Die Farbe der Nacht

  • Liebeskind
  • Erschienen: Januar 2013
  • 2
  • München: Liebeskind, 2013, Seiten: 224, Übersetzt: Ulrike Wasel & Klaus Timmermann
Die Farbe der Nacht
Die Farbe der Nacht
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Jochen König
87°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2013

But I hate them worse than lepers and I'll kill them

Mae Chorea hat ein Gewehr; und sie wird es auch benutzen. Sei es um Schießübungen zu veranstalten oder ihre ehemalige Geliebte Laurel umzubringen, von der sie sich verraten glaubt. Die sie für rund 30 Jahre aus den Augen verlor, bevor sie Laurel im Schatten der zerstörten Türme des World Trade Centers wiederfand. Als mediales Abbild einer schreienden, trauernden Frau.

Mae macht sich ungerührt auf den Weg. Eine private Geschichte von Mord und Totschlag im Gepäck, eine öffentliche Geschichte des Tötens vor den lachenden Augen. Mae ist ungerührt, eine Unberührte, die den Schrecken um sich herum zwar wahrnimmt, der ihr aber nichts bedeutet. Außer Befriedigung. Bestenfalls. Sie ist ein einsamer Stern, der seine Bahn zieht, ohne dass sie das Sterben Myriaden anderer Sterne nur ansatzweise tangiert.

Die Farbe der Nacht handelt von struktureller Gewalt, die sich durch Biographien, durch die Geschichte von Familien, Freunden, Fremden, ganzer Nationen zieht und die erst wahrgenommen wird, wenn sie schlaglichtartig in Katastrophen kulminiert. Madison Smartt Bell führt seine Hauptfigur als eine Hedonistin ohne Gewissen ein, deren wahrer Genuss Tod und Zerstörung heißt. Maes Empfinden ist ein einziger Orgasmus, während sie zusieht wie die Türme des World Trade Centers einstürzen; die Vorstellung vom Tod tausender Menschen lässt sie wohlig erschauern - nicht vor Entsetzen. Als sie dann noch ein bekanntes Gesicht im Fernseher erblickt, verquickt ihre private Geschichte mit der Öffentlichen. Das mag zwar exemplarisch wirken, doch Bell entwickelt keine Muster der Zwangsläufigkeit von familiärem Missbrauch, der typischen Serienmörderbiographie – vom geschundenen Tierquäler zum multiplen Killer -, über das mörderische, sektiererische Treiben innerhalb der Manson Family (denn das fiktive "VOLK" des Romans, um seinen Führer D., ist ein Abbild der "Family"), bis zum fanatischen Anschlag auf die Grundfesten der USA. Was er allerdings darstellt sind Lebensbilder, die von Gewaltausübung und der Wahrnehmung von Gewalt als ekstatischer Erfahrung geprägt sind.

Mae bewegt sich zielgerichtet und bewusst durch die umgebende Gesellschaft, sie ist nicht die einsamste Person der Welt und auch nicht die kälteste. Sie liebt ihren Bruder Terrell, vergöttert ihn gar, und bewundert ihn für seinen selbst inszenierten, flammenden Tod, der sie selbst in die Welt hinaus lässt. Daddy und das Mom-Ding haben keinen Einfluss. Nächster Stopp: Das VOLK, jene Pervertierung der Hippie-Kommunen, die zumindest theoretisch auf der größtmöglichen Freiheit des Einzelnen innerhalb einer gleichberechtigen Gruppe beruht. Beim VOLK ist das anders: Der "spirituelle" Führer D. gibt die Richtung vor, lenkt die Beziehung innerhalb der Kommune. Mae versteht es auch die (scheinbare) Unterwerfung zu genießen, wird mit ihrer Freundin und Geliebten Laurel zur Todesbotin. Beide entkommen als einzigem dem abschließenden Massaker, das sich an den Tate/La-Bianca-Morden der Manson-Family orientiert. Helter Skelter als kleiner Zwischenhalt. Die Bezüge zur griechischen Tragödie mögen ein bisschen dick aufgetragen sein; zu D.(ionysios) gesellen sich noch Musiker O.(rpheus), der seiner Eurydike Eerie noch Lieder mit Inbrunst widmet als der Untergang bereits nicht mehr aufzuhalten ist. Doch irgendwie passt’s: Das Spiel mit großen Gefühlen, selbstverliebt und ohne Maß, auf einem Pfad ohne Wiederkehr, aufgeführt in einem ranzigen Hinterhoftheater.

Unauffällig bleiben, ein paar Morde im Schatten begehen, Mae führt ein beinahe bürgerliches Leben, nachdem Laurel sich von ihr abgewandt hat und untergetaucht ist. Die selbstberufene (Halb)göttin ist unter Menschen gefallen und wartet auf den Tag ihrer Rache. Denn niemand verlässt Mae Chorea, wenn sie selbst das nicht möchte. Und natürlich kommt der Tag, passend wie es sich für eine große Tragödie gehört: Während die Welt erschüttert wird von Terror und tausendfachem Sterben, findet Mae ihre Erfüllung.

 

Wie mein Herz frohlockte, als die Türme einstürzten. Was für ein Schub aus reiner Kraft, ein Bocken, Bröckeln, Aufwallen zu einem großartigen Gestirn der Zerstörung, bevor es all seine Materie auf den Boden ergoss. Jene mückenartigen Flecken, die es umwirbelten, erwiesen sich als Sterbliche, die aus den Flammen sprangen. Eingehüllt in die Leichentücher segelten sie herab. Hätte ich nur gewusst, dass der Tod so viele zunichtemachen kann! Und alles in einem funkenschnellen Augenblick! […] Ich hatte nicht gewusst, dass mein Blut so aufwallen konnte. Noch immer, noch einmal, trotz der Jahre, trotz des Welkens meines Körpers. […] So sah ich Laurel zum ersten Mal wieder, sie kniete auf dem Bürgersteig, den Kopf in den Nacken geworfen, die Hände mit gekrümmten Fingern ausgestreckt, wie Waffen oder wie zur Lobpreisung.

 

Mae Chorea, die personifizierte Verleugnung all dessen, was hehr und heilig ist, ist die Hauptfigur eines verstörenden Buches. Denn Madison Smartt Bell gelingt es, Mae keineswegs als verabscheuungswürdiges Monster darzustellen, ihr Empfinden, ihre Gedanken sind jederzeit nachvollziehbar und basieren auf einer funktionellen Logik, die in ihrer Konsequenz Erschrecken auslöst. Deshalb benötigt Die Farbe der Nacht auch keine ausgemalten Brutalitäten, das Grauen verbirgt sich in der Mischung aus gelassener Beiläufigkeit und aufrechter Empörung, mit der Mae ihre Geschichte erzählt. Sie ist ein Killer aus Lust und Berufung, die Antipode der Menschlichkeit. Oder deren wahrhafte, ungeschönte Essenz. Ein unbequemes Buch, das man aus vollem Herzen hassen kann. Lieben fällt schon schwerer; beeindruckend ist es auf jeden Fall.

Ein Krimi ist Die Farbe der Nacht nicht. Trotzdem genau richtig auf der Krimi-Couch.

Die Farbe der Nacht

Madison Smartt Bell, Liebeskind

Die Farbe der Nacht

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