Das Pendel des Todes

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1975
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  • London: Collins, 1973, Titel: 'His burial too', Seiten: 191, Originalsprache
  • München: Goldmann, 1975, Seiten: 153, Übersetzt: Tony Westermayr
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2012

 Die Schwerkraft als Mordkomplizin

Richard Tindall ist verschwunden. Der ansonsten so zuverlässige Chef einer kleinen aber feinen Firma, die Produkte vor der Markteinführung auf ihre Tauglichkeit überprüft, hinterlässt seiner Tochter Fenella ein Chaos. Geheime Aufzeichnungen können nicht gefunden werden, ein obskurer "Geschäftsmann" behauptet hartnäckig, der neue Eigentümer des Unternehmens zu sein, niemand scheint Tindall gesehen zu haben, bevor er sich in Luft auflöste.

Die Kriminalpolizei des Örtchens Berebury in der englischen Grafschaft Calleshire schickt ihren besten Mann: Kriminalinspektor Christopher Dennis Sloan. Lange muss dieser nicht nach Tindall fahnden lassen; man findet das, was von ihm übrig ist, im Turm der alten Kirche von Randall"s Bridge unter den Trümmern des Fitton-Monuments, einer riesigen Marmorskulptur aus alter Zeit. Als ihn das monströse Kunstobjekt traf, war Tindall freilich bewusstlos, wie Polizeiarzt Dabbe herausfindet. Man hat ihn ermordet, doch wer war es und vor allem wie? So dick ist die Trümmerschicht, dass sich die beiden Türen zum Kirchturm nicht mehr öffnen lassen. Andere Zugänge gibt es nicht. Wie hat sich der Täter aus dem Staub gemacht?

Auch das Warum bleibt offen. Tindalls Firma ist in keine dunklen Machenschaften verwickelt, Feindschaften gibt es nicht - scheinbar, denn hart bedrängt vom ungeduldigen Chefinspektor Leeyes und nicht wirklich unterstützt durch den jungen, eher vorlauten als hellen Konstabler William Crosby stößt Sloan auf einige Unstimmigkeiten. Wo ist Fenellas Freund geblieben, der nicht wie angekündigt nach Italien geflogen ist? Wieso sind streng geheime Papiere verschwunden? Warum hat Tindall seine Firma verkauft - oder hat er gar nicht? Die Zeit drängt, es dauert nicht lange, bis die nächste Leiche gefunden wird. Der Mörder ist schlau und er verfügt über naturwissenschaftliche Kenntnisse, die ihm scheinbar gestatten, die Zeit zu betrügen ...

Mordinstrument Marmorstatue

Selbstverständlich ist der Mörder derjenige, den (oder die?) wir am wenigsten verdächtigt haben. So ist es Brauch im guten, alten Kriminalroman aus England, der wohl niemals aussterben wird. Wieso sollte er auch, ist doch der Spaß an einem "Whodunit" ein zeitloser. Unmögliche Morde in verschlossenen Räumen faszinieren immer; hier ist es nicht anders, obwohl die Atmosphäre mit einem der bewährten Landhaus-Thriller kaum vergleichbar ist.

"Das Pendel des Todes" (Fluch auf den Trottel, der sich diesen die Pointe fast vorwegnehmenden deutschen Titel "einfallen" ließ!) wirkt nie wie ein Krimi aus der "Goldenen Ära". Es werden keine Figuren und Situationen aus längst versunkenen Tagen abgestaubt und zum Einsatz gebracht. Berebury ist eine Kleinstadt der Gegenwart (bzw. der 1970er Jahre) und keineswegs abgeschnitten von den Realitäten der Moderne.

Den Zauber der genannten Ära belegt Catherine Aird auf andere Weise: Sie überzeichnet - dies noch ganz klassisch - ihre Figuren, die deshalb leicht karikiert wirken. Außerdem setzt sie auf Wortwitz. "Das Pendel des Todes" erinnert (nicht nur) hierin sehr an die großartige Dalziel/Pascoe-Serie des Reginald Hill. Auch Furcht vor dem Skurrilen muss sich Aird nicht vorwerfen lassen. Es kann sehr witzig sein, wenn ein Mann unter eine Steinstatue gerät. Vor allem ist es so absurd, dass sich die Spannung leicht in Heiterkeit entlädt, wenn man kundig geleitet wird. Aird gelingt das Kunststück, zwischen dem Makabren und dem Scherz die Balance zu halten.

Was sie sich schließlich als Auflösung ihres marmornen Mordrätsels hat einfallen lassen, hätte auch John Dickson Carr, dem Meister des vertrackten Tötens, gut gefallen. Zufrieden spart sich der Leser den Widerspruch, dass eine Untat wie die beschriebene wohl kaum eine zuverlässige Lösung ist, einen unliebsamen Zeitgenossen aus dem Weg zu räumen.

Unerwartete Tücken des Objekts

In einer leicht wahnwitzigen Welt ist Inspektor C. D. Sloan notgedrungen ein ruhender Pol. Er ist im Gegensatz zu seinen Kollegen ein Mann ohne besondere Eigenschaften. Das ist gut so, denn einer muss die kriminalistische Arbeit leisten. Weder von seinen Untergebenen noch von seinem Chef kann Sloan nämlich große Hilfe erwarten. Chefinspektor Leeyes beschränkt sich darauf, ihn anzufauchen oder mit der Umsetzung nur halb verstandener aber "moderner" Polizeimethoden zu beauftragen. Konstabler Crosby ist eifrig, wird es aber als verhinderter Rennfahrer und entschiedener Gegner des deduktiven Denkens nicht weit bringen in seinem Job.

Die Nähe zu den Romanen von Reginald Hill wurde bereits erwähnt. Leeyes ist Dalziel, Sloan Pascoe. Sogar einen Sergeant Wield gibt es, den ranggleichen und ansonsten ebenso unerschütterlichen Gelven, der dieses Mal indes zu Sloans großem Kummer verhindert ist. Es fehlt selbstverständlich nicht der abgebrühte Polizeiarzt, Dr. Dabbe, der zynische Späßchen über den Tod reißt.

Es fällt auf, dass Aird die Figur der Fenella Tindall sehr realistisch schildert. Angesichts der Tatsache, dass sie nie wirklich in Verdacht gerät und auch sonst eine Nebenfigur bleibt, ist dies unverständlich; es wirkt außerdem fremd, da sich im Tindallschen Haushalt und in der Firma des Vaters recht verschrobene Gestalten aufhalten. (Was sie dort eigentlich herstellen bleibt das Geheimnis der Verfasserin - ein weiterer hübscher Scherz, der wie nebenbei serviert wird und deshalb umso wirksamer ist.)

Hier muss allerdings die Frage offenbleiben, ob solche Passagen einer Übersetzung zum Opfer gefallen sind, die deutlich seitenärmer als das Original ist - ein weiterer Punkt auf jener Liste, die Gründe für ein Neuerscheinen dieser unterschätzten Krimi-Serie benennen!

Das Pendel des Todes

Catherine Aird, Goldmann

Das Pendel des Todes

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