Leise, stirb leise

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2015
  • 3
  • München: dtv, 2015, Seiten: 320, Originalsprache
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Sabine Bongenberg
60°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2014

Diese Familie hätte sich niemand ausgesucht

Es ist eine charmante Familie, von der Reinhard Rohn hier zu berichten weiß: Der Papa ist ein Mörder, Filius 1 – Golflehrer und Gernegroß, bezeichnet seinen Erzeuger mit nerviger Wiederholung als "alter Mann", Filius 2: Blasser Versicherungsmensch, Verlobte Filius 2: Hat ein Verhältnis mit Filius 1, Ehefrau: Langweilig, ins Ausland verreist und hat dort "jemanden kennengelernt", Tochter: Hat ein Verhältnis mit ihrem dicken Professor, spricht ihren alten Herrn gerne mit affektiertem französischem Akzent an.

Bei diesen charmanten Verhältnissen ist der Leser natürlich mehr als gefesselt, als die Sünden der Vergangenheit den Papa wieder heimsuchen und sich gegen seine Familie richten. Ein unbekannter Rächer schwört, seine Familie zu zerstören und beginnt unverzüglich eine Politik der Nadelstiche: Reihum stoßen den Mitgliedern unschöne Unfälle oder Nickligkeiten zu. Nur – Wen soll das bei derart sympathischen Menschen interessieren? Interessant auch die Ausgangsfrage: Kurz vor seiner Heirat mit der soliden Alma hat der bis zum letzten Kapitel anonym bleibende Protagonist "Papa" der Geschichte die Prostituierte Helga ermordet. Die nachvollziehbaren Gründe für diese Tat bleiben aber im Dunkeln. Der Täter führt als Motiv an, dass er "nicht die junge, unschuldige Alma heiraten und gleichzeitig zu einer Prostituierten gehen könnte". Warum also nicht einfach das Umfeld der Hure – hier den Kölner Eigelstein – weiträumig umschiffen und keine Besuche mehr abstatten? Soweit es der Autorin dieser Zeilen bekannt ist, liefern Huren lediglich sexuelle Dienstleistungen und interessieren sich für das Ausbleiben eines Freiers genauso viel wie der Rewe Eigelstein für das Nichterscheinen der Kundin Lise Müller. Nach der letzten Begleichung der Dienstleistungsrechnung wäre also nicht mit Ressentiments zu rechnen gewesen.

Dennoch ist dieser Prostituiertenmord nicht der Ausgangspunkt für die neuen Ermittlungen, mit denen sich die Kommissarin Lena Larcher befassen muss, sondern eine identisch gestaltete Tötung in der Neuzeit. Hier entwickelt sich auch der zweite Strang des Kriminalromans, denn auch die Ermittlungen zu dem neuen Mord an der Hure Eva bringen diverse hässliche Details aus dem Leben des Opfers ans Licht. Wenn die Schilderungen über das traurige Schicksal Larchers dazu Raum lassen. Denn ein weiteres Mal trifft der Leser hier auf eine Vertreterin der Polizei, die nach längerer Auszeit wegen eines massiven persönlichen Schicksalsschlags schwer gebeutelt den Dienst aufnimmt. Als ob das nicht ausreichen würde, werden ihre Untersuchen durch einen Kollegen unterstützt, der wegen seiner Spielsucht von seiner Ehefrau aus dem Haus geworfen wurde und seine Nächte mit dem guten alten Tröster Alkohol und den neuen Tröstungen von drogenabhängigen Straßengören vertreibt. Auch hier findet sich wieder ein Musterbeispiel der Ernsthaftigkeit unserer hart arbeitenden Polizeitruppe.

Nach diesen ganzen Einschränkungen muss es fast überraschen, dass die konstruierte Handlung dennoch auf einen Showdown und eine Auflösung hindriftet. Ob sich hier Verdachtsmomente bestätigen oder der Täter ein weiteres Mal von Reinhard Mey besungen wurde, soll hier nicht verraten werden. Abschließend bleibt dennoch die Frage, warum ein intelligenter Mörder, dem es gut gelang seine Spuren zu verwischen, ein komplettes Geständnis auf Kassetten aufnimmt, wenn er diese auch gut verschlossen in seinem Büro wähnt. Wer lässt ein gut geschliffenes Damoklesschwert permanent über seinem Kopf baumeln, auch wenn dieses mit einem Stahlseil befestigt ist? Warum verwendet eine rachedürstende Person dieses Material, das ihr wie ein Geschenk Gottes vorkommen muss, nicht unverzüglich, um das Objekt ihres Hasses zu vernichten? Warum muss sie noch eins draufsetzen? Fragen, die in Rohns Roman nicht geklärt werden können. Nebensächlich aber auch nicht uninteressant bleibt die Frage nach der permanenten Nennung des Lieblingsrestaurants der Ermittlerin. Hat der Autor hier noch einen unbezahlten Deckel liegen und verschafft dem Betreiber so eine neue bisher nicht bekannte Werbequelle?

Immerhin klären sich in Lena Larchers Leben die letzten Ungereimtheiten aus den letzten Tagen ihres Ehelebens auf und für sie nimmt ihr Leben eine erfreuliche Wendung, die aber auch so überraschend und schnell eintritt, dass auch hier die Glaubhaftigkeit leidet. Der sympathische Höhepunkt des Romans trat für die Verfasserin dieser Zeilen im Übrigen schon zu einem früheren Zeitpunkt ein: Nämlich als der nervige "Alte-Mann-Plapperer" mit einer Wagenladung Kokain aus dem Rhein gezogen wurde. Das waren doch endlich einmal gute Nachrichten!

Leise, stirb leise

Reinhard Rohn, dtv

Leise, stirb leise

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