Aus der Spur

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2011
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  • Las Vegas: AmazonEncore, 2009, Titel: 'Final price', Originalsprache
  • München: Heyne, 2011, Seiten: 384, Übersetzt: Katharina Maier
Aus der Spur
Aus der Spur
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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2014

Autokauf mit mörderischem Risiko

Nachdem in New York die Jagd auf einen Entführer in einem Fiasko gipfelte, sucht Detective Paul Chang in Wilmington, einer Kleinstadt im US-Staat Delaware, den Neuanfang. Die Kollegen von der State Police und vor allem Colonel Byrd, sein Chef, sind neidisch auf den erfahrenen Kollegen aus der großen Stadt. Ebenfalls im Nacken sitzt Chang seine kranke aber herrschsüchtige Mutter. Zudem kämpft er mit eigenen Dämonen, denn Chang ist jähzornig und muss den "Drachen" in sich ständig kontrollieren.

Diese Selbstdisziplin bringt Shamus Ryan nicht mehr auf. Von einer lieblosen und grausamen Großmutter aufgezogen, hat er sich zu einem echten Soziopathen entwickelt, der seinen Zorn auf die ganze Welt nährt. Endlich hat er ein Ventil gefunden: Ryan verkauft Autos. Kunden, die ihn ärgern und nicht ihm den Vertrag unterschreiben, werden gestalkt, dann überfallen, gefoltert und umgebracht. Dabei achtet Ryan sorgfältig darauf zu vertuschen, dass alle Opfer im Autohaus "Patriot Motors" vorstellig geworden waren.

Inzwischen kann Ryan eine stolze Jagdstrecke vorweisen. Immer brutaler werden seine Morde, immer kürzer die Abstände zwischen den Taten. Der Fall geht an Paul Chang, der seinen Ex-Partner zu Rate zieht. Nelson Rogers ist gesellschaftlich nur bedingt hoffähig aber ein brillanter Spurenleser, der in Verbrecherhirne förmlich hineinkriecht. Deshalb riskiert Chang den Ärger, den ihm Rogers beschert, denn Colonel Byrd will Gouverneur werden und den Killer deshalb medientauglich gefasst sehen.

Ohnehin beginnt die Presse sich auf Chang einzuschießen, dem nur bleibt, auf das nächste Opfer zu warten, um die Indizienlage zu verbessern. Endlich begeht Ryan einen Fehler. Ohne seine Mordlust zu dämpfen, setzt er alles daran, dies auf Changs und Rogers' Kosten zu korrigieren ...

Neue Figuren in einem alten Spiel

Die gute Nachricht vorweg: In seinem ersten (Kriminal-) Roman versucht Gregory Smith nicht, das Rad neu zu erfinden. Gute Cop-Thriller sind in ihrem Bauplan eher schlicht, doch was anderenorts als Klischee die Lesernerven strapaziert, ist hier ein tragendes Element, auf das genannter Leser nicht verzichten mag.

Also ist Aus der Spur vor allem eine aufregende Jagd zwischen Kriminalist und Verbrecher. Immer wieder blendet Smith vom einen zum anderen um. Er macht nicht lange ein Geheimnis aus der Identität des Killers. Aus der Spur ist kein "Whodunit". Die Ermittlung sorgt für die Spannung. Der Wettlauf zwischen Gut & Böse nimmt bis zum gebührend dramatischen Finale ständig an Tempo zu.

Raffinesse ist in diesem Konzept kein Muss. Das Rennen benötigt höchstens Boxenstopps. Der Weg zum Täter, der nicht identifiziert, sondern gestellt werden muss, ist also steinig, gewunden und mit Hindernissen gepflastert, denn die Jagd darf nicht einfach sein, um die Spannung zu steigern. Gern wird in diesem Zusammenhang ein Opfer in Todesgefahr gebracht, das dem Familien- oder Freundeskreis des ermittelnden Cops entstammt. Auf diese Weise wird die Dramatik weiter geschürt. Smith ist in diesem Zusammenhang keine Ausnahme.

Die Schrecken des Einzelhandels

Auch Serienkiller Shamus Ryan wird keineswegs originell charakterisiert. Das könnte daran liegen, dass Smith als Autor noch ein wenig unbeholfen ist – dazu weiter unten mehr. Es mag aber auch Absicht sein: Ryan ist jedenfalls nur anfänglich ein überlegener Gegner. Dabei hilft ihm, dass er aufgrund seiner Sorgfalt an den Tatorten lange unter dem Radar der Polizeiermittler fliegt. Als er endlich erfasst wird, dauert es gar nicht lange, bis Chang und Rogers ihn aufs Korn nehmen. Das wirkt durchaus realistisch, zumal Ryan es bald an der notwendigen Übersicht fehlen lässt: Wird ein Soziopath zum Serienkiller, beginnt er in der Regel irgendwann die Kontrolle über seinen Trieb zu verlieren. So lautet eine jener Profiler-Weisheiten, mit denen wir dank zahlloser Sachbücher, TV-Krimis und ´Dokumentationen' der jüngeren Vergangenheit längst vertraut sind.

