Drury Lanes letzter Fall

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 1948
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  • New York: Grossett & Dunlap, 1933, Titel: 'Drury Lane’s Last Case', Seiten: 308, Originalsprache
  • Bern: Scherz, 1948, Seiten: 293, Übersetzt: René König
  • Gütersloh: S. Mohn, 1960, Seiten: 252
  • Frankfurt am Main; Berlin; Wien: Ullstein, 1977, Seiten: 152
Drury Lanes letzter Fall
Drury Lanes letzter Fall
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2013

Das meint Krimi-Couch.de: Tödliche Jagd auf und nach Shakespeare

Früher war Inspektor Thumm von der Kriminalpolizei New York der Schrecken der Unterwelt. Inzwischen ist er pensioniert und leitet eine kleine Privatdetektei, wobei seine energische Tochter Patience ihm zur Hand geht. Da die Zeiten hart sind, nimmt Thumm gegen seine Überzeugung einen eigentümlichen Auftrag von einem ebensolchen Herrn an, der sich mit einem gewaltigen blauen (!) Bart tarnt: Thumm soll einen Umschlag aufbewahren. Falls der Herr sich nicht zu einem vereinbarten Termin meldet, soll der Umschlag in Anwesenheit des ehemaligen Schauspielers und Amateur-Ermittlers Drury Lane geöffnet werden.

Lane wird schon früher zu Rate gezogen: Er gehört dem Verwaltungsrat des "Britischen Museums" zu New York an. Dort ist der Hausmeister Donoghue spurlos verschwunden, als er einen Dieb verfolgte. Dieser hatte die kostbare Erstausgabe einer Sammlung von Shakespeare-Stücken mitgehen lassen. Zur Verblüffung der Fachleute hat er sie gegen die noch viel seltenere Zweitausgabe ausgetauscht – und schickt das gestohlene Buch wenig später zusätzlich zurück! Allerdings ist der Einband beschädigt: Darin befand sich ein Geheimversteck, auf dessen Inhalt es der Dieb abgesehen hatte.

Die Indizien klagen ausgerechnet den renommierten Shakespeare-Spezialist Hamnet Sedlar an, der neuer Kurator des Britischen Museums werden soll. Er scheint unter der Falschidentität eines "Dr. Ales" in den Fall verwickelt zu sein, was er nachdrücklich leugnet. Die Ermittlung nimmt eine neue Richtung, als Thumms Klient sich nicht mehr meldet und der Umschlag wie abgesprochen geöffnet wird. Zum Vorschein kommt eine mysteriöse Nachricht – geschrieben auf dem Briefpapier des Britischen Museums!

Es existiert also ein Zusammenhang zwischen den beiden Fällen, doch bis sich dieser offenbart, gilt es für die Beteiligten, eine Reihe tückischer Mordanschläge zu überstehen, was nicht allen gelingt …

Aller guten Dinge sind … vier

1933 barsten die schreibenden Vettern Frederic Dannay und Manfred Bennington Lee förmlich vor jugendlicher Schaffenskraft. Sie schrieben unter zwei Pseudonymen zwei erfolgreiche Serien gleichzeitig. Als "Ellery Queen" schilderten sie die Abenteuer des gleichnamigen Detektivs, als "Barnaby Ross" ließen sie den tauben Spürhund Drury Lane verzwickte Kriminalfälle lösen. Dessen vierter Fall wurde allerdings sein letzter. Dannay & Lee selbst planten das Ende, denn sie hatten erkannt, dass Ellery Queen wesentlich mehr Potenzial bot als der vergleichsweise altmodische Drury Lane.

Für Lanes Abschiedsvorstellung zogen die Vettern noch einmal alle Register. "Drury Lanes letzter Fall" gilt als einer der besten der ´frühen´ Queen-Romane. Tatsächlich gibt es Kritiker, die dem Autorenduo vorwerfen, es mit den Krimi-Rätseln übertrieben zu haben. Man kann sie einerseits verstehen: Dies ist kein Krimi für Querleser! Indizien werden gefunden, überprüft, beiseitegelegt, wieder aufgegriffen, unterschiedlich arrangiert, hinterfragt, missinterpretiert, neu zusammengestellt – da gilt es aufmerksam zu bleiben, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Dennoch spielen die Vettern fair nach den Regeln, die Kollegen wie S. S. van Dine (1888-1939) und Ronald A. Knox (1888-1959) 1928 bzw. 1929 für den Rätselkrimi definierten. Ungeachtet aller Ablenkungsmanöver, Sackgassen und Irrtümer gibt es weder vorsätzliche Täuschungen noch doppelte Böden oder in letzter Sekunde in die Handlungsspur eingefädelte Überraschungsschurken.

Klassik und Tempo

Nichtsdestotrotz werden die genannten Regeln auf die Probe gestellt. Vor allem das Finale wartet mit einem echten Knalleffekt auf. Zur Ehrenrettung des Autorenduos ist festzustellen, dass dieser die eigentliche Auflösung nicht berührt, sondern ihr einen Schlussakkord aufsetzt, der die Drury-Lane-Reihe titelgemäß abschließt. Dass Dannay & Lee diesbezüglich ein guter Einfall gekommen war, belegt niemand Geringere als Agatha Christie, die nun wusste, wie sie dereinst ihrem Hercule Poirot einen würdigen Abgang verschaffen konnte.

