Poker mit Pandora

  • Unionsverlag
  • Erschienen: Januar 2011
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  • Madrid: Salto de Página, 2008, Titel: 'A timba abierta', Seiten: 155, Originalsprache
  • Zürich: Unionsverlag, 2011, Seiten: 204
Poker mit Pandora
Poker mit Pandora
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Matthias Kühn
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2012

Schräg, poetisch, bildstark und brutal – Beginn einer Serie

So ein Privatdetektiv ist mir schon lange nicht mehr begegnet: Julio Cabria ist in den frühen Fünfzigern, antriebsschwach, trinkfest, übergewichtig, spielsüchtig; und er drückt sich vor Verantwortung, wann immer es ihm möglich ist. Kaum hat er Geld in der Hand, verbringt er die Nacht am illegalen Spieltisch. Aufträge hat er so gut wie keine, dafür ein rundum verkorkstes Leben. Seine besten Tage hat er hinter sich, und die waren auch nicht wirklich gut.

Am Anfang des Romans ist Cabria ganz am Ende. Er will sich vom Dach stürzen, aber dazu fehlt ihm dann doch der Mut. Springen geht nicht, weil es ihm an Energie mangelt, also will er sich in den Abgrund rollen lassen. Ein Auftrag rettet ihn – auf dem Dach stehen plötzlich ein paar Mafia-Gestalten: Cabria soll eine ominöse Italienerin suchen, die in diesem Viertel von Madrid umherschwirrt.

Diese Skurrilität, mit der Poker mit Pandora beginnt, ist ein Versprechen: Keine der Figuren in diesem von Peter Kultzen bestens übersetzten Roman benimmt sich auch nur annähernd normal. Allen voran natürlich weiterhin Cabria: Er liest Sportzeitungen und debattiert über Real Madrid, trinkt um die Mittagszeit ein paar Gin Tonic, damit er nachmittags im Kino besser schlafen kann, und er liebt die Poesie des 18. Jahrhunderts, die hier auch gelegentlich zu Wort kommt.

Besonders schräg sind die Polizisten, die kaum durchblicken, falschen Gerüchten aufsitzen und gar nicht ermitteln können. Einer davon will gerade Cabrias Ex heiraten, was für zusätzliche Konflikte sorgt. Diese vor sich hin pfuschenden Kriminalbeamten sind durch die Bank fast typische Polizisten aus spanischen Krimis, in denen die Darstellung der Polizei bis heute geprägt ist von Unbehagen und Skepsis, wie sie sich während der Franco-Diktatur angesammelt haben. Dass selbst ein Autor, der bei Francos Tod erst fünf Jahre alt war, diese Tradition fortsetzt, verwundert daher kaum.

Unvergessliche Figuren gibt es hier, neben den bösartig stupiden, korrupten Polizisten, einige. Da ist der schmierige César, der Wirt, der Cabria mit Sportzeitungen und Gin Tonic versorgt und bei dem sich mittags immer irgendwelche Schulmädchen tummeln; da ist Cabrias drogensüchtiger Bruder, ein Pfarrer; und da ist der "gleichmäßig hinkende" Informant Vitriolo, der als Beobachter und Zuhörer über gewaltige Fähigkeiten verfügt und zu seinem Unglück sehr begehrt ist:

 

Er war imstande, das Geräusch wahrzunehmen, das entsteht, wenn eine Kontaktlinse auf einem weichen Teppichboden landet, konnte von den Lippen ablesen, mehreren Unterhaltungen gleichzeitig folgen, ohne dass ihm das Geringste entging, und Sätze wiederholen – unter genauer Angabe von Datum und Urheber –, die Jahre zuvor in seiner Gegenwart gesprochen worden waren, selbst wenn es sich um eine Sprache handelte, die er nicht beherrschte.

 

Spätestens hier ist klar: Dieser Autor überrollt einen förmlich mit dichter Poesie, mit verrückten Übertreibungen und ausgesuchten Metaphern. Es geht weiter und weiter:

 

Wenn Vitriolo über seine Arbeit nachdachte, sah er sich weder als herkömmlichen Berufstätigen noch als Künstler noch als jemanden, der auf eigene Faust Geschäfte zu machen versucht. Er war ganz einfach der geborene Zuhörer, und aus dem geschickten Einsatz dieser Fähigkeit bezog er seinen bescheidenen Lebensunterhalt. [...] Vitriolo [...] war ein Voyeur der Worte und schon als Kind in der Lage gewesen, dem verklausulierten Kauderwelsch der Erwachsenen mühelos die wahren Absichten zu entnehmen.

 

Wunderschön, komisch und poetisch ist das immer wieder – aber es dient natürlich nicht unbedingt dem Fortkommen der Geschichte. Urra ist mehr interessiert an obskuren Situationen, er schildert beispielsweise minutiös ein Kartenspiel mitsamt allen Beteiligten. Aber aus solchen gekonnten Abschweifungen bezieht der Roman eine eigenartige Spannung. Und wenn dann, im Wortsinn, mit hartem Schlag die Realität über Figuren und Leser hereinbricht, schockiert die dargestellte Gewalt umso mehr. Ein feiner Kniff.

Frauen übrigens sind selten in der Welt um Julio Cabria: Es sind vor allem zwei – seine Ex-Frau, die sich mit der Polizei gemein gemacht hat, und eine Dame, die dem Detektiv etwas Lebensmut schenkt.

Skurril ist auch der Mann, der schließlich für die Lösung des Falles sorgt – ein weltfremder Computerfreak, in Cabrias Augen der Erleuchtete. Denn Pandora, die bei den ebenfalls abgedrehten Anarchisten Hoffnungen weckt, ist keine normale Frau – und Cabria kein mit allen Wassern gewaschener Held, der die Neuen Medien perfekt nutzt. Im Gegenteil: Er kommt zumeist eher ungewaschen daher und kann kaum sein eigenes Mobiltelefon bedienen. Rundum also eine ungewöhnliche Figur.

Eines muss ich noch sagen: Der Fall wird in diesem Buch nicht völlig geklärt. Poker mit Pandora geht nahezu direkt in Urras zweiten Cabria-Krimi Harlekin sticht über. Óscar Urra hat hier also nicht einfach eine neue Detektiv-Reihe aufgemacht, er hat begonnen, eine Serie aufzurollen. Es wird also weitergehen, und sicher wird es immer wieder – wie in den ersten beiden Büchern – zu überraschenden Wendungen und (Todes-)Fällen kommen. Aber Vorsicht: Hier sterben auch mal die Falschen.

Poker mit Pandora

Óscar Urra, Unionsverlag

Poker mit Pandora

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