Die Wahrheit stirbt zuletzt

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2012
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  • Kopenhagen: Lindhardt og Ringhof, 2010, Titel: 'Min broders vogter', Originalsprache
  • München: dtv, 2012, Seiten: 496, Übersetzt: Anne-Bitt Gerecke
Die Wahrheit stirbt zuletzt
Die Wahrheit stirbt zuletzt
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Matthias Kühn
78°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2012

Was getan werden muss

"Auf der Spur seines verschwundenen Bruders", so heißt es in der Inhaltsangabe, gerät Magnus Meyer "in die Wirren des Spanischen Bürgerkriegs." Allein diese Aussage unterschlägt den ersten Teil von Die Wahrheit stirbt zuletzt – und das sind knapp 120 Seiten. Denn zunächst einmal, nach dem Epilog, auf den ich später komme, kehrt Magnus nach fünf Jahren zurück ins heimische Jütland. Er war in Argentinien und in New York, wo er unter anderem als Leibwächter für einen Mafiaboss gearbeitet hatte.

Aber die zitierte Aussage ist durchaus richtig: Leif Davidsen hat ein Buch über den Spanischen Bürgerkrieg geschrieben. Francos Truppen sind 1937, unterstützt vor allem von Deutschen und Italienern, stark im Kommen, Guernica war im Jahr zuvor von der Legion Condor in Schutt und Asche gelegt worden. Außer den Sowjets und vielen schlecht bis gar nicht ausgebildeten Idealisten unterstützt kaum jemand die Republik. Viele Länder, beispielsweise Dänemark, halten sich offiziell komplett raus, die dortigen Zeitungen aber berichten hauptsächlich antirepublikanisch. Und der Republik geht das Geld aus.

Um die Devisenreserven zu retten, soll spanisches Gold nach Russland gebracht werden. Hundert Kisten verschwanden auf der Reise – ein Stoff, der schon bei manchen Autoren die Phantasie anregte. Leif Davidsen bringt einen – später – reichen Großindustriellen aus Dänemark mit dem verlorenen Gold in Verbindung. Ein durchaus raffinierter Trick, der auch deswegen glaubwürdig rüberkommt, weil Davidsen für sein Buch unendlich viel recherchiert hat. Auch dazu später mehr.

Zunächst aber mal zu Prolog und erstem Teil: Im Prolog sitzt der reiche Mann an seinem achtzigsten Geburtstag, was im Jahr 2012 auch schon eine Weile her ist, und sinniert nicht immer ganz altersgemäß zu den Ehrungen anlässlich seines Jubiläums:

 

In Argentinien, Spanien und in Stalins Russland habe ich Menschen getötet. In Argentinien, um meine Haut zu retten, als mein Schwanz mich mal wieder in Schwierigkeiten gebracht hatte. In Spanien war es wohl vor allem um meines persönlichen Vorteils willen, und in Russland ging es um Irina. Doch dafür zeichnet man mich nicht aus. Den Orden mit Schleife und Sternchen darauf bekomme ich für mein Wirken während des Krieges, und das, was sie für Mut halten, war in Wirklichkeit die Wut über die Ungerechtigkeit des Lebens

 

 

Im ersten Teil dann betritt Magnus Meyer seine Heimat Jütland, trifft nach mehreren Jahren wieder auf Schwester und Vater – und bereitet sich darauf vor, den Bruder Mads in Spanien zu finden, der dort für die Internationalen Brigaden kämpft. Der Prolog macht klar: Was wir hier lesen, ist kein Roman, sondern die Lebensbeichte, die nach dem Tod des Schreibers das eigene Bild in der Gesellschaft verändern soll:

"Im Angesicht des Todes will ich der Wahrheit Genüge tun."

Zurückgekommen nach Dänemark ist Magnus vor allem, weil seine Schwester Marie ihn darum gebeten hatte. Marie ist es auch, die ihn mit der Idee versorgt, wie die Heimholung gelingen könnte: Magnus reist als Journalist getarnt nach Spanien. Natürlich trifft er Mads in Spanien, und ebenso natürlich weigert der sich, die Heimreise anzutreten, nur weil ihm sein großer Bruder in den Ohren liegt. Aber Magnus lernt, scheinbar zufällig, einen Menschen kennen, der die ganze Geschichte verändert und für neue Ziele sorgt: Joe Mercer ist Journalist – oder doch ein russischer Spion? oder arbeitet er für die CIA? Jedenfalls erfährt Magnus vom spanischen Goldtransfer und den fehlenden hundert Kisten.

Auch Irina, die schon durch den Prolog flattert, lernt Magnus in Spanien kennen. Das Glück währt nur kurz, ach, die beiden haben keine Chance, ach, hätten sie sich nur in einer ruhigeren Zeit getroffen, das Schicksal meint es nicht gut mit ihnen. Irina kehrt, ob freiwillig oder nicht, in die UdSSR zurück; Magnus folgt, nicht einmal ganz freiwillig. Dort spielt dann der abschließende dritte Teil, der bis ins Frühjahr 1938 reicht.

Was Davidsen außerordentlich gut gelungen ist: Die Familien- und Liebesgeschichte in eine politisch völlig verrückte Zeit einzubetten und zu zeigen, wie äußere Umstände vor allem in wirren Zeiten Leben bestimmen können. Auch wer sich einigermaßen auskennt im Spanischen Bürgerkrieg, wer beispielsweise George Orwell und Arthur Koestler gelesen hat, wird immer wieder überrascht – was auch an der privaten Entwicklung der Protagonisten liegt. Wie gesagt, Davidsen hat intensiv recherchiert. Er führt im Nachwort zahlreiche Bücher als Quellen an, beruft sich auch auf den Ken-Loach-Film Land and Freedom, der sich wiederum auf Orwell bezieht, und er gesteht, dass das Thema ihn seit Jugendtagen beschäftigte.

Und genau da steckt auch das Manko dieses Buches, dessen Originaltitel Meines Bruders Hüter bei uns von Stanislaus Joyce besetzt wurde; ein dermaßen pathetischer Titel wie Die Wahrheit stirbt zuletzt aber wird der Ernsthaftigkeit des Buches in keiner Weise gerecht. Das Manko also: Was Davidsen hier alles versammelt, ist einfach zu viel. Das beginnt schon mit den Gedichten, Briefen und Erzählungen des Bruders, die den Werken Gustav Munch-Petersens nachempfunden sind, wie Davidsen im Nachwort bekennt. Munch-Petersen gehörte zu den rund fünfhundert dänischen Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg, und auch hier hat der Autor alle erdenklichen Quellen studiert – und fürs Buch genutzt.

So detailliert wie die Recherche ist auch das Erzählen: Ganz langsam, mit Blicken in alle Richtungen, überall finden sich Erkenntnisse der langen Forschungen – und machen das eigentliche Erzählen immer wieder störrisch, zäh und brüchig. Angenehm ist immerhin, mit welcher Gradlinigkeit Davidsen seinen Erzähler Magnus Meyer seine Morde, Betrügereien und Lügen bekennen lässt. Am Ende, nach immerhin rund 520 Seiten, überwiegt dann doch die Tatsache, ein glaubwürdiges, schonungsloses Buch gelesen zu haben, das übrigens von Anne-Bitt Gericke in ein überaus elegantes Deutsch transportiert wurde. Na, hundert Seiten weniger, und das Ding wäre wirklich groß geworden.

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Leif Davidsen, dtv

Die Wahrheit stirbt zuletzt

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