Frauen hassen

  • Grafit
  • Erschienen: Januar 2014
  • 0
  • Dortmund: Grafit, 2014, Seiten: 342, Originalsprache
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Andreas Kurth
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2014

Von der Quotenfrau zur Rockerbraut

Die Züricher Polizistin Johanna di Napoli wird von ihrem Vorgesetzten dafür eingeteilt, einen Artikel für die Mitarbeiter-Zeitschrift zu verfassen. Da sie gerade versucht, mit dem Rauchen und Trinken aufzuhören, ist ihre Laune ohnehin nicht die beste. Sie lässt sich nur widerstrebend überreden, an einem Undercover-Einsatz in Deutschland teilzunehmen. Ihren neuen Freund Max bekommt sie allerdings derzeit kaum zu sehen, da ist ein brisanter Job für ein Wochenende eine reizvolle Aufgabe. Ein Polizist wurde dort in eine Rockerbande eingeschleust, sie soll jetzt seine Freundin darstellen, um seine Legende glaubwürdige zu machen. Aber Jo hat in Zürich einen Abend mit einem Verbrecher in einer Bar verbracht, ohne zu wissen, um wen es sich handelt. Zwei Schweizer sind nämlich in enger Kooperation mit den deutschen Kriminellen. Die Tarnung fliegt auf, der Einsatz ist ein Fiasko. Zurück in der Schweiz führen di Napolis Recherchen schnell zu neuen Spuren, und die Entwicklung spitzt sich im Finale mehr als dramatisch zu.

Schillernde Figur mit Reibungspunkten

Johanna di Napoli läuft auch im neuen Roman von Michael Herzig wieder zu großer Form auf – in jeder Hinsicht. Sie ist bei Lesern und Rezensenten eine Figur, die polarisieren dürfte. Zunächst war sie in den Romanen eine Polizistin, die – wie bei vielen Autoren leider üblich – mit persönlichen und Alkoholproblemen zu kämpfen hatte. Nun hat sie plötzlich eine einigermaßen stabile Beziehung, und versucht, sich das Saufen und Rauchen abzugewöhnen. Langweilig? Ganz im Gegenteil. Ich finde diese Wendung in der persönlichen Entwicklung der Protagonistin ziemlich spannend, weil das mal gegen den Strom läuft. Und Johanna di Napoli verliert dabei in meinen Augen überhaupt nichts von ihrer Faszination, sie ist eine schillernde Figur, an der man sich reiben kann. Da gehört es auf jeden Fall dazu, dass die Leserschaft durchaus unterschiedlicher Meinung ist.

Bis es zu dem auf dem Umschlag und im Klappentext geschilderten Undercover-Einsatz in Deutschland kommt, braucht der Roman scheinbar reichlich Anlauf. Tatsächlich werden hier aber mehrere Handlungsstränge und -ebenen ausgebreitet, die später allesamt zusammen gehören. Da ist Johanna di Napoli mit ihren privaten und dienstlichen Problemen, die auf eher unaufdringliche Weise geschildert werden. Da sind die Rocker und andere Verbrecher in Berlin, von denen man allenfalls ahnt, wie sie später mit di Napoli in Verbindung stehen werden. Da ist eine ehemalige Polizistin, die in merkwürdige Vorfälle verwickelt wird. Das wirkt zuweilen etwas konfus, aber Michael Herzig schafft es durch seinen Erzählstil, den Leser an die verworrene Geschichte zu fesseln.

Enttarnung durch blöden Zufall

Die Schweizer Polizistin hat zunächst Vorbehalte gegen den Einsatz in Deutschland, weil sie dort eine Rockerbraut darstellen soll. Dennoch willigt sie ein, um dem deutschen Kollegen bei seinem Einsatz gegen die kriminelle Bande zu helfen. Die ganze Sache geht schnell daneben, da di Napoli durch einen unglaublichen Zufall enttarnt wird. Zurück in der Schweiz muss sie sich noch Vorwürfe gefallen lassen, eine Beziehung mit einem der gesuchten Täter gehabt zu haben. Bei ihren Bemühungen, diese Beschuldigungen zu entkräften, entdeckt di Napoli eine vielversprechende Spur, und schon bald ist sie mit ihren Kollegen auf der Suche nach zwei skrupellosen Männern, die mit den Vorfällen in Berlin zu tun haben, aber auch in der Schweiz einiges auf dem Kerbholz haben. Der Fall nimmt immer mehr an Dynamik zu, und im dramatischen Finale werden auch alle vorher rätselhaften Puzzleteile zusammen gefügt.

Zahlreiche Rätsel für die Leser

Der Titel des Romans Frauen hassen ist offenbar absichtlich zweideutig gewählt. Die Frage, ob es um Frauen, die hassen, oder aber um Männer, die Frauen hassen geht, wird erst ganz zum Ende hin beantwortet. Schon auf diesem Rätsel kann der Leser von Beginn an "herumkauen", aber es kommen im Zuge der fortschreitenden Handlung noch mehr dazu. Michael Herzig versteht es ausgezeichnet, seine scheinbar verworrenen Erzählstränge immer enger zusammenzuführen, und dabei dennoch neue Fragen aufzuwerfen. So entsteht ein enormer Spannungsbogen, der den Leser bis zu Ende in Atem hält.

Denn selbst der aufmerksame Leser hat so seine Probleme, zu sortieren, wann die Handlung in der Schweiz, und wann in Deutschland spielt. Und die weiteren Zusammenhänge sind zunächst wirklich völlig unklar. Wer der faszinierenden Geschichte dennoch folgt, wird irgendwann förmlich angesogen und kann das Buch kaum noch aus der Hand legen. Die Sprache und der Erzählstil dürften für einige Leser höchst gewöhnungsbedürftig sein, ich habe die stark umgangssprachlich geprägten Dialoge dagegen genossen. Es wirkt zuweilen proletenhaft, aber dennoch überaus authentisch. Ein wirklich lesenswertes Buch mit einer starken Protagonistin, von der man bald mehr lesen möchte.

Frauen hassen

Michael Herzig, Grafit

Frauen hassen

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