Rotglut

  • Gmeiner
  • Erschienen: Januar 2013
  • 2
  • Meßkirch: Gmeiner, 2013, Seiten: 378, Originalsprache
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Andreas Kurth
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2014

Dunkle Schatten der blutigen Vergangenheit

Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika 2010. Kommissar Heiner Hölzle möchte mit Freunden das Spiel zwischen Deutschland und England genießen. Als jedoch eine Leiche im Bremer Bürgerpark gefunden wird, ist es mit dem Fußball-Enthusiasmus vorbei. Der Tote gibt einige Rätsel auf, denn die Polizei findet heraus, dass er offiziell seit 35 Jahren tot ist. Es stellt sich jedoch heraus, dass er seinen Tot bei einem Verkehrsunfall seinerzeit fingiert hat, um sich – ohne Frau und Tochter – ins Ausland abzusetzen. Hölzle und seine Kollegen müssen nun klären, warum der Mann nach so langer Zeit in seine Heimat zurückgekehrt ist? Was wusste die Frau des Toten wirklich? Und wer könnte ein Mordmotiv haben? Der Fall entwickelt sich äußerst turbulent, und durch Rückblenden in die 70er Jahre ist der Leser den Kommissaren zuweilen etwas voraus. Richtig rätselhaft wird es dann, als sich der Verfassungsschutz mit üblen Methoden in die Sache einschaltet. Bis zur dramatischen Lösung muss Hölzle einige dicke Bretter bohren.

Durchdacht und facettenreich

Liliane Skalecki und Biggi Rist haben mit Rotglut einen spannenden Roman vorgelegt, den ich als gelungene Mischung aus Polit-Thriller und Kriminalroman bezeichnen möchte. Wenn man den Prolog einbezieht, schlagen die Autorinnen einen weiten Bogen vom Beginn der 60er Jahre, über die aufgeregte Phase der Nach-68er und des linksradikalen Terrorismus im Deutschland der 70er Jahre, bis in die Gegenwart. Der Plot ist wirklich durchdacht und facettenreich. Der in Selbstgesprächen und in Gedanken stets schwäbelnde Kommissar Heiner Hölzle ist ein sympathischer Protagonist, der vor allem auf die gute alte Polizeiarbeit setzt. Seine privaten Probleme werden von den Autorinnen geschickt in die Handlung des Kriminalfalls eingewoben, was sogar noch zu einer Dynamisierung der Handlung führt.

Gewöhnungsbedürftig – das ist mehr als Beschreibung, und weniger als Kritik gemeint – sind die Zeitsprünge. Auch durch das üppige Personaltableau muss man als Leser gedanklich stets dabei sein, um keine Nuancen oder neuen Wendungen zu verpassen. Das Verständnis der Zeitsprünge, die ziemlich rasant hin und her gehen, wird erleichtert, indem die Autorinnen neuen Abschnitten oder Kapiteln jeweils eine konkrete Zeitangabe voran stellen. Wie bei vielen Polit-Thrillern üblich hätte eine kleine Übersicht der Protagonisten und ihrer Funktion nicht geschadet, aber das ist vielleicht auch eine reine Geschmacksfrage.

Ermittler machen kleine Schritte

Der Ausgangspunkt der Handlung ist geschickt gewählt. Die gemütliche Stimmung im beschaulichen Bremen während der Fußball-Weltmeisterschaft wird für den Kommissar jäh unterbrochen, als im Bürgerpark von zwei jungen Frauen eine Leiche gefunden wird. Der Leser weiß auch durch die Rückblicke in die 70er Jahre schon mehr über den Toten als die Ermittler. Das Rätsel um die Rückkehr und den Mord an dem Mann, der 35 Jahre an der Westküste Afrikas gelebt hat, wird dadurch jedoch nicht besser durchschaubar. Nur in kleinen Schritten kommen die Ermittler weiter und stoßen schließlich auf einen ungelösten Fall von 1974. Damals beherrschte die RAF die Schlagzeilen, und der Verfassungsschutz geriet seinerseits mit seinen Ermittlungsmethoden ins Zwielicht. Und auch in der Gegenwart interessiert sich der Inlandsgeheimdienst für die Vorgänge um die Leiche im Bürgerpark. Hölzle und seine Kollegen brauchen ziemlich lange, um hier Licht ins Dunkel zu bringen, und die Gründe für die  Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes werden nicht wirklich deutlich.

Protagonist dient als anschauliches Beispiel

Die Entführung eines Bremer Bankiers, dessen spätere Ermordung, und das Bombenattentat 1974 im Bremer Hauptbahnhof rücken immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Autorinnen schildern eingehend die Anfälligkeit der Jugendlichen aus bürgerlichem Hause für die Thesen der RAF und ihres Unterstützer-Umfeldes. Insbesondere Raimund Stegmann muss hier  - nicht zuletzt aufgrund seiner Vorgeschichte, die im Prolog drastisch geschildert wird – als anschauliches Beispiel herhalten. Die Ermittler sind bei ihren Nachforschungen sowohl bei den Betroffenen als auch beim Verfassungsschutz in eine Art Wespennest gestoßen – mit den entsprechenden Folgen. Wohldosiert streuen die Autorinnen weitere Todesfälle ein, und im Finale wird es noch dramatischer.

Ein Roman zum Mit- und Nachdenken

Romane, die in Berlin spielen, haben mittlerweile recht häufig einen Bezug zur DDR-Vergangenheit oder zu alten Stasi-Machenschaften. Das zweite brisante Thema aus der jüngeren deutschen Vergangenheit, der linke Terror, wird von Liliane Skalecki und Biggi Rist sehr gelungen verarbeitet. Der Rückblick in die turbulenten 70er Jahre mit den ausklingenden Studenten-Protesten und dem Terror der RAF und ihrer diversen Nachläufer ist authentisch umgesetzt, mit passenden Dialogen und – der Zeit entsprechend – ambivalenten Charakteren.  Der Verfassungsschutz wird angemessen beleuchtet und seine Rolle problematisiert. Auch das Thema des damals schon beliebten Einsatzes von V-Leuten ist angesichts der aktuellen Diskussionen zu diesem Thema gut gewählt. Rotglut ist ein Roman zum Mit- und Nachdenken, dabei gleichzeitig ungemein spannend. Mit einem Wort: Lesenswert.

Rotglut

Liliane & Rist Skalecki, Gmeiner

Rotglut

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