Das Washington Dekret

  • Der Audioverlag
  • Erschienen: Januar 2013
  • 33
  • Kopenhagen: Aschehoug, 2006, Titel: 'Washington dekretet', Seiten: 634, Originalsprache
  • Berlin: Der Audioverlag, 2013, Seiten: 6, Übersetzt: Wolfram Koch
Das Washington Dekret
Das Washington Dekret
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Jürgen Priester
50°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2012

Es gibt viele Kröten zu schlucken

"Atemraubend spannend! - Faszinierend! - Realistisch!"
"Konstruiert! - Unglaubwürdig! - An den Haaren herbeigezogen!"

Jussi Adler-Olsens Roman Washington dekretet aus dem Jahre 2006, jetzt im Zuge des Adler-Olson-Hypes hierzulande auch auf Deutsch veröffentlicht, spaltet die Leserschaft. Das Spektrum der Reaktionen reicht von großer Begeisterung bis hin zur totalen Ablehnung.Warum der Roman so ein widersprüchliches Echo hervorruft, liegt hauptsächlich daran, dass der Autor gemessen an der Realität ein unglaubwürdiges Szenario entwirft – ein US-amerikanischer Präsident stürzt per Dekret sein Land in ein bürgerkriegsähnliches Chaos. Damit aber nicht genug, auch später stolpert man über etliche Ungereimtheiten, Auslassungen,Verallgemeinerungen und krasse Übertreibungen.

Dekrete – im US-amerikanischen Hoheitsgebiet "Executive Orders" genannt – sind Teil des präsidialen Machtinstrumentariums und gehen in den USA bis ins 18. Jahrhundert zurück. In der Regel werden präsidiale Gesetzesinitiativen und Verordnungen durch ein Votum des amerikanischen Kongresses (Repräsentantenhaus und Senat) gestützt oder verworfen.

Nach den Ereignissen von 9/11, die die Politiker des Landes an den Rand einer Paranoia brachten, sind in der Tat einige umstrittene "Executive Orders" erlassen worden, auf die sich Adler-Olsen in seinem Roman bezieht, wie er im Nachwort schreibt. Ebendort ist aber auch, quasi als Warnhinweis für den Leser, festgehalten:

 

Der vorliegende Roman ist ein fiktionales Werk. Alle Figuren und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Ereignissen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Dass Jussi Adler-Olsen mit der Realität nicht viel im Sinn hat, merkt man schon gleich in der Eingangssequenz zum Haupthandlungsstrang, denn er stellt den folgenschweren Maßnahmenkatalog (Washington-Dekrete) als reinen Willkürakt einer zutiefst verstörten Person dar.Was war passiert?

In der Wahlnacht, in der der frisch gewählte, neue amerikanische Präsident Bruce Jansen seinen erdrutschartigen Wahlsieg in einem Luxushotel in Virginia gebührend feiern will, wird dessen hochschwangere 2. Frau von einem Hotelangestellten erschossen. Das Fatale ist, dass Jansens 1.Frau ein ähnliches Schicksal erleiden musste. Vor sechzehn Jahren, als Jansen noch einfacher Gouverneur von Virginia war, begleitete er mit seiner Frau und seinen engsten Mitarbeitern die Gewinner eines TV-Ratespiels auf ihrem Trip durch China. Bei einer Besichtigung wurde Jansens Frau vor seinen Augen bei einem fehlgeschlagenen Straßenraub mit einem Messer tödlich verletzt. Wie gut oder wie schlecht Jansen dieses Trauma verarbeitet, ist nicht bekannt. Als sich nun dieses schreckliche Ereignis wiederholt, zieht er sich von allen Weggefährten und Freunden zurück und schmiedet düstere Pläne, wie die Öffentlichkeit bald erfahren wird. Den Amtseid noch auf den Lippen, verkündet er ein ganzes Bündel von Dekreten, die in ihrer Gesamtheit und Widersprüchlichkeit unsinniger nicht sein könnten. Erleichterungen beim Abhören von Wohnraum und Telekommunikation, Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, Verbot des Verkaufs und des Besitzes von Munition, Rückruf aller im Ausland stationierten Soldaten und Freilassung aller (mit Ausnahme der zum todeverurteilten) Strafgefangenen. Starker Tobak für Politiker, welcher Couleur auch immer, und für die Führungsetagen von Handel, Banken und Industrie. Man könnte annehmen, dass sie mit allen Mitteln dagegen sturmlaufen, aber der Autor verwehrt ihnen den Widerstand. Nur das Volk versammelt sich zu gelegentlichen Demonstrationen. Allein einige militante Hinterwälder gehen kompromisslos zur Sache, weil sie fürchten, dass ihnen die Patronen ausgehen könnten.

