Quincannon

  • Bastei Lübbe
  • Erschienen: Januar 1990
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  • New York: Walker & Co., 1985, Titel: 'Quincannon', Originalsprache
  • Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1990, Seiten: 206, Übersetzt: Uwe Anton
Quincannon
Quincannon
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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2022

Detektiv im (noch) Wilden Westen

1893 ist der US-Secret-Service im Münzamt der Stadt San Francisco untergebracht, denn diese Behörde sorgt für den Schutz der Landeswährung. Die Mitarbeiter jagen Falschmünzer, die in den immer noch jungen Vereinigten Staaten weiterhin Schlupfwinkel dort finden, wo das Gesetz eher Wunschvorstellung als Realität ist.

Aktuell treibt an der Westküste eine besonders dreiste und brutale Bande ihr Unwesen. Falschgeld wird gedruckt und geprägt in enormen Summen in Umlauf gebracht. John Frederick Quincannon wird mit dem Fall betraut. Einst war er der beste Ermittler des Secret Service. Doch im Vorjahr hat er durch einen Schuss - abgegeben auf einen Verbrecher - versehentlich eine junge Frau getötet. Seitdem hängt Quincannon an der Flasche, weshalb Behördenchef Boggs an ihm zweifelt.

Dennoch schickt er Quincannon in die kleine Stadt Silver City. Sie liegt im unwirtlichen Südwestwinkel des US-Staates Idaho, wo der Wilde Westen fortlebt. Der Ortsname gibt kund, dass hier Silber abgebaut wird. Die Sitten sind rau und das Gesetz ist schwach in Silver City, was den Ort zum idealen ‚Arbeitsplatz‘ nicht nur für Falschmünzer macht.

Im Schutz einer Tarnidentität beginnt sich Quincannon in Silver City umzuhören. Die Spur führt zu einem alten Cowboy, einem rauschgiftsüchtigen Drucker sowie in das Chinesenviertel der Stadt, doch sämtliche Männer, die Quincannon gern befragen würde, werden umgebracht.

Zudem ist Quincannon nicht der einzige Ermittler, der inkognito in Silver City tätig ist. Sabina Carpenter, Inhaberin eines Modewarengeschäfts, entpuppt sich als ‚Kollegin‘, die schließlich mit dem Secret-Service-Mann zusammenarbeitet. Diese Unterstützung ist lebenswichtig, denn was hinter den Kulissen von Silver City geschieht, geht über simple Falschmünzerei weit hinaus und führt Quincannon in eine Todesfalle …

Verbrecherjagd im rechtsfreien Raum

Der Wilde Westen der USA ist ein Mythos, der einer Zeit und einem Ort verhaftet ist, der so niemals existiert hat. Cowboys, Sheriffs, Revolvermänner und Indianer wurden Statisten einer Quasi-Historie, die sich um die Entstehung der Vereinigten Staaten rankt und die dunklen Kapitel ausklammert bzw. ‚entschärft‘, indem sie zu einem Epos mutieren, der den Zug der „Frontier“ von der Ostküste gen Westen verklärt.

Die USA entstanden und wuchsen, indem skrupellos jene Ureinwohner verdrängt oder ausgerottet wurden, die dort lebten, wo fruchtbares Land und Bodenschätze lockten. Es folgten Raubbau und Umweltzerstörung, bis der Kuchen verteilt war und es keine Wildnis mehr gab, die man sich aneignen und ausbeuten konnte. Stattdessen folgte das bisher abgehängte Gesetz den Siedlern, die lange nach eigenen Regeln gelebt hatten und oft genug gestorben waren.

Bill Pronzini nutzt die Übergangszeit, als der Westen noch in einigen abgelegenen Regionen wild war. 1893 war die industrielle Revolution weit fortgeschritten, das Automobil erfunden, der Bison beinahe ausgerottet. Quincannon ist kein gedungener Revolvermann, der dort ein ‚Recht‘ durchsetzt, für das ihn entweder der Staat oder ein Privatmann bezahlt, sondern der (mäßig) besoldete Beamte einer US-Regierung, die mühsam versucht, ihren Verwaltungsanspruch im Gesamtterritorium durchzusetzen.

Neue Zeiten und neue Verbrechen

Quincannon jagt keine Bankräuber oder Viehdiebe. Zwar gibt es diese Straftaten noch, aber sie bleiben lokale Phänomene, um die sich Sheriff oder Marshall kümmern. Das moderne Verbrechen beginnt sich überregional zu organisieren. Silber wird von der Bande, die Quincannon verfolgt, nicht geraubt, sondern genutzt, um Falschgeld herzustellen, was durch den Druck ebenso falscher Geldscheine ergänzt wird. Geschädigt werden nicht mehr nur Einzelpersonen, sondern die gesamte US-Bürgerschaft.

