Die Kairo Affäre

  • Blessing
  • Erschienen: Januar 2014
  • 1
  • München: Blessing, 2014, Seiten: 520, Übersetzt: Rudolf Hermstein
  • München: Heyne, 2015, Seiten: 496, Übersetzt: Rudolf Hermstein
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2014

Lügen mutieren zu gefährlichen Wahrheiten

2011 hat jene Woge von Protesten und Aufständen, die unter dem Namen "Arabischer Frühling" beinahe sämtliche Staaten Arabiens und Nordafrikas erfasst hat, auch Libyen und Ägypten erreicht. Seit Jahrzehnten förmlich zementierte Machtstrukturen beginnen zu wanken, die ersehnte Freiheit für "das Volk" scheint endlich greifbar zu sein.

Aus der Ferne beobachten die USA besorgt diesen Prozess. Das Land hat politische und wirtschaftliche Interessen in der Region, für dessen Wahrung die bisherigen Machthaber gut unterstützt wurden. Nur Muammar al-Gaddafi, den unberechenbaren Diktator von Libyen, wäre man gern los. Dafür hatte die CIA einen Plan namens "Stumbler" entwickelt, der die Destabilisierung des Regimes im Rahmen einer US-unterstützten und gesteuerten Revolution vorsah, aber ad acta gelegt wurde.

Analyst Jibril Aziz argwöhnt, dass sich die CIA stattdessen in die nunmehr vom Volk selbst ausgehende Revolution ‚einklinken' will, um sich die Kontrolle zu erhalten. Opfer gäbe es nur unter den Revolutionären: eine bequeme und kostengünstige Lösung für die USA. Aziz mag eine solche zynische Aktion nicht mittragen. Er will sich mit jenem Kollegen beraten, der einst vehement gegen "Stumbler" gestimmt hatte: Emmett Kohl ist inzwischen Stellvertretender US-Konsul in Budapest. Dort wird er kurz darauf von einem Mietkiller erschossen. Aziz verschwindet wenig später in der libyschen Wüste.

Sophie Kohl, Emmetts Ehefrau, fordert Antworten, die ihr die CIA nicht geben will. Auf eigene Faust reist sie nach Kairo, um dort ihren Ex-Liebhaber, den Geheimdienstler Stan Bertolli, auszuhorchen. Sophie stößt in ein Wespennest, denn womöglich steckt die CIA selbst hinter dem Attentat, um eine undichte Stelle zu stopfen. Eine Witwe, die bohrende Fragen stellt, ist in dieser Situation ebenso lästig wie ein von der Moral gepackter oder ein liebeskranker CIA-Mann, wie Sophie, Bertolli und Aziz bald unter unerfreulichen Umständen erfahren müssen ...

Ein Spiel mit mörderischen Regeln

Obwohl sich die politische Welt allein im Verlauf der letzten 100 Jahre immer wieder und oft rapide verändert hat, blieb die Arbeit der Geheimdienste im Kern gleich: Weiterhin gilt es, den Gegner so zu bespitzeln, dass er es bestenfalls nicht bemerkt. Falls doch, versucht man, ihn überzeugend über wahre Absichten zu täuschen und ihn mit Falschinformationen zu füttern.

Entstanden ist ein maschenreiches globales Spinnennetz, dessen Bewohner einander belauern, täuschen und notfalls ausschalten: Der Kampf der Geheimdienste kostet weniger Menschenleben als ein offener Krieg. Trotzdem ergeht es jenen Agenten, die sich erwischen lassen, oft übel, denn obwohl die Spionage ein weltweites Metier ist, gilt sie als heimtückisch, weshalb zur Abschreckung oft Agentenköpfe rollen. Natürlich hält dies die betroffene Seite nicht ab, es wieder zu versuchen; man bemüht sich höchstens, beim nächsten Mal sorgfältiger zu spitzeln.

"Das große Spiel" nennt man gern den tödlichen Tanz der Geheimdienste. Bekannt wurde ist dieser Begriff durch Rudyard Kipling (1865-1936), der ihn nicht erfand, aber in seinem Roman Kim (1901) verwendete und einer breiten Leserschaft vermittelte. Was sich hinter der romantisierenden Bezeichnung verbirgt, wurde zu einem eigenen Genre der (Unterhaltungs-) Literatur. Tarnen, täuschen, töten: Auf diese Trias zugespitzt, wird die normalerweise eher banale Agenten-Wirklichkeit zum spannenden Thriller.

Eine Stadt mit Geschichte

Die Elemente sind klassisch: Verrat und Liebe vor der Kulisse eines ebenso malerischen wie gefährlichen Ortes. Kairo, die mehr als tausendjährige Hauptstadt Ägyptens, ist der ideale Schauplatz, die Stadt selbst ein Moloch, der auf einer ungemein facettierten Geschichte hockt, die durch antikägyptische, römische, osmanische, französische und britische Einflüsse geprägt wurde. Bis zur Unabhängigkeit 1922 wurden Ägyptens Geschicke immer wieder durch fremde Mächte ferngesteuert. Vor allem wirtschaftliche Interessen galt es zu sichern. Hinzu kamen politische Ambitionen, denn Ägyptens Stimme zählt in der arabischen Welt. Das Land taugte seit jeher als Sockenpuppe westlicher Mächte.

