Girl on the Train

  • Random House Audio
  • Erschienen: Januar 2015
  • 7
  • Köln: Random House Audio, 2015, Übersetzt: Britta Steffenhage, Rike Schmid, Christiane Marx, Bemerkung: Gekürzte Lesung
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Sabine Bongenberg
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2015

Düster aber spannend, spannend aber düster

Vermutlich macht es jeder von uns: Gehen wir an hell beleuchteten Fenstern vorbei, gönnen wir uns einen kürzeren – oder längeren – Blick in das dahinter liegende Zimmer. Bei Zugfahrten werfen wir auch gerne ein Auge darauf, was sich in den am Bahndamm liegenden Häusern tut und meistens sehen wir nur Leute beim Frühstücken oder Fensterputzen oder eine Ansammlung von Personen während einer Party.

Im Falle von Rachel ist die Sache etwas komplexer: Rachel fährt jeden Tag mit dem Zug zur Arbeit. Das sagt sie. Rachel hat ihren Alkoholkomsum im Griff. Das sagt sie auch. Rachel kommt mit ihrem Leben zurecht. Das zumindest sagt sie nicht, denn das wäre so offensichtlich gelogen, dass tatsächlich jeder es durchschauen würde. Tatsächlich fährt Rachel nach London, um eine Freundin, bei der sie nach ihrer Scheidung eingezogen ist, glauben zu machen, dass sie immer noch einen Job hat. Ihr Alkoholkonsum ist schon längst aus den Fugen gerate und ihr Leben liegt in Trümmern. Das sind die hässlichen Tatsachen.

Wen wundert's, wenn Rachel gerne Bilder aus der "heilen" Welt empfängt, wenn sie durch das Zugfenster glückliche Paare beobachtet, ihnen Namen gibt und sich sogar kleine Geschichten zu ihnen ausdenkt. Die Idylle wird jedoch getrübt, als sie eines Tages sieht, wie eine ihrer Phantasie-Heldinnen jemanden küsst, der offensichtlich nicht den "regulären" zweiten Teil des Paares darstellt. Noch beunruhigender entwickelt sich die Geschichte, als die "Fremdküsserin" am Tag danach verschwunden ist.

Klug wäre jetzt die Frau, die einen kurzen Besuch beim Polizeirevier macht und ihre Beobachtungen kurz und schmerzlos zu Protokoll gibt und es damit auf sich beruhen lässt. Aber tief in Rachels Gedächtnis schlummern noch vage Erinnerungen an eigenartige Erlebnisse aus einer Vollrauschnacht und so steigt sie tiefer in die Geschehnisse ein, als möglicherweise gut für sie ist.

Paula Hawkins macht es ihren Lesern weiß Gott nicht leicht, ihre Heldin Rachel auch nur ansatzweise zu mögen. Diese Frau hat ihr Leben im Großen und Ganzen vor die Wand gefahren: Der Ehemann Tom – weg, der Job – weg, die Wohnung – weg, bis auf eine kleines Zimmer bei Freundin Cathy, der Freundeskreis – weg. Gesteuert wird Rachel in erster Linie von einem eigenartigen Gewirr von Emotionen und alkoholbedingten Spontanentscheidungen, die den Leser regelmäßig wünschen lassen, er könnte sie einmal packen und richtig durchschütteln. Dennoch ist die Protagonistin nicht das einzige eigenartige Frauenbild, das hier vorgestellt wird. Da wäre noch Anna, die kühl berechnende neue Frau an Toms Seite, deren Gewissen offensichtlich gut mit Teflon ausgekleidet wurde, gleitet doch alles von ihr ab. Da wäre noch Megan, die beobachtete "Fremdküsserin", in deren Leben sich schon so viele Dramen ereignet haben, dass ihre Seele nur noch in Fetzen daliegen kann und nicht zuletzt in einer Nebenrolle Cathy, die duldende Freundin und Vermieterin, die regelmäßig auf eine vollgekotzte Wohnung und hastig abgestreifte, bepisste Unterwäsche im Flur trifft, aber es nicht fertig bekommt, Rachel auf die Straße zu setzen. Insgesamt: Eine düstere Versammlung von gestörten Personen.

Dennoch ist es Paula Hawkins gelungen, diese seelischen Schäden in einen glaubhaften Plot einzufügen. Rachels Handlungen wirken wirr und unlogisch, dennoch ist es durch ihren vorher geschilderten Alkoholkonsum und auch durch die Verletzungen, die sie generell erfahren musste, nachvollziehbar, warum sie so agiert. Der Leser möchte sich manchmal die Haare raufen, dennoch erscheinen die Verwicklungen des Romans nicht an solchen herbeigezogen. Gut konstruiert ist auch die Erzählstruktur dieses Whodunnit: Die drei weiblichen Hauptpersonen Rachel, Anna und Megan wechseln sich als Ich-Erzählerinnen aus unterschiedlichen Perspektiven ab. Die eine berichtet aus der Vergangenheit, die anderen beiden decken dagegen aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Gegenwart ab. Dennoch empfiehlt es sich hier, die über den Kapiteln angegebenen Datumsangaben im Auge zu behalten, um sich hier nicht im Gewirr der Erzählstränge zu verirren.

Auch die Auflösung des Romans ist – wenn auch zumindest für die Verfasserin dieser Zeilen vorhersehbar – gut gelöst und bis auf den letzten Meter spannend. Interessant ist hier auch, dass sich nicht nur eine Person als des Mordens willig und fähig entpuppt, sondern auch noch andere ihre egoistischen Untiefen offenbaren. Als kleines Manko und als Meckern auf hohem Niveau kann allenfalls angeführt werden, dass Rachels Ermittlungen – wenn man das meistens angeschickerte Herumgetappse der Heldin als solche bezeichnen will – wesentlich eher weiter geführt hätten. Hier wurden zugunsten des Spannungsbogens vielleicht ein paar Schleifen zuviel konstruiert. Dennoch können auch diese Bögen noch glaubhaft vermittelt werden, gibt doch sicherlich niemand gerne zu, dass er sich wegen eines alkoholbedingten Blackouts nicht mehr an wichtige Geschehen erinnern kann.

Bei aller Spannung ist Girl on the train aber keine leichte Lektüre, da einfach zu düster und zu trist angelegt. Denen, die im unmittelbaren Familien- oder Freundeskreis erfahren mussten, wie die Alkoholsucht Leben und Beziehungen zerstören kann, sei sogar von der Lektüre abgeraten. Zu gut hat die Autorin das "nasse" Gerede von Alkoholabhängigen getroffen, das von "ich schaffe das nur, wenn ich ein kleines Glas trinke" bis zu "ab sofort trinke ich nichts mehr" in verschiedenen Varianten wiedergegeben wird. Dennoch lässt sich bei aller Düsternis nicht von der Hand weisen, dass Paula Hawkins eine spannende Lektüre gelungen ist, die einen bis zuletzt fesselt.

Girl on the Train

Paula Hawkins, Random House Audio

Girl on the Train

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