Obwohl das Problem erkannt ist, steckt die Kriminalistik noch in den Kinderschuhen. Seit dem Bürgerkrieg (1861-1865) gibt es Ansätze einer Ermittlungsarbeit, die auf professionellen Methoden basiert. Noch sind Fingerabdrücke oder gar Blutgruppen unbekannt, müssen Fahnder sich ihren Job weitgehend selbst beibringen. Quincannon reist inkognito und stellt Fragen, um auf diese Weise Zeugen und Verdächtige zu finden, bis er aus dem zusammengetragenen Wissen den oder die Täter destilliert.

Der Reiz dieser rudimentären, aber durchaus effizienten Kriminalistik wird durch das Wild-West-Milieu gesteigert. Silver City ist eine Stadt am Rand der Zivilisation, wo das Verbrechen blühen kann. Deshalb treiben nicht nur Falschmünzer ihr Unwesen, was Quincannons Arbeit kompliziert und für einen Plot sorgt, der erst einmal entwirrt werden muss, bis endgültig klar ist, welcher Schurkereien den vorgestellten Figuren zuzuordnen sind.

Gebrochener Held und ‚moderne‘ Frau

„Quincannon“ markierte 1985 Bill Pronzinis Versuch, eine neue Krimi-Serie zu starten. Anfang der 1970er Jahre hatte er die „Nameless-Detetive“-Reihe gestartet, die weiterhin sehr erfolgreich lief. Doch Pronzini war nicht nur ein überaus fleißiger Autor, der zusätzlich zahlreiche Einzelromane veröffentlichte, sondern auch ein Profi, der berücksichtigte, dass auch eine eingeführte Serie sich totlaufen kann. Deshalb traf er Vorsorge und schuf Quincannon.

Der war zunächst nicht besonders erfolgreich. Pronzini brach die Reihe nach dem zweiten Band ab, um es Anfang des 21. Jahrhunderts noch einmal zu versuchen. Auch dieses Mal war die Resonanz verhalten. Aber Pronzini blieb hartnäckig. 2013 arbeitete er das Konzept um: Quincannon ermittelte nunmehr gemeinsam mit Sabrina Carpenter,  und Pronzini schrieb die Reihe gemeinsam mit seiner Gattin Marcia Muller, die sich ebenfalls einen Namen als Verfasserin von Kriminalromanen gemacht hatte. Nun stellte sich endlich der Erfolg ein; bis heute erscheinen jährlich neue „Quincannon-&-Carpenter-Mysteries.“

„Quincannon“ spiegelt die Startschwierigkeiten wider. Während der Schauplatz Silver City reizvoll und ohne einschlägige Western-Klischees beschrieben wird, lässt die Stringenz des Plots zu wünschen übrig. Der Doppel-Plot birgt wenige Überraschungen und lässt beide Katzen recht früh aus ihren Säcken. Dass Pronzini sein Werk wohl mit einer heißen Nadel gestrickt hat, macht auch das Ende deutlich: Als alle Gauner gefasst sind, folgen noch zahlreiche Seiten, auf denen der Autor umständlich erklären muss, was eigentlich geschehen ist. Ein besser aufgelegter Pronzini lässt dies normalerweise direkt in die Handlung einfließen.

Eher rudimentär wirkt die Figurenzeichnung. Quincannon wird als tragisch gebrochener Held eingeführt, den der Alkohol beutelt, was jedoch umgehend überwunden ist, sobald die weibliche Hauptfigur entführt wird, in die sich Quincannon quasi verlieben musste; Pronzini ließ ihm diesbezüglich keinen Ausweg. Sabrina Carpenter ist eine „starke Frau“, wie sie in den 1980er Jahren im Krimi-Genre aufkam. Rückblickend weist sie viele Verhaltenszüge auf, die zum Klischee geronnen sind. Zudem sabotiert Pronzini die eigene Absicht, indem er Carpenter final entführen und Quincannon wie gehabt zur Rettung und Befreiung der nun doch wieder schwachen Frau schreiten lässt.

Fazit

Stotter-Start einer Krimi-Serie, die um das Jahr 1900 spielt. Reizvoll wird das Wild-West-Milieu aufgegriffen, doch Plot und Figurenzeichnungen wirken ein wenig simpel. Als Roman eines professionellen Erzählers dennoch gut lesbar.

Quincannon

Bill Pronzini, Bastei Lübbe

Quincannon

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