Der Verrat

  • Droemer Knaur
  • Erschienen: Januar 2013
  • 13
  • London: Little, Brown, 2012, Titel: 'The vanishing point', Seiten: 434, Originalsprache
  • München: Droemer Knaur, 2013, Seiten: 512, Übersetzt: Doris Styron
  • München: Knaur, 2016, Seiten: 512, Übersetzt: Doris Styron
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Jörg Kijanski
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2013

Biografie eines C-Promis

Scarlett Higgins war Star einer Reality-Soap und lebte anschließend als C-Promi mit zweifelhaftem Ruf, immer darauf bedacht, in die Schlagzeilen der Regenbogenpresse zu kommen. Selbst ihre Krebserkrankung vermarktete sie mustergültig, wobei ihr die Ghostwriterin Stephanie Harker zur Seite stand. Kurz vor Scarletts Tod versprach ihr Stephanie, sich um ihren fünfjährigen Sohn Jimmy zu kümmern. Doch dann passiert ein Alptraum, denn als Stephanie mit Jimmy einen Urlaub in Amerika starten wollen, werden sie beim Einchecken am O´Hare Airport kurz voneinander getrennt. Die Zeit reicht für einen unbekannten Mann aus, Jimmy zu entführen. Stephanie beobachtet ungläubig den Vorfall und will Jimmy helfen, doch die Sicherheitsbehörden vermuten in ihr eine Attentäterin und halten sie fest. Erst als die FBI-Agentin Vivian McKuras den Fall übernimmt, erkennt diese den Ernst der Lage. Aber Jimmy und sein Entführer sind längst verschwunden. Um herauszufinden, wer als möglicher Täter in Frage kommt, lässt sich McKuras von Stephanie Scarletts Leben erzählen, denn da Jimmy dem Mann einfach folgte, muss er ihn gekannt haben&

Unter einem Thriller dürften die meisten Leser etwas anderes verstehen

Ein neuer Thriller von Val McDermid ist meist ein großes Ereignis, schließlich gehört sie seit vielen Jahren zu den Topautorinnen des Genres. Dennoch hatte sie zuletzt mit Alle Rache will Ewigkeit ein schwaches Werk abgeliefert, so dass dieses Mal die Spannung besonders groß war. Ein erneuter Ausrutscher oder zurück zu alter Stärke? Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte, denn Der Verrat hat einen entscheidenden Haken. Da der Entführer aus Jimmys Umfeld kommen muss, erzählt wie erwähnt Stephanie erst einmal Agentin McKuras das abwechslungsreiche Leben von C-Promi Scarlett. Dabei gliedert sich das Buch in drei Abschnitte: 50 Seiten dienen der "Einleitung", 380 Seiten überwiegend Scarletts Biografie und 80 Seiten der Auflösung beziehungsweise dem "Finale".

 

"Selbst wenn sie ihn Jimmy gekannt hätten, was nicht der Fall war, hätte kein Richter bei klarem Verstand ihnen erlaubt, auch nur in seine Nähe zu kommen."
"Das heißt nicht, dass sie ihn nicht haben wollten. Blut ist schließlich dicker als Wasser."
"In der Familie Higgins ist Geld dicker als Wasser. Und da für sie kein Geld dabei herausspringen würde, war ihnen Jimmy völlig egal."

 

Scarlett kommt aus der arbeitslosen Unterschicht. Der Vater starb früh an Aids, die Mutter ist Alkoholikerin und die Schwester ein Junkie. Scarlett selbst ist ein Durchschnittsmensch mit begrenztem IQ, aber einem Ziel vor Augen, dem sie schonungslos alles unterordnet. So schafft sie es zum Star einer Soap-Sendung (vergleichbar mit "Big Brother") und bleibt anschließend mit einigen "Skandalen" in den Schlagzeilen. Dazu trägt auch ihr Mann Joshu bei, der als DJ größere Erfolge feiert, ansonsten aber nur Party, Alkohol und Drogen kennt. Wäre der Roman ein Film, die Biografie könnte man als Unterschichtenfernsehen bezeichnen und genau hier liegt das Problem. Man liest zunächst keinen Thriller, sondern einen elend langen Lebenslauf, in dem selbst kleinste Belanglosigkeiten breitgewalzt werden. Zunächst verdächtigt McKuras den Vater als vermeintlichen Entführer, nachdem dieser ausführlich vorgestellt wurde. Doch dann, nach unzähligen Seiten, stellt sich heraus, dass dieser bereits verstorben ist. Das hätte Stephanie natürlich auch direkt sagen können, denn schließlich drängt ja die Zeit, um Jimmy zu finden.

 

Ich hätte mir nur gewünscht, dass sie mir genug vertraut hätte, um ihre Entscheidung mit mir zu teilen. "Ich kann ihren Standpunkt nachvollziehen", sagte ich. "Trotzdem wäre es nett gewesen, das von ihr zu hören."

 

Wer sich für die Biografie eines C-Promis mit all seinen Facetten interessiert, der wird an diesem Buch seine Freude finden. Auch wird die Arbeit eines Ghostwriters sehr gut dargestellt. Die Figurenzeichnung Scarletts ist zwar als "dummes, aber bauernschlaues Blondchen" gut gelungen, macht sie aber aufgrund ihrer mitunter recht naiven Art nicht sympathisch. Leider trifft dies auch auf Stephanie zu, die mehr als einmal nicht rafft, wie ihr mitgespielt wird und daher sehr naiv rüberkommt. Man könnte provokativ fragen: Wer von den Beiden ist hier eigentlich "blond"?

Im Mittelteil hätte man gerne hundert und mehr Seiten weglassen können

Wer an einem packenden Thriller interessiert ist, wird in dem langen Zwischenteil mehr als einmal dazu neigen, das Buch endgültig auf Seite zu legen. Dies wäre allerdings ein kleiner Fehler, denn McDermid packt gegen Ende des Buches noch einmal einen dicken Cliffhanger aus, bevor es dann auf die Zielgerade geht. Wie bei McDermid nicht unüblich überschlagen sich dann die Ereignisse, so dass alle möglichen Verdächtigen nach und nach aus dem Spiel genommen werden bis die "Lösung" übrig bleibt. Diese wird nicht alle Leser überraschen, wenngleich sie hohe Anforderungen an die Gesetze der Logik stellt.

Fazit: Keineswegs ein Meisterwerk, aber wenn man zwischendurch hier und da ein paar Seiten überschlägt kommt man - ohne etwas zu verpassen - zügig durch und neigt dazu, der Autorin beim nächsten Buch eine neue Chance zu geben. Denn dass Val McDermid, die nach wie vor großartige Cliffhanger zu platzieren weiß, deutlich bessere Thriller schreiben kann, hat sie ja schon hinlänglich unter Beweis gestellt.

Der Verrat

Val McDermid, Droemer Knaur

Der Verrat

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