Ende des Kapitels

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 1962
  • 1
  • London: Collins, 1957, Titel: 'End of chapter', Seiten: 256, Originalsprache
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1962, Titel: 'Schluss des Kapitels', Seiten: 184, Übersetzt: Margret Schmitz
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1988, Titel: 'Schluss des Kapitels', Seiten: 218
  • Zürich: Diogenes, 1998, Seiten: 311, Übersetzt: Nikolaus Stingl
  • Zürich: Diogenes, 2000, Seiten: 311, Übersetzt: Nikolaus Stingl
Ende des Kapitels
Ende des Kapitels
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Michael Drewniok
95°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2012

Erst giftige Feder, dann blanker Mord

Ausgerechnet das renommierte Londoner Verlagshaus Wenham & Geraldine ist in einen Skandal verwickelt: Obwohl der hier veröffentlichte General Thoresby sich bereiterklärt hatte, in seinen Memoiren einige ehrenkränkende Anschuldigungen gegen seinen lebenslangen Konkurrenten Sir Charles Blair-Chatterley zu streichen, wurden diese von unbekannter Hand wieder in das Manuskript eingefügt, gedruckt und in den Handel gebracht. Nun feiern die Medien ein Fest, und der wütende Blair-Chatterley hat nicht nur Thoresby, sondern auch den Verlag wegen Verleumdung verklagt.

In ihrer Not beauftragt die Führungsspitze – bestehend aus Arthur Geraldine, Elizabeth Wenham und Basil Ryle – den Privatdetektiv Nigel Strangeways mit der Aufklärung dieser Sabotage. Als Teilzeit-Lektor wird er in den Verlag eingeschmuggelt, von den Mitarbeitern jedoch rasch durchschaut, woraufhin Strangeways seine Maske fallen lässt und auf klärende Indiskretionen hofft. Hinter den Kulissen von Wenham & Geraldine geht es nämlich wenig kultiviert zu. Konkurrenzkämpfe werden still aber heftig geführt. Die brisanten Passagen könnten deshalb viele verärgerte Mitarbeiter und sogar Gäste des Hauses auf ihren Weg gebracht haben.

Hat General Thoresby selbst heimlich den ursprünglichen Text wiederhergestellt? Oder Herbert Bates, der als Herstellungsleiter aufgrund angeblich veralteter Arbeitsmethoden zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde? Verdächtig ist weiterhin Stephen Protheroc, ein ausgebrannter Dichter, der als Lektor für den Verlag arbeitet und den Verfall der Literaturkultur beklagt. Bevorzugtes Opfer seines Zorns ist die Romanzen-Königin Millicent Miles, die stets gern bereit ist, Öl ins Feuer zu gießen. Außerdem ist sie zornig, weil Wenham & Geraldine die Literaturzeitschrift ihres nichtsnutzigen Sohnes Cyprian Gileed nicht verlegt. Motive und Gelegenheiten hatten sie alle, aber erst ein überaus brutaler Mord enthüllt, dass auch Leidenschaft in einem Spiel ist, das bereits vor Jahrzehnten begann und von einem ebenso rachsüchtigen wie klugen Menschen in Szene gesetzt wird …

Auch hehre Geister hegen ihren Groll

Am Anfang steht – von Verfasser Nicholas Blake ebenso geschickt wie hinterlistig und vor allem witzig gefördert – der schöne Schein eines Verlages, der nicht nur vornehm residiert, sondern sich in dem edlen Auftrag aufreibt, kluge Bücher für ebensolche Leser zu veröffentlichen. Dabei ziehen Autoren, Verleger und Lektoren vorgeblich an einem Strang, weil sie quasi im Auftrag einer höheren Macht arbeiten, der Streit, Neid oder Intrigen unbekannt sind.

Es dauert nur wenige Absätze, bis dieses Trugbild in seinen Grundfesten erschüttert und kurz darauf zerstört ist. Die genannten Kopfarbeiter sind tatsächlich auch nur Menschen, und vielleicht sind sie sogar menschlicher als ihre weniger kultivierten Zeitgenossen, die den Konflikt nicht als Beleidigung und Aufforderung zum Kampf auf Leben & Tod sehen, sondern als Ventil nutzen, um Druck aus einer verfahrenen Situation abzulassen

Doch die Männer und Frauen von Wenham & Geraldine betrachten sich selbst als Privilegierte, die über solchen Banalitäten stehen. Es bedarf eines Außenstehenden, um diese Selbsttäuschung und Heuchelei zu zerstreuen. Diese Aufgabe übernimmt Autor Nicholas Blake bzw. (im zwölften Roman dieser Serie) seine Hauptfigur Nigel Strangeways. Blake kennt die Realität vor und hinter der Schreibfeder, denn er war nicht nur Schriftsteller, sondern nach dem II. Weltkrieg einige Jahre im Verlagsgeschäft tätig. Seine Schilderungen besitzen daher nicht nur den nostalgischen Glanz einer Ära, in der die (mechanische) Schreibmaschine das modernste Handwerkszeug darstellte, sondern wirken auch und nicht von ungefähr überaus authentisch.

