Marmormänner

  • Edition Nautilus
  • Erschienen: Januar 2013
  • 3
  • Hamburg: Edition Nautilus, 2013, Seiten: 256, Originalsprache
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Matthias Kühn
94°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2013

Auf der Suche nach den verlorenen Männern

Ein uralter Fall beschäftigt eine Frau von der Spurensicherung: Vor mehr als vierzig Jahren verschwanden vier junge Männer, nur einer wurde damals gefunden in einer Baugrube, die Kehle durchgeschnitten, von Öl verfärbt, als wäre er aus Marmor. So wurden alle Vermissten als Marmormänner bezeichnet, und seither hieß es bei jedem Stoffrest, der im Wald gefunden wurde: Hat das mit den Marmormännern zu tun?

Der Fall wurde also eher zur Legende als zum Gegenstand weiterer Ermittlungen. Bis eben Marie Grenier nach einer Entdeckung den Fall aufrollt zunächst gegen den Widerstand ihres Vorgesetzten Roland Colbert, der wie viele Leute in der typischen Kleinstadt im deutsch-französischen Grenzgebiet "konservativ bis in Mark" ist und der von dieser Sache lieber so wenig wissen möchte wie möglich. Zumal die örtliche Polizei gerade genug zu tun hat: Eine Bande von Fahrradhehlern macht ihnen zu schaffen.

Cold Case in Flower-City

Fleurville befindet sich im Umbruch. Die Stadt soll größer werden, reicher, schöner deshalb werden neue Luxuswohnungen gebaut. Eine Finanzierungsgesellschaft hat die Stadt im Griff, was manche als Chance für die Zukunft sehen, andere als große Gefahr für die Einheimischen. Es wird also viel gebaut in Fleurville, und so kommt es bei Bauarbeiten zum Fund, der diese Geschichte auslöst.

Marie ermittelt, bekommt eine Assistentin mit noch weniger Erfahrung, und plötzlich scheint das Städtchen in Aufruhr zu geraten. Ein Mann, der in kurzer Zeit komplett abgerutscht zu sein scheint, entführt seine Tochter, eine Frau verschwindet. Hat das alles damit zu tun, dass nun Fragen gestellt werden, auf die in mehr als vier Jahrzehnten niemand gekommen war?

Perfekt zusammengestelltes Puzzle

Natürlich: Alles ist miteinander verknüpft, jedes scheinbar zufällige Ereignis ist ein kleines Puzzlestück im großen Ganzen. Selbst die privaten Geplänkel, die anfangs den Fluss etwas stören, haben eine Bedeutung das ist die alte Schule von Edgar Allan Poe, die Einheit des Effekts: Jedes Detail dient der Geschichte und ihrem Fortlauf, alles bedingt sich gegenseitig.

Matthias Wittekindt bringt nicht nur ein komplettes Team von Ermittlern zum Einsatz, er liefert haufenweise Randfiguren, die ihm bei der Entwicklung der Story helfen. Vom Bürgermeister bis zum Förster, vom Zahnarzt bis zum Leiter des Reisebüros, alle tragen ihren Teil bei. Dabei verzichtet der Autor auf Beschreibungen, die wesentlichen Informationen fließen ganz nebenbei mit ein. Das ist alles sehr knapp und präzise gehalten, manchmal schon übertrieben knapp. Ebenso knapp sind die Dialoge, die wie das ganze Buch von Auslassungen leben es muss schließlich nicht alles wieder und wieder erklärt werden. Wittekindt nimmt seine Leser nicht an die Hand und führt sie herum, wie das viele amerikanische Autoren machen, um hunderte von Seiten zu füllen. Nein, hier darf mitgedacht werden, hier darf man an der Stimmung teilhaben und selbst Zusammenhänge erkennen.

Echte, knappe Dialoge und virtuose Schnitte

Was Marmormänner zum wirklich außergewöhnlichen Leseerlebnis macht, sind die bildhaften Übergänge und die hervorragenden Schnitte. Nur sehr selten finden sich überflüssige Sätze wie: "Ein Gedanke, der alles verändern würde." Da stimmt also fast jede Zeile, die Menschen sind echt und glaubwürdig, die Geschichte ist stimmig, die Überlagerungen der Ereignisse, die in diversen Zeitschichten liegen, sind nahezu perfekt komponiert.

Es geht natürlich nicht einfach um einen Mordfall, der über vierzig Jahre zurückliegt. Es geht auch darum, wie ein Großinvestor eine Stadt spaltet und den gewachsenen, filigranen Charakter einer Gemeinde zu zerstören droht. Und es geht um die Zusammenarbeit unterschiedlichster Menschen, um die Schwierigkeiten, die sich durch persönliche Vorlieben und Abneigungen ergeben.

Souveränes Meisterwerk

Matthias Wittekindt hat sich mit Marmormänner einer großen Aufgabe gestellt, die er souverän gemeistert hat: Er hat einen Polizeiroman geschrieben, einen echten Thriller von filmischer Qualität und dazu noch eine französische Kleinstadtnovelle. Dafür braucht er dank Verknappungen und Auslassungen überraschend wenige Wörter, was das Tempo hoch und die Atmosphäre dicht hält. Zudem ging er das Risiko ein, seinen Roman im Präsenz zu schreiben auch das macht den Text atemlos. Daran sind schon viele Autoren gescheitert.

Damit die zahlreichen Figuren nicht verpuffen, wenn man das kleine Meisterwerk mal für zwei Tage zur Seite gelegt hat, gibt ein Personenverzeichnis im Anhang Orientierung. Dort findet sich auch brauchbares Kartenmaterial zum fiktiven Städtchen. So was könnten Verlage ruhig öfter anbieten.

Marmormänner

Matthias Wittekindt, Edition Nautilus

Marmormänner

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