Folgerichtig kommt es, wie es kommen muss: Einerseits tun Chang und Rogers einfach ihren Job, von dem sie etwas verstehen, andererseits verliert Ryan den Faden und bringt sich selbst ins Zentrum der Ermittlung. Für Smith ist der Soziopath eine interessante aber weder geniale noch sympathische Figur, obwohl wir zwischenzeitlich ein gewisses Verständnis für seine Taten entwickeln. Dies liegt im Milieu begründet, in dem Täter und Opfer sich treffen. Der US-amerikanische Autoverkäufer ist eine klassische, vor allem in der TV-Sitcom gern parodierte Hassgestalt. Im großkarierten Jackett sitzt er servil, dauergrinsend und Sonderrabatte versprechend den Kunden im Nacken und redet diesen noch die übelste Schrottkarre schön, um sich die Provision zu sichern, die sein eigentliches Einkommen darstellt. Hinter den Kulissen wartet schon der Chef, der ihm die Hölle heiß macht, weil ein Geschäft nicht zustande gekommen oder ein Kredit geplatzt ist, während die Kollegen einander die Kunden abjagen: Dies ist Kapitalismus in seiner reinen, brachialen, hässlichen Gestalt!

Smith war selbst im Autohandel tätig und kennt sich aus. Nie wirkt Aus der Spur so authentisch wie in jenen Szenen, die einen von ständigem Erfolgsdruck und Stress geprägten Berufsalltag beschreiben. Natürlich wissen die Kunden, dass der Verkäufer sie übers Ohr hauen will bzw. setzen es voraus. Das Ergebnis ist ein erbittertes Feilschen, das beide Seiten durchaus persönlich nehmen können. Smith gab im Interview zu, dass ihm die Idee zu seinem Roman gekommen war, als er sich nach wieder einem harten Tag im Laden wenigstens vorstellte, wie er allzu störrischen Kunden in den Hintern trat, statt ihnen dort hineinzukriechen.

Kein Ritter ohne Fehl & Tadel

Die Hauptfigur einer geplanten Romanserie muss leicht zu identifizieren sein. Etwas zu eifrig geht Smith auf Nummer sicher: Paul Chang ist Amerikaner mit asiatischen Wurzeln, die ihn – in Gestalt seiner nie zufriedenen, mit Vorwürfen nie sparenden Mutter – eher fesseln als nähren. Außerdem ist er auffällig groß und ringt selbst mit inneren Dämonen. Chang ist jähzornig und muss den "Drachen" in sich unter Kontrolle halten. In einer ungeschickt eingefügten Szene stößt er zufällig auf zwei Straßendiebe, die er sogleich krankenhausreif prügelt, um uns Lesern dies zu verdeutlichen.

Außerdem plagen ihn Schuldgefühle und Erinnerungen an den gescheiterten Fall in New York. Mehrfach musste sich dieser Rezensent vergewissern, mit Aus der Spur den Auftakt einer geplanten Krimi-Serie zu lesen. Immer wieder scheint Smith Bezug auf einen früheren Band zu nehmen. Stattdessen übertreibt er es mit den Rückblenden, die Tragik nicht erzeugen können, sondern erzwingen wollen.

Changs Partner Nelson Rogers fällt in die Kategorie "Genie/Nerd", aus der er nicht wirklich herausfindet, obwohl sich Smith Mühe gibt, das reine Klischee zu vermeiden. Vor allem in den tragischen Momenten meint man zu merken, dass der Verfasser sich unsicher war. Solche Passagen wirken aufgesetzt. Wirklich schlimm wird es, wenn Smith eine Intrige zu konstruieren versucht, die in hohen Polizeikreisen spielt und die Politik einschließt. Diese Schilderungen sind nur naiv. Peinlich wird es, wenn sich der Autor an einer Liebesgeschichte versucht.

Deshalb tut Smith gut daran, sich primär auf die Darstellung von Polizeiarbeit zu konzentrieren. Sie liegt ihm deutlich besser als die Seifenoper. Selbst der Zufall spielt eine glaubhafte Rolle. In den USA ist ein zweiter Band inzwischen erschienen. Chang und Rogers sind jetzt als Privatdetektive tätig. Falls es ihre Abenteuer weiterhin übersetzt nach Deutschland schaffen, darf man gespannt sein, ob Gregory Smith seine Anfängerschwierigkeiten in den Griff bekommen hat. Einfach ´nur' spannende, gut lesbare Kriminalromane liest man allemal lieber als überkonstruierte, überfrachtete  Super-Thriller!

Aus der Spur

Gregory Smith, Heyne

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