inszenierten Verbrechen zurückbringt. In unserem Fall kommt das Vergnügen einer immer noch exotischen Kulisse hinzu: Prime Cut spielt in Australien. Da der Verfasser buchstäblich vor Ort lebt, kennt er Land und Leute und weiß dieses Wissen geschickt zu nutzen. Die "Aussies" werden unter ironischer Berücksichtigung einschlägiger Klischees dargestellt und nehmen vor dem geistigen Leserauge kurzweilig Gestalt an.

Ein gewisses Gefahrenpotenzial birgt der "doppelte" Plot: Alan Carter bemüht den Zufall, wenn er in Hopetoun zwei Kriminalfälle geschehen lässt, die faktisch nichts miteinander zu tun haben. Überschwang oder die Sorge darüber, ob der Mord an einem chinesischen Wanderarbeiter allein genug Publikumsinteresse auf sich ziehen kann, stellen zwei mögliche Gründe dar. Dass ein Serienkiller nach fast vierzigjähriger Abwesenheit ausgerechnet in Hopetoun wiederauftaucht, ist definitiv ein sperriger Bissen, den der Leser einfach schlucken muss, zumal Carter trotz aller Bemühungen die beiden Krimi-Plots nie logisch miteinander verklammern kann. Dies hat u. a. ein "gestaffeltes" Finale zur Folge: Erst wird der Fall des ermordeten Chinesen geklärt, danach gerät Cato Kwong unter besonderer Strapazierung des Faktors Zufall an den genannten Serienkiller.

Figuren mit Prägetiefe

Auch sonst packt Carter (zu) viel in sein Debütwerk. Dass sich dennoch nie Längen und Überdruss einstellen, liegt einerseits an der straffen Handlungsführung (sowie an einer Übersetzung, die sowohl dies als auch den trockenen Humor der Vorlage zu bewahren weiß). Das Geschehen springt von Ereignis zu Ereignis, ohne dadurch jene Pseudo-Atemlosigkeit zu versuchen, die typisch für den modernen Thriller ist. In Hopetoun ist stattdessen tatsächlich so viel los, dass die Stakkato-Struktur aufgeht.

Das größte Pfund, mit dem Carter wuchern kann, ist andererseits sein Talent, Figuren zu zeichnen, die sich dem Leser einprägen. Es ist kein Wunder, dass Philip "Cato" Kwong nach Prime Cut bereits zwei neue Fälle lösen konnte: Carter ist auf Anhieb geglückt, woran viele (oder die meisten) seiner Schriftstellerkollegen scheitern. Er hat eine Hauptfigur geschaffen, die den Leser ohne faule Tricks interessiert.

Es wird sogar noch besser: Obwohl Kwong als "australischer Chinese" mit sozialen Vorurteilen zu kämpfen hat, ergeht sich Carter nie in jenen peinlichen Gutmenschen-Tiraden, die den modernen Kriminalroman allzu oft zu "richtiger" Literatur adeln sollen. Carter stellt fest & dar; die Reaktion überlässt er seinen Lesern, die durch gut gewählte Details unauffällig gelenkt werden. So ist der Spitzname "Cato" dem Klischee-Chinesen gleichen Rollennamens entliehen, der in der klassischen "Inspektor-Clouseau"-Filmserie Peter Sellers als Kampf- und Prügelknabe dient. Gelungene ist auch die Idee, Kwong ein früheres berufliches und moralisches Versagen nicht zu unterstellen, sondern ihn definitiv schuldig zu sprechen: Er HAT sich die Finger schmutzig gemacht, und die Charakterschwäche, die ihn damals trieb, stellt sich erneut ein.

Ähnlich plastisch werden die übrigen, obwohl recht zahlreichen Figuren charakterisiert. Menschliche Schwächen fließen ein, während der erhobene Zeigefinger abermals unterbleibt. Erwartungen der seitenschindenden Art werden unterlaufen; Carter erspart uns beispielsweise eine Wiederauflage der Liebesbeziehung zwischen Kwong und Maguire.

Der Boom und sein Preis

Carter hat es nicht nötig, Empörung zu inszenieren und auszuwalzen. Sie stellt sich ein, weil er für Unrecht und Ungerechtigkeit unmissverständliche Bilder findet. Die Boomtown Hopetoun entpuppt sich als nicht nur als Unterschlupf eines klassischen Mörders, sondern auch als Kristallisationspunkt aller Perversionen einer modernen, globalisierten Welt. Gewaltige Gewinne werden eingefahren, die in den Schlünden gesichtsloser Konzerne verschwinden. Die Zeche zahlen ganz unten die Pechvögel der Weltwirtschaft, die als trickreich ausgebeutete und rechtlose Wanderarbeiter kaum besser als antike Sklaven dastehen und als Dummköpfe behandelt werden, obwohl sie ihre Dienstherren an Intelligenz und Bildung nicht selten übertreffen.

Die Auflösung der diversen Verbrechen ist bitter aber realistisch. Vermögen und Verbindungen bieten laut Carter tatsächlich einen Schutzschild vor dem Gesetz, das den (tatsächlichen) Mörder des Wanderarbeiters fast ungeschoren davonkommen lässt. Auch der alte Serienkiller endet nur durch einen Akt von Notwehr hart an der Grenze zur Selbstjustiz.

Generell investiert Carter wenig Zuversicht in die Polizei- und Justizbehörden. Ihre Vertreter verfolgen vor allem egoistische Ziele. Winkeladvokaten biegen und beugen das Recht, Polizisten fälschen Beweise, um ihre Karrieren zu fördern. Cato Kwong steigt nur scheinbar aus; statt wie angekündigt seine Kündigung einzureichen, lässt er sich von seinem Chef, der ihn abermals überreden wollte, Berichte und Indizien zu frisieren, zurück in den aktiven Dienst locken: Kwong ist Ermittler mit Leib und Seele und als solcher in der Lage bzw. willens, sich mit Schattenseiten seines Jobs zu arrangieren. Da er nicht unbedingt über die Fähigkeit verfügt, dies durch planvolle Intrigen abzusichern, dürften sich entsprechende Probleme erneut einstellen: eine Zukunft, die den Leser zusätzlich interessieren wird, wenn hoffentlich weitere Kwong-Romane ihren Weg nach Deutschland finden werden.

Prime Cut

Alan Carter, Edition Nautilus

Prime Cut

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