Bruderliebe

  • Kunstmann
  • Erschienen: Januar 2012
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  • Paris: les Éd. de Minuit, 2010, Titel: 'Enlèvement avec rançon ', Seiten: 139, Originalsprache
  • München: Kunstmann, 2012, Seiten: 109, Übersetzt: Angela Wicharz-Lindner
Bruderliebe
Bruderliebe
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Stefan Heidsiek
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2013

Blut ist trüber als Wasser

Yves Raveys Bruderliebe gehört mit knapp 110 Seiten (für die der Kunstmann Verlag auch gern noch, nicht gerade preiswerte, 14,95 € haben möchte) zu der Kategorie von Literatur, welche von Feuilletonisten begeistert besprochen, von der größeren Leserschaft aber höchstwahrscheinlich komplett ignoriert werden wird. Selbst der gezogene Vergleich mit Hitchcock, der auf der Buchrückseite prangt, ist da eher kontraproduktiv, hat doch heutzutage die psychologisch-ziselierte Spannung den Wettkampf gegen den derben Splatter längst verloren. Kruzifix-Killer, Seelenbrecher, Todesflüsterer. Fast-Food-Unterhaltung ist angesagt. Und die soll vor allem schnell verdaulich sein, der Geschmack bleibt nebensächlich. Frei nach dem Motto: Wozu ein Plot, wenn man jemanden über zwanzig Seiten genüsslich ins Nirvana foltern kann? So bleibt Bruderliebe ein Häppchen für diejenigen Leser, die sich literarische Sprache noch auf der Zunge zergehen lassen.

Kurz zur Geschichte: Jerry und Max sind Brüder – und haben sich doch seit knapp zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Nun treffen sie sich inmitten der verschneiten Berglandschaft der Schweizer Alpen wieder. Nicht die Sehnsucht nach Familie, sondern ein perfider Plan hat die zwei ungleichen Brüder zusammengeführt. Max, der von der Tochter seines Chef mehrmals eine Abfuhr kassiert hat, will diese nun kidnappen, um von ihrem Vater eine halbe Million Euro zu erpressen. Jerry, der in Afghanistan sein Geschick im Kampf bewiesen hat, soll helfen, damit die Entführung gelingt. Und es sieht anfangs auch ganz so aus, als sollten sie Erfolg haben. Bis plötzlich die ersten Risse im kriminellen Konstrukt auftauchen.

Jerry scheint sich nicht in allen Belangen an das abgesprochene Vorgehen zu halten und zeigt sich dem Entführungsopfer gar ohne Maske. Hat er vielleicht ganz andere Absichten mit dem Geld als sein Bruder? Und wer von beiden bestimmt was mit der jungen Frau passiert? Was als sorgfältig ausgeklügelte Idee begonnen hat, wird zu einem eiskalten Duell, das letztlich nur einen Ausgang nehmen kann... oder ist doch alles anders, als gedacht?

Nur wenige Seiten und doch ein Spannungsbogen, der es in sich hat. Es ist diese hohe Kunst, die Ravey hier meistert und Bruderliebe zu einem intensiven, weil unheimlich fesselnden Stück Kriminalliteratur macht. Ausschweifungen, Nebenschauplätze, detaillierte Beschreibungen – Fehlanzeige. Raveys Sprache ist so karg, unwirtlich und kalt, wie der Ort, an dem seine Handlung spielt. Und der Plot, wie auch die Figuren, leben von dieser klirrenden Kälte, dieser augenscheinlichen Taubheit, einer Schneedecke gleich, unter der nur langsam die darunter verborgene Wahrheit zutage kommt. Stil und Aufbau der Geschichte erinnern dabei an die frühen Werke James M. Cains. Und wie sein amerikanischer Kollege, so ist auch bei Ravey nicht immer alles wie es scheint. Der Schuss Genialität, diesen Funken mehr Qualität, macht die schnörkellose, und doch tiefgründige Lektüre, zu etwas Besonderem.

Bruderliebe ist nur ein kurzer Bissen, aber einer der schmeckt. Ein frostiges und kraftvolles Katz-und-Maus-Spiel für die dunkle Jahreszeit, das letztlich jeden Cent wert ist.

Bruderliebe

Yves Ravey, Kunstmann

Bruderliebe

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