Die Geister von Havanna

  • Wunderlich
  • Erschienen: Januar 2014
  • 1
  • Reinbek bei Hamburg: Wunderlich, 2014, Seiten: 448, Übersetzt: Juliane Pahnke
  • Toronto: Penguin, 2012, Titel: 'The beggar's opera', Seiten: 345, Originalsprache
Die Geister von Havanna
Die Geister von Havanna
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Brigitte Grahl
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2014

Kubanische Verhältnisse: Nichts ist so wie es scheint

Mit ihrem Buch Die Geister von Havanna (engl. Beggar's Opera) wurde die kanadische Rechtsanwältin Peggy Blair für den Debut Dagger 2010 nominiert zu Recht, denn in ihrem ersten Krimi macht sie fast alles richtig: es gibt interessante Charaktere, eine spannende Mordermittlung in exotischer Kulisse und jede Menge Überraschungen. Von der Hauptperson, Inspector Ricardo Ramirez, möchte man gerne mehr lesen.

Ein Kommissar, der Tote sieht, klingt erstmal recht abgehoben, funktioniert aber in Peggy Blairs Die Geister von Havanna erstaunlich gut. Schließlich spielt ihr Krimi in Kuba, wo der Glaube an Geister und Magie Bestandteil der Religion Santeria ist. Inspector Ricardo Ramirez, Leiter? der Nationalen Revolutionspolizei, sieht seit kurzem die Geister von Ermordeten: Die toten Leute, die er heraufbeschwor, sprachen nie. Sie gestikulierten allenfalls oder zeichneten etwas in die Luft. Und sie verschwanden jedes Mal, sobald ihre Mörder identifiziert waren. Seine Halluzinationen schauten ihm über die Schulter und verzogen das Gesicht, wenn er Fehler machte. Sie waren ausnahmslos sehr höflich. Sie hielten sich aus dem Badezimmer und Schlafzimmer fern, und wenn Ramirez vorschlug, sie sollten jetzt lieber verschwinden, taten sie auch das. Er brauchte sie nur streng anzusehen.

Ramirez befürchtet, dass es dafür eine rationale Erklärung gibt: es ist ein Anzeichen der Levy-Körper-Demenz, einer unheilbaren Krankheit, die in wenigen Jahren zum Tod führt.

Auch für Mike Ellis, einen kanadischen Polizisten, der seinen Urlaub in Havanna verbringt und nach einer durchzechten Nacht als Kindermörder und vergewaltiger verhaftet wird, läuft die Zeit ab. Bei Kapitalverbrechen durch Ausländer müssen die Ermittlungen innerhalb von drei Tagen abgeschlossen sein. Die Beweise für seine Schuld sind erdrückend, ihm droht die Todesstrafe, denn Kuba fährt einen harten Kurs gegen Sexualstraftäter, um Sextouristen abzuschrecken. Die kanadische Anwältin Celia Jones reist ein, um Beweise für die Unschuld von Ellis zu sammeln. Ihr bleibt ein Tag bis zur Klageerhebung, ein scheinbar aussichtsloses Unterfangen.

Bei Die Geister von Havanna handelt es sich um einen waschechten Krimi, um die Frage: Wer war es? Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Ellis, Ramirez und Cruz erzählt und der Leser bleibt mit ihnen auf dem gleichen Wissensstand. Die Ermittlungsarbeit vollzieht sich realistisch, Schritt für Schritt vergrößert sich der Erkenntnisstand, das Zeitultimatum sorgt dafür, dass die Handlung zügig voranschreitet. Das Buch bleibt bis zuletzt spannend, weil Handlung und Täter nicht vorhersehbar sind.

Trotz des Tempos nimmt sich Peggy Blair Zeit, ihre Charaktere zu entwickeln und den Zustand der kubanischen Gesellschaft zu beschreiben, durch die Augen der Einheimischen und der ausländischen Besucher. Die Geister von Havanna beschreibt ein Kuba voller Korruption, Armut und Mangelwirtschaft, aber erzählt auch vom Zusammenhalt, Improvisationstalent und Überlebenswillen der Einwohner und den kulturellen Reizen und Traditionen des Landes. Blair webt geschickt kleine Exkurse zu Politik und Geschichte in den Krimi ein, ohne dass es den Erzählfluss stört.

Trotz der ernsten Themen, mit denen sich das Buch beschäftigt, ist Die Geister von Havanna eine vergnügliche Lektüre dank des beißenden Humors, mit dem Ramirez und seine Landsleute die Zustände kommentieren: Der Minister genoss den Ruf, einer der bürokratischten und ineffektivsten Männer in Castros Regierung zu sein. Das war schon eine Leistung, wenn man bedachte, wie groß die Konkurrenz war.

In Die Geister von Havanna hat die Autorin interessante Charaktere entworfen, die den üblichen Krimi-Stereotypen neue Facetten abgewinnen. Da ist zuerst der geistersehende Inspector Ramirez, der pragmatisch und trickreich mit den Herausforderungen fertig wird, die sein Job und sein Alltag in der kubanischen Gesellschaft mit sich bringen. Trotzdem verliert er nie seine moralische Integrität. Ebenso wachsen dem Leser sein kleinwüchsiger Freund, der Gerichtsmediziner Hector Apiro, und die tatkräftige Anwältin Celia Cruz ans Herz. Peggy Blair schafft es, dass man selbst mit den "Bösen" Mitleid hat, weil man ihr Schicksal kennenlernt.

Wenn man dem Debüt von Peggy Blair etwas vorwerfen kann, dann, dass das Ende etwas zu überladen ist. In Die Geister von Havanna hat beinahe jede Person ein Geheimnis und nichts und niemand ist, wie oder wer er auf den ersten Blick erscheint. Eine Verkettung von Zufällen bringt eine Handlung in Gang, an deren Ende alte und gegenwärtige Schuld aufgedeckt und eingelöst wird. In vielen langen Dialogen werden alle Geheimnisse gelüftet und der Tathergang noch einmal erklärt, damit es auch der letzte Leser versteht. Es hätte nicht geschadet, ein paar der Enthüllungen für die nächsten Bücher um Inspector Ricardo Ramirez aufzusparen. Die Reihe wird nämlich fortgesetzt. Der zweite Fall "The Poisoned Pawn" ist schon auf Englisch erschienen und bringt ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Der dritte Fall "Hungry Ghosts" ist schon in Arbeit, weitere Bücher in der Reihe sind geplant.

Die Geister von Havanna

Peggy Blair, Wunderlich

Die Geister von Havanna

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