Lady Bag

  • Argument
  • Erschienen: Januar 2014
  • 3
  • Hamburg: Argument, 2014, Seiten: 320, Übersetzt: B. Szelinski & Else Laudan
  • Bloomington: iUniverse, 2013, Titel: 'Lady Bag', Seiten: 270, Originalsprache
  • Hamburg: Argument, 2017, Seiten: 317, Übersetzt: B. Szelinski & Else Laudan
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Jürgen Priester
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2014

Walkin´ in the streets of London

Die Londoner City ist eins der größten Finanz- und Handelszentren der Welt. Täglich werden hier Milliarden Dollars, Euros und Pfunds hin und her geschoben. An der Londoner Börse wird spekuliert, gewettet und gezockt, was das Zeug hält. Die Strippenzieher an den Terminals berauschen sich an den Zahlenkolonnen, die in Sekunden über Gewinn oder Verlust entscheiden können. Den Bezug zur Realität haben diese Herren schon längst verloren. Dass bei all ihren Transaktionen auch über das Wohl oder Wehe von Millionen Menschen entschieden wird, haben sie vergessen, verdrängt oder nie realisiert. Isoliert in ihren stahlbetonierten Bürotürmen, in ihren überteuerten Eigentumswohnungen in gentrifizierten Stadtteilen können sie sich fühlen wie die Masters of the Universe.

London ist ein Paradebeispiel für die riesige Kluft zwischen arm und reich, denn nicht weit von der Glitzerwelt des Mammons entfernt sieht es ganz anders aus.

Quasi zu Füßen des vorbeieilenden Wohlstands lebt Angela May Sutherland. Ein Name, der ihr nur noch eine vage Erinnerung ist, denn so hat sie schon lange niemand mehr genannt. Sie ist die Frau mit dem Koffer (Lady Bag), der alle ihre Habseligkeiten beinhaltet, oder die Frau mit dem Hund, denn die Hündin Elektra ist ihre einzige Freundin und Gesprächspartnerin. Lady Bag ist obdachlos und zieht durch die Straßen Londons. Das war nicht immer so. Als sie noch Angela May war, hatte sie einen guten Job in einer Bank und Erspartes auf der selbigen. Sie lebte mit ihrer Mutter in deren Eigenheim, wenngleich ihr das nicht leicht fiel, denn die Alte hatte ein herrisches Wesen. Erst spät lernte sie Gram Attwood, den Mann ihrer Träume, kennen. Ihm wollte sie alles geben. Er nahm es und noch viel mehr – ihr Geld, ihr Haus, ihre Zukunft. Als sie für ihn im Gefängnis saß, verschwand er ohne Abschied.

Es sollte Jahre dauern, bis sie ihn wieder sieht, ihren persönlichen Teufel, wie sie ihn mittlerweile nennt. Sie erblickt ihn, in Damenbegleitung den Piccadilly Circus entlang flanierend und in einem Taxi entschwindend. Alte Wut und lodernder Hass flammen in ihr auf. Sie will ihn stellen. Jetzt. Über seine Begleiterin findet sie heraus, wo sie ihren Teufel treffen könnte. Bevor es soweit kommt, wird sie in eine unübersichtliche Mordgeschichte verwickelt.

Lady Bag ist kein Krimi im herkömmlichen Sinn. Es gilt zwar, einen Mord aufzuklären, und die Protagonistin ist mehr als tatverdächtig. Ja, sie weiß selbst gar nicht so genau, inwieweit sie in die Mordgeschichte involviert ist.

Die Spannung in diesem Roman resultiert aus der empathischen Verbindung, die sich sofort zwischen Leser und Heldin aufbaut. Die Lady mit ihrem ausrangierten Vuitton-Koffer und ihrer treuen vierbeinigen Begleiterin macht einen abgeklärten Eindruck. "Erst wenn du alle Hoffnung auf Veränderung aufgegeben hast, bist du frei, dich dem täglichen Existenzkampf zustellen" - zu dieser Erkenntnis ist sie kommen und sie hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Essen, Trinken, Schlafen.

Lady Bag erzählt aus der Ich-Perspektive und offenbart so ihre ganze Gefühls- und Gedankenwelt. Sie hadert mit ihrem Schicksal und besonders mit dem Mann, der für ihre Misere verantwortlich ist. Aber sie ergeht sich nicht in Selbstmitleid und Larmoyanz, sondern reflektiert ihr Leben analytisch, soweit sie dazu in der Lage ist. Ihr großes Plus ist ihre Schlagfertigkeit und ihr Humor. Und wenn der nicht hilft, dann tut´s auch ein Schluck vom algerischen Roten. Die Lady erobert das Herz des Lesers im Sturm und versetzt diesen in stete Sorge, ob sie und ihre Gefährten, den ganzen Schlamassel, auf den sie zusteuern, auch überleben werden.

Liza Cody dürfte bis dato weniger bekannt gewesen sein, aber sie ist den älteren Krimi-Lesern keine Unbekannte. Schon in den 1980er Jahren erschien auch in deutscher Übersetzung ihre kleine Roman-Reihe um die Privatdetektivin Anna Lee. In den 1990ern folgte die Bucket-Nut-Trilogie mit der unvergleichlichen Catcherin Eva Wylie. Gerade Letztere zeigt Codys Faible für außergewöhnliche Frauenfiguren. Die Autorin ist vielseitig talentiert und interessiert, arbeitet in den verschiedensten Berufen. Ihre Erfahrungen und Erlebnisse fließen in ihre Romane ein, geben ihren Charakteren die nötige "Street Credibility".

Ob in London, New York, Köln, Berlin oder Paris - eine oder mehrere Lady Bags, oder ihre männlichen Pendants gibt es in jeder Stadt. Nur werden wir sie als solche nicht erkennen. Wer von uns Normalbürgern weiß schon oder interessiert es, welche Schicksale hinter den hoffnungslosen Gestalten liegen, die uns auf Parkbänken, Lüftungsschächten oder in schmutzigen Straßenecken begegnen.

Unverschuldet ins soziale Abseits zu geraten, mag gemessen an der Gesamtbevölkerung noch die Ausnahme sein, aber es gibt Gruppen, die besonders gefährdet sind wie z.B. Erwerbslose oder Alleinerziehende. Bis über 20% der Menschen in Europa gelten als armutsgefährdet. In Deutschland allein sind fast eine halbe Millionen Menschen obdachlos, in Großbritannien sind es 250 000, zusammen fast Zweidrittel aller Obdachlosen in Europa. Die Welt der Lady Bags ist uns näher, als wir glauben möchten.

Lady Bag ist eine bittersüße Ballade über das Leben auf den Straßen Londons. Die Autorin erzählt sie mit soviel Verve und Humor, dass man hin- und hergerissen ist zwischen Lachen und Weinen. Großes Kino, das einer Verfilmung harrt.

Lady Bag

Liza Cody, Argument

Lady Bag

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