Es ist schon ein seltsames Szenario, das Adler-Olsen hier entwirft, zumal das Attentat offiziell nur auf zwei Personen zurückgeführt werden kann. Der Täter, der etwas minderbemittelte Hotelangestellte, wird auf frischer Tat erschossen. Als Anstifter muss der millionenschwere Hotelbesitzer Bud Curtis herhalten. Dass ihm etwas untergeschoben wird, merkt der Leser sofort, leider aber nicht seine überbezahlten Anwälte. Ratzfatz sitzt Curtis in der Todeszelle. Dabei braucht später ein einfacher Sheriff gerade mal ein paar Stunden Akteneinsicht, um die Lücken in der Beweisführung zu finden.

Jussi Adler-Olsen erzählt seine Geschichte aus der Sicht mehrerer Personen, die sich zum Teil schon auf der Chinareise vor 16 Jahren kennengelernt hatten. Als Erste ist da Dorothy Rogers zu nennen. Sie belegte damals als 14-Jährige den 3. Platz beim Fernsehquiz und seit der Chinareise fühlt sie sich dem ehemaligen Gouverneur und jetzigen Präsidenten freundschaftlich verbunden. Nach ihrem Jurastudium stieg sie in dessen Wahlkampfteam ein und arbeitet jetzt an untergeordneter Stelle im Weißen Haus. Dorothy – von allen, warum auch immer, Doggie genannt – ist fatalerweise die Tochter des inhaftierten Hoteliers Bud Curtis (sie trägt den Nachnamen ihrer Mutter, der zum Glück nicht Style lautet). Auch wenn das Verhältnis zu ihrem Vater wegen dessen kontroversen politischen Ansichten nicht das beste war, entwickelt sie doch noch Gefühle für ihren alten Herrn in seiner aussichtslosen Situation. Sie nimmt Kontakt zu Sheriff T. Perkins auf, auch ein Quiz-Gewinner, der im ländlichen Virginia eine ruhige Kugel schiebt. Dieser lässt seine Beziehungen spielen und kann auch schnell vielversprechende Resultate aufweisen. Ansonsten sieht es mau aus mit Dorothys Freunden. Im Weißen Haus sitzt noch Wesley Barefoot, der Pressesprecher des Präsidenten, der aber ein unsicherer Kantonist zu sein scheint, da er doch arg auf seine Karriere bedacht ist. Seine sporadischen Gefühlsanwandlungen Dorothy gegenüber wirken ziemlich aufgesetzt. Aber in Zeiten der Not muss jeder erst einmal sehen, wo er bleibt, oder auch nicht.

Die USA im Ausnahmezustand. Die USA als Kontroll- und Überwachungsstaat. Wie so etwas in der Realität aussehen könnte, kann man sich einerseits nicht vorstellen, andrerseits kann man seiner Fantasie freien Raum lassen. Das haben besonders im letzten Jahrzehnt viele Future-Fiction-Autoren getan, deren meist dystopische Gesellschaften auf einer Mischung aus Faktischem, Wahrscheinlichem und Möglichem gründen. Jussi Adler-Olsens Absicht war, sich in seinem Washington-Dekret möglichst nahe an der Realität zu orientieren. Wenn man das macht, muss sich auch firm machen, wie die Realität denn aussieht. Dazu bedarf es eines Blickes hinter die Kulissen. Wie viele überschätzt auch Adler-Olsen die Macht eines amerikanischen Präsidenten. Es ist völliger Humbug zu glauben, er könne im Alleingang weitreichende Dekrete, wie beschrieben, durchsetzen. Genauso abwegig ist die sich daran anschließende Verschwörung, die auf die Machtgier eines einzelnen Politikers zurückzuführen sei. Es wird in den USA mächtige Strippenzieher geben, aber die sind nicht in der Politik zu finden.

Der Rezensent kann sich der Buchhändlerin Uli, die den ersten Leserkommentar hier auf der Krimi-Couch geschrieben hat, nur anschließen. Das Washington-Dekret kann man nicht guten Gewissens empfehlen. Zu dick sind die Kröten der Unglaubwürdigkeit, die Adler-Olsen uns hier vorsetzt, als dass man sie alle schlucken könnte. Einige ganz passable actionreiche Szenen in der zweiten Hälfte des Romans retten den insgesamt verkorksten Plot auch nicht mehr. Zumal das Finale wieder zu schön ist, um wahr zu sein.

Das Washington Dekret

Jussi Adler-Olsen, Der Audioverlag

Das Washington Dekret

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