Entführt

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2012
  • 4
  • Stockholm: Telegram, 2010, Titel: 'Kommer aldrig mer igen ', Seiten: 255, Originalsprache
  • München: Heyne, 2012, Seiten: 349, Übersetzt: Holger Wolandt
Entführt
Entführt
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Andreas Kurth
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2012

Die Hölle in einem schalldichten Keller

Ohne zunächst zu ahnen, was mit ihr passiert, wird die junge Ylva auf dem Heimweg von der Arbeit von einem ihr bekannten Paar im Auto mitgenommen – und landet als Gefangene in einem schalldicht isolierten Keller. Ehemann Mike macht sich nach einiger Zeit erste Sorgen, versucht seine Frau telefonisch zu erreichen, geht dann aber davon aus, dass sie mal wieder eine Nacht nicht im eigenen Haus verbringt – sondern bei irgendeinem Liebhaber. Am nächsten Tag wendet er sich an die Polizei, ohne dort Hilfe zu finden. Vielmehr gerät er nach einiger Zeit selbst in Verdacht, etwas mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun zu haben. Ylva wird unterdessen ganz in der Nähe unter unwürdigen Bedingungen gefangen gehalten. Sie kann über einen Monitor das Geschehen rund um ihr Haus verfolgen, wird regelmäßig vergewaltigt – und soll offenbar von ihren Peinigern in den Suizid getrieben werden. Geschlagen und erniedrigt muss Ylva erkennen, dass sie von ihrer vergessen geglaubten Vergangenheit eingeholt wurde.

Psychische und physische Gewalt

Hans Koppel hat mit Entführt einen ungewöhnlichen Psycho-Thriller vorgelegt, der den Leser mit seiner Handlung von Beginn an fesselt. Täter und Opfer sind von Beginn an bekannt, aber man fragt sich ständig, wie weit wird es noch gehen? Wie kann die Situation aufgelöst werden? Die psychische und physische Gewalt, die der jungen Frau angetan werden, steigern sich, und man fragt sich zunehmend, wie lange Ylva das aushalten wird – und ob sie sich wirklich selbst das Leben nehmen wird, um ihr Leiden zu beenden. Die Gedanken und Ängste der jungen Frau nehmen breiten Raum ein, und werden gespiegelt in den Sorgen ihres Ehemannes.

Als der jedoch nach Monaten eine Beziehung mit ihrer Freundin und Arbeitskollegin beginnt, weil alle davon ausgehen, dass Ylva nicht wieder auftauchen wird, werden die Leiden der Gefangenen noch verschlimmert. Denn durch die Außen-Kamera und ihren Monitor im Keller kann sie diese neue Entwicklung stets verfolgen. Eingehend, fast schon distanziert, werden zudem die Sicherheitsmaßnahmen beschrieben, mit denen das ältere Ehepaar Ylva traktiert und in seiner Gewalt hält.

Faszinierende Gegensätze

Diese zuweilen fast schon sachlich anmutende Schilderung des sich über Monate hinziehenden Martyriums der jungen Frau in ihrem Verlies steht im Gegensatz zu den Gefühlen und Empfindungen der verschiedenen Protagonisten, die ebenfalls von Hans Koppel ausführlich, eingehend und in meinen Augen auch authentisch dargestellt werden. Diese Gegensätze machen einen großen Teil der Faszination dieses Romans aus. Aber auch der Spannungsbogen wird ständig hoch gehalten, denn es gibt immer noch neue Aspekte und Überraschungen. Eine eher merkwürdige Rolle spielen dabei die Ermittler aus den Reihen der Polizei. Sie werden vom Autor offenbar bewusst im Hintergrund gehalten, um nicht zu dominant zu werden. Zur Lösung des Falles tragen sie daher auch überhaupt nichts bei. Es geht in diesem Buch nicht um Polizeiarbeit und akribische Ermittlungen, sondern um Rache, um große Gefühle. Um Niedertracht, Reue und den Überlebenswillen einer jungen Frau.

Guter dramaturgischer Kniff im Finale

Diese Gefühlslage mischt Hans Koppel in seiner Erzählung gut durcheinander, der Leser wird hin- und hergerissen zwischen den Sichtweisen der verschiedenen Protagonisten. Auf Action im herkömmlichen Sinne verzichtet der Autor nahezu komplett – und sorgt dennoch dafür, dass man fasziniert immer weiterliest. Wie der Fall dann aufgelöst wird, ist nicht mehr wirklich überraschend, aber dennoch atmet man nach dem dramatischen Finale zunächst tief durch. Ein dramaturgischer Kniff hat mir dabei besonders gut gefallen. Viele Autoren setzen den Ausgangspunkt der gesamten Handlungen in einem Prolog in Szene. In Entführt ahnt man früh, um was es wirklich geht, aber erst in einer Art Epilog wird das Rätsel um die Motive der Entführer komplett gelöst. Eine spannend erzählte und lesenswerte Geschichte, die nie langweilig wird.

Entführt

Hans Koppel, Heyne

Entführt

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