Der Geist und das Geschäft – Das Geschäft mit dem Geist

Die intime Kenntnis des dargestellten Arbeitsalltags teilte Blake mit Kollegen und Zeitgenossen wie Dorothy L. Sayers (1893-1957) oder Henry Slesar (1927-2002), die es in den weniger erfolgreichen Frühjahren ihrer Karrieren in die freie Wirtschaft verschlagen hatte. (Sayers war in einer Werbeagentur beschäftigt und ließ Lord Peter Wimsey 1933 in Murder Must Advertise/Mord braucht Reklame in diesem Milieu ermitteln, Slesar war ebenfalls Werbetexter und nutzte dies 1961 für seinen Roman-Erstling The Gray Flannel Shroud/Wer nicht wirbt, der stirbt bzw. Das graue, distinguierte Leichentuch.) Akademisch gut ausgebildet und eher intellektuell gestimmt, stellte die Konfrontation mit einer auf Profit ausgerichteten Realität offensichtlich eine durchaus schockierende Erfahrung dar.

Die Verleger Wenham, Geraldine und Ryle verkörpern Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Obwohl Das Ende des Kapitels ein klassischer englischer "Whodunit"-Krimi ist, bleibt die Realität (des Jahres 1957) keineswegs ausgeklammert. Nicholas Blake verfolgte sehr aufmerksam die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Strömungen seiner Gegenwart, und er scheute sich nicht, sie zu kommentieren.

Daher macht er keinen Hehl aus seiner kritischen bis offen ablehnenden Haltung, die sich gegen jene "neuen" Menschen richtet, die Kommerz und Bürokratismus über eine humanistische Bildung und Gesinnung stellen, die allein einen Geist heranwachsen lässt, der die Probleme der Welt aufgeschlossen angehen kann. Folgerichtig bereitet es den Rittern auf Burg Wenham & Geraldine, die sich vom Pöbel belagert wähnen, grimmiges Vergnügen, erfolgreiche aber in ihren Augen "dumme" Zeitgenossen intellektuell zu demütigen. Auch Strangeways ist sich nicht zu fein für dieses seltsame und einseitige Spiel, als er brutal einem arglosen Beamten die geistige Enge seiner Existenz vor Augen führt.

Menschen statt Schachfiguren ihres Verfassers

Zwar gibt es "Whodunit"-Figuren wie den knorrigen Krieger, der sich für Britannien aufgerieben hat. Doch General Thoresby macht sich selbst über seinen buschigen Schnurbart lustig und entpuppt sich als hellwacher Zeitgenosse, der den anstehenden Prozess nutzen will, um medienwirksam einen Versager zu entlarven. Auch innerhalb des ehrwürdigen Verlagshauses ist die Zeit nur vermeintlich stehengeblieben. Tatsächlich zeigen die Kalender auch dort 1957. Bücher sind eine Ware, und der Geschmack des Publikums ändert sich: Diesen Prozessen wird Rechnung getragen. Somit steht von vornherein fest, dass keine literarischen Streitfragen für Intrigen und Mord sorgen. Grundsätzlich menschliche Eitelkeiten wurden verletzt und schufen den Nährboden für sorgsam gepflegten und üppig heranwachsenden Zorn, der lange und zunehmend mühsam kontrolliert wurde, um sich schließlich besonders heftig zu entladen.

Die böse Tat wird dabei vorsätzlich und mit genug Bedacht begangen, eventuelle Spuren zu verwischen oder gar zu fälschen. Dem Verfasser obliegt es, scheinbar lückenlose Alibis so zu schwächen, dass es den Lesern logisch dünkt und sie überrascht. Dieser Aufgabe ist Nicholas Blake nicht nur gewachsen. Während er die Fäden fest in der Schreibhand hält, bleibt ihm genug Esprit, seine Leser mit geistreichen und/oder witzigen Einschüben zu unterhalten und abzulenken.

Die Unterscheidung fällt manchmal schwer, da der selbstbewusste Blake die Grenze zur offenen Herablassung problemlos übertritt. Der ernst zu nehmende Mensch zitiert Shakespeare und die großen Gedichte der Vergangenheit; man erkennt einander, wenn man sich solche Bälle zuspielt. Aus solcher Bildung resultiert weiterhin Charakterstärke, die Blake ungemein wichtig nimmt. Vor allem der jüngere Generation geht diese seiner Meinung nach ab, was sich in unfreundlichen und seltsam plumpen Vorurteilen Bahn bricht: Cyprian Gileed ist durch seinen ungepflegten Vollbart, die Liebe zum ´progressiven´ Free-Jazz oder seinen zur Schau gestellten Zynismus die Klischeefigur des arbeitsscheuen, pseudo-intellektuellen, ungewaschenen "Existentialisten" und wird auