Noah

  • Lübbe Audio
  • Erschienen: Januar 2013
  • 32
  • Köln: Lübbe Audio, 2013, Seiten: 6, Übersetzt: Simon Jäger
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Jürgen Priester
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2013

Sebastian Fitzek stellt sich der Realität

Kann man es in Zeiten zunehmender globaler Katastrophen den drei berühmten Affen gleichtun – sprich die Augen, die Ohren und den Mund verschließen? Steht nicht ein jeder von uns, der erkannt hat, dass die Zeichen auf Sturm stehen, in der Verantwortung, aktiv zu werden und wenigstens vor der eigenen Haustür zu kehren?

Der (End-)kampf um die Verteilung der immer knapper werdenden Ressourcen tobt schon lange. Kriege und Bürgerkriege werden geführt, um den Zugang zu Rohstoffquellen zu sichern, und sogenannte Friedensmissionen dienen zwar vordergründig dem Schutz der jeweiligen Bevölkerung, in Wirklichkeit verfolgen sie jedoch auch wirtschaftliche Interessen. Wer Letzteres in der Öffentlichkeit ausspricht, wie der ehemalige Bundespräsident Köhler, kann seinen Hut nehmen. Heute spricht sich die aktuelle Bundesregierung sogar für eine Ausweitung des deutschen, auch militärischen Engagements in Krisengebieten aus. Dies mit der Unterstützung des jetzigen Bundespräsidenten, der ansonsten die Worte "Frieden" und "Freiheit" auf den Lippen führt.

"Nie wieder Krieg" - stand auf dem Plakat, das Käthe Kollwitz 1924 entwarf. Die Künstlerin schrieb damals in ihr Tagebuch:

 

"Ich bin einverstanden damit, daß meine Kunst Zwecke hat.
Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos
und hilfsbedürftig sind".

 

Der Rezensent weiß nicht, ob Sebastian Fitzek diesen Tagebucheintrag kennt, aber er handelt in diesem Sinne. Mit seinem aktuellen Thriller Noah stellt der Autor sich der Realität. "Der neue Fitzek ist anders" konstatierten denn auch die eingefleischten Fans direkt nach der Veröffentlichung. Spielten seine bisherigen Thriller – soweit dem Rezensenten bekannt – in Pseudo-Realitäten mit teilweise eigenen Gesetzen und Plausibilitäten, so ist der Autor jetzt in der realen Welt angekommen. Natürlich ist die weltweite Verschwörung, die dem Plot als Grundlage dient, rein fiktiv, aber gar nicht so abwegig. Dass es da Menschen gibt, die sich für eine auserwählte Elite halten und sich anmaßen, die Herren über Leben und Tod zu sein, wissen gerade wir Deutschen schon lange. Noah ist eine böse Fiktion, die Möglichkeit eines zukünftigen Lebens.

Manila

Sebastian Fitzek beginnt dort, wo Leben nur Schmerz und Scham bedeutet. Schon darüber zu lesen tut weh, das Schreiben sicher auch. Keiner von uns weiß, was es heißt, in so einer ausweglosen Situation zu sein. Die Rede ist vom Existenzkampf einer Familie am Rande einer Mülldeponie im Großraum Manila. Der Ehemann und Vater ist vor kurzem verstorben. So übernahm der erst siebenjährige Sohn die Rolle des Ernährers, indem er täglich die nahe Müllhalde nach verwertbaren Stoffen absucht, während die Mutter sich um den immer kränkelnden Säugling kümmert. Sie führen ein Leben, in dem der Tod näher ist als der nächste Tag. Das Schicksal dieser Familie begleitet den Leser in Episoden durch den ganzen Roman und es zeigt exemplarisch, was es bedeutet, Kollateralschaden des Wohlstandes anderer zu sein.

Berlin

Ein Schwenk von fast 10.000 Kilometern Richtung Nordwest führt den Leser zum mitteleuropäischen Äquivalent der philippinischen Familie. In Berlin droht die Nacht mit zweistelligen Minustemperaturen. Vor einem Obdachlosenheim drängelt sich eine Schar  Nichtsesshafter. Unter ihnen befinden sich Oscar und Noah, obwohl Oscar sich für seine Verhältnisse recht komfortabel in einem stillgelegten U-Bahn-Schacht eingerichtet hat. Doch gegen die klirrende Kälte bietet sein "Domizil" keinen Schutz. Oscar ist ein "alter Hase" auf den Straßen Berlins, der alle Tricks und Schliche des Lebens in Armut kennt. Vor zwei Wochen war er auf Noah gestoßen. Dieser, von einer frischen Schusswunde und hohem Fieber geschwächt, leidet an partiellem Gedächtnisschwund. Der einzige Hinweis auf seine mögliche Identität könnte der Name Noah sein, der ihm in die Hand geritzt ist. In besagter eiskalten Nacht wälzen Oscar und Noah aus Langeweile einige weggeworfene Zeitungen. In einer entdecken sie das Abbild einer abstrakten Zeichnung, das bei Noah eine heftige Reaktion an Erinnerungen auslöst. Im Begleittext zu dem Bild wird der Urheber aufgefordert, sich unter einer angegebenen Telefonnummer zu melden, es winken  1 Million Dollar. Mehr aus Verzweiflung und Neugier kommt Noah dieser Aufforderung nach und nach einigem Hin und Her wird er gebeten, das Hotel Adlon aufzusuchen. Dort würde  eine Suite für ihn und Oscar gebucht. Noahs Anruf hat eine Lawine an Aktivitäten ausgelöst, wie die beiden nur allzu schnell erfahren werden.

Das bessere Inferno

Verschwörungsthriller gibt es viele, auch viele gute. Und auch einige, die besser sind als die von Dan Brown. Doch fällt meist als erstes dessen Name, wenn die Sprache auf dieses Subgenre kommt. Browns letztjähriger Output Inferno wurde mit großem Tamtam veröffentlicht, die Begeisterung bei den Lesern hielt sich indes in Grenzen. Man kann Romane nur schwer vergleichen, aber thematisch weisen Browns Inferno und das vorliegende Noah Parallelen auf. In beiden Romanen versuchen im Geheimen operierende Gruppen, die Bevölkerungsentwicklung der Menschheit zu beeinflussen. Ihre Mittel sind ähnlich effektiv und gleichsam radikal. Während Dan Brown sich nun in endlosen geographischen und kulturhistorischen Beschreibungen verliert, zeigt Sebastian Fitzek seine Meisterschaft als Thriller-Autor. Nach nur minimalem Auftakt geht es Schlag auf Schlag. Er hetzt seine Protagonisten und deren Gegenspieler erbarmungslos durch die Szenerie, wobei lange verborgen bleibt, wer eigentlich zu wem gehört. So muss Thriller sein, da passen auch die von Fitzek sonst so überstrapaziert eingesetzten Cliffhanger mal.

Spannung pur, wie der Jungdeutsche so sagt, mit einem voltenreichen Finale.

Gelungene Kombination

Sebastian Fitzeks Noah zählt zu meinen Highlights des letzten Jahres". Dass der Rezensent mal diesen Satz schreiben würde, hätte er auch nicht gedacht. Es stand (steht) außer Frage, dass Sebastian Fitzek gute Thriller schreiben kann, nur haben sie dem Rezensenten aus verschiedenen Gründen nicht gefallen. Noah ist anders, wie bereits erwähnt. Sebastian Fitzek ist einer bekanntesten und erfolgreichsten Thriller-Autoren Deutschlands – ein Mann, der ´s geschafft hat, der aber auch bemerkt hat, dass Vieles im Argen liegt. Aus dieser Erkenntnis heraus hat er diesen Roman geschrieben. Nicht, um seine entrüstete Stimme zu erheben, sondern aus seiner ganz persönlichen Ohnmacht heraus, wie Fitzek in seinem Nachwort schreibt. Wir alle sind Täter und Opfer zugleich. Letzteres vielleicht nicht heute, dann morgen oder in Gestalt unserer Kinder und Kindeskinder.

Die Idee, einen Thriller als Transportmittel für unbequeme Wahrheiten und nicht so leicht zu beantwortende Fragen zu machen, ist nicht neu, aber selten so gelungen. Der Rezensent hofft, dass der "andere" Fitzek viele Leser finden wird. Von ein paar Überspitzungen mal abgesehen, bietet Noah actionreiche Spannung, die das Anliegen des Autors aber nie übertönt. Beste Unterhaltung, die einen nachdenklichen Leser zurücklässt.

Noah

Sebastian Fitzek, Lübbe Audio

Noah

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