"Drury Lanes letzter Fall" zeugt von einem Dilemma, dem sich Dannay & Lee durch das Serienende entzogen. Sie waren zwar mit der Tradition des "Whodunit" gut vertraut, standen aber mit ihren vier Beinen fest im modernen Leben. Drury Lane war nicht nur seines Alters wegen ein Repräsentant des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Als Held einer Detektivgeschichte, die vom Ermittler eine gewisse Dynamik verlangte, taugte er nicht. Außerdem war er taub. Ein körperliches Handicap konnte den Ermittler interessanter machen, es schränkte ihn gleichzeitig aber ein. Ellery Queen bediente sich völlig selbstverständlich der modernen Technik und sämtlicher Verkehrsmittel. Er residierte nicht fernab in einer museumsartigen Residenz, sondern wohnte dort, wo etwas los war. Änderte sich dies, zog Ellery Queen um. Lane musste sich als aktiver Detektiv vertreten lassen. Er blieb trotz zahlreicher Marotten allzu profillos auf die Rolle des Stichwortgebers beschränkt, der das eigentliche Geschehen kommentierte, statt es zu dominieren. Wohl nicht ohne Grund gibt es keine Drury-Lane-Filme, während Ellery Queen lange in Kino und Fernsehen präsent war.

Inspektor Thumm, seine Tochter Patience und der gar nicht weltfremde Buchwurm Gordon Rowe mühen sich redlich, in die Bresche zu springen. Doch Thumm war und ist eine Nebenfigur, zuständig für dumme Fragen, Faustschläge u. a. grobe Polizeiarbeit. Auch Patience ist vor allem für die zwischenmenschlichen Aspekte der Handlung zuständig. Zwar lüftet sie vor allen anderen das größte Rätsel, doch statt sich zu erklären, ergreift sie psychisch überfordert – also ganz Frau & in zeitgenössischen Vorurteilen gefangen – die Flucht vor dieser Verantwortung.

"Viel Lärm um nichts"

1598 oder 1599 schrieb William Shakespeare sein berühmtes Stück. Er ist der ideale Kandidat für rätselfreudige Historiker und Krimi-Autoren: Es hat ihn gegeben, er war ein Genie, doch trotzdem hat er kaum Spuren hinterlassen. Wir wissen nicht einmal genau, ob er in seinem eigenen Grab liegt. Insofern wählten Dannay & Lee den richtigen "MacGuffin", als sie ein fiktives Dokument aus Shakespeares Feder erfanden. Dies darf hier ruhig erwähnt werden, da es für das Geschehen keine echte Relevanz besitzt aber als Ursache allen kriminellen Tuns trotzdem taugt.

Diese Umtriebe sind turbulent, lassen aber recht kalt. Es fehlt noch das psychologische Element, um das Dannay & Lee später selbst den Rätselkrimi ergänzten. "Drury Lanes letzter Fall" stellt sich als Sammlung kurioser Ereignisse dar, die sich als solche selbst genügen. Zwar wird ausführlich erklärt, wieso der Täter zum Dieb und Mörder wurde (oder sich mit blauem Bart präsentierte). Die Gründe werden jedoch behauptet. Spätere Ellery-Queen-Schurken entwickeln sich wesentlich geschmeidiger aus charakterlichen und seelischen Vorgeschichten.

Die offensichtliche Konstruktion gibt dem Geschehen etwas Künstliches. Dazu passt der spielerische Umgang mit der Realität. Der Fall an sich ist absurd: ein Rätsel um des Rätsels willen. Das Vorgehen des Täters wird durch die ständige Vermeidung logischen Handelns gekennzeichnet. Er legt es – gesteuert von den beiden Autoren – durch den inflationären Einsatz bizarrer Masken, verschlüsselter Botschaften oder gedoppelter Identitäten auf kriminelle Dramatik an. Die übrigen Figuren schließen sich dem an.

Triumpf des Irrealen

Gerade die Unwirklichkeit sichert diesem Buch seinen Unterhaltungswert eher als die kindische "love story" von Gordon Rowe und Patience. Dass aus den beiden ein Paar wird, steht von Anfang an felsenfest. Dannay & Lee waren auch in dieser Beziehung auf der Höhe ihrer Zeit: Sie fügten dem Krimi-Rätsel die Romanze hinzu und öffneten ihre Werke einem breiteren Publikum. Dagegen ist der Leser heute peinlich berührt, wenn schon das geringste Zeichen männlichen Interesses die nur scheinbar emanzipierte Patience erdbeerrot erglühen und in zickige Ablehnung ausbrechen lässt. Der wie ein Uhrwerk komplex montierte Plot hat die Zeitläufe dagegen überstanden, weil er sie – nun verstärkt durch den Faktor Nostalgie – negiert.

Deshalb bietet "Drury Lanes letzter Fall" traditionelle Rätselkrimi-Kunst auf hohem Niveau. Der deutsche Leser kann dieses Vergnügens zwar nur antiquarisch habhaft werden, da Ellery Queen längst vom hiesigen, weitgehend klassikerbefreiten Buchmarkt verschwunden ist. Die Übersetzungen sind sichtlich angejahrt aber lesbar, die frühen Ausgaben zudem ungekürzt. Nur die Ullstein-Ausgabe ist wieder einmal eine radikal zusammengekürzte Frechheit, die der Leser meiden sollte.

Drury Lanes letzter Fall

Ellery Queen, Scherz

Drury Lanes letzter Fall

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