Olen Steinhauer schildert Kairo nicht als Schmelztiegel. Obwohl klare Fronten kaum erkennbar sind, bleiben die unterschiedlichen Interessengruppen isoliert. Uralte Feindseligkeiten spielen eine große Rolle, hinzu kommt eine aus trüben Erfahrungen und Nationalstolz gleichermaßen befeuerte latente oder offene Fremdenfeindlichkeit. Die ausländischen Mächte nutzen wiederum den Schutz des höchstens halbwegs organisierten Chaos' namens Kairo, um offener (oder dreister) als anderswo zu agieren und intrigieren. Dabei kommen seltsame Bekanntschaften oder sogar Freundschaften zustande; der "kurze Dienstweg" selbst zwischen gegnerischen Agenten gehört (laut Steinhauer) zum Arbeitsalltag eines Spions.

In der Schilderung setzt der Autor auf bewährte Klischees, die er durch aktuelles Zeitgeschehen auffrischt. Der "Arabische Frühling" schien ab Ende 2010 den etablierten Ordnungen ein Ende zu bereiten - eine Vorstellung, die nicht nur den alten Machthabern, sondern auch den ausländischen Geheimdiensten Sorgen bereitete. Steinhauer haut in diese Kerbe, wenn er eine Verschwörung postuliert, die den US-Geheimdienst die Revolution instrumentalisieren lässt.

Alle wissen Bescheid, aber niemand weiß etwas

Die Kairo-Affäre ist kein innovativer Thriller. Tatsächlich ist die Handlung sogar altmodisch; sie wirkt nur aktuell und authentisch, weil Steinhauer Realität und Fiktion geschickt miteinander verknüpft. Ansonsten folgt sie den bekannten Elementen des Spannungsromans. Jede/r belügt sein Gegenüber, ist auf den eigenen Vorteil bedacht, verfolgt sorgfältig verborgen gehaltene Pläne, ist aber gleichzeitig nur Figur auf einem Spielbrett, von dem sie jederzeit genommen werden kann.

Zunächst sehr geheimnisvoll wirkende Ereignisse klären sich im Laufe des Geschehens vergleichsweise banal auf. So ist es auch im wirklichen Leben, aber in der Fiktion hätte man es gern ein wenig komplexer. Bis die Karten auf den Tisch gelegt werden, bemüht sich Steinhauer um eine zusätzliche Verständnisebene, indem er zentrale Szenen überlappen lässt: Schildert er sie zunächst aus der Sicht der einen Hauptfigur, wechselt er später zu einer anderen. Beide Seiten ergänzen sich zur Erklärung dessen, was tatsächlich geschieht. Dies erschließt sich zunächst nur dem Leser - ein simpler aber gut funktionierender Kniff.

Anders als im Rätselkrimi steht nicht die Suche nach dem Täter im Mittelpunkt. Wichtiger sind jene, die hinter dem Mann oder der Frau am Abzug stehen. Geheimdienste haben heute zu Recht einen schlechten Ruf; die CIA hat ihn sich besonders redlich erarbeitet. Sie taugen deshalb als Bösewichte, die vorgeblich tun, was zum Wohle ihres Landes getan werden muss, aber dabei verdrängen und vertuschen, dass sie sich in ihren Methoden dem Feind immer stärker annähern. Paranoia ist deshalb geheimdienstintern üblich, denn womöglich ist der Kollege von heute der "whistleblower" von morgen. Dank "WikiLeaks" wurden die Karten zum Teil neu gemischt; auch Steinhauer geht auf diese Website und ihre Folgen für seine Geschichte ein.

Auch Spione sind Menschen

Sowohl interessant als auch etwas naiv wirkt Steinhauer, wenn er zu erklären versucht, welche Motive Menschen in Spione verwandeln. Vor allem Emmett und Sophie Kohl bleiben blass. Der Autor investiert viel Zeit, eine Parallelhandlung zu inszenieren, die beide als junges Ehepaar auf den bürgerkriegsverheerten Balkan führt, wo zum Teil grausame Erlebnisse sie zu politisch aktiven Zeitgenossen "reifen" lassen, was Emmett eine Agentenlaufbahn einschlagen lässt. Auch Sophie zieht ihre Konsequenzen, die freilich mit der eigentlichen Handlung wenig zu tun haben, weshalb Steinhauer ihnen zu viel Platz einräumt.

Auf die übrigen Figuren bleiben farblos. Zum Teil will es der Autor so: Agenten werden mit den Jahren wie alte Ehepaare - sie beginnen einander zu gleichen. Dabei ist es relativ gleichgültig, welchem Regime oder welcher Regierung sie dienen. Im Vordergrund steht das "Große Spiel" mit seinen eigenen Regeln.

Überzeugend versteht Steinhauer dies mit einer erst spät eingeführten Hauptfigur darzustellen. Der ägyptische Geheimdienstmann Omar Halawi ist die mit weitem Abstand interessanteste Person dieses Romans - ein alter, müder Mann bar jeder Illusionen, die seinen Job betreffen. Doch Halawi hat weder seinen scharfen Verstand noch seinen Sinn für Gerechtigkeit verloren. Letztlich ist er es, der das Gespinst einer Verschwörung zerreißt, die sich plötzlich auf schrecklich gewöhnliche Motive reduzieren lässt. Nicht die große Politik steckt dahinter, sondern menschliche Gier.

Auf diesen letzten 100, 150 Seiten nimmt Die Kairo-Affäre jene Fahrt auf, die man im Mittelteil vermisst hat. Wie gesagt werden keine weltbewegenden oder "schockierenden" Geheimnisse aufgedeckt, doch gerade das wird nun flüssig abgehandelt und wenig spektakulär aber zufriedenstellend abgeschlossen - eine Wendung, die den schon etwas unruhig gewordenen Leser versöhnt und zu einem positiven Urteil veranlasst.

Die Kairo Affäre

Olen Steinhauer, Blessing

Die Kairo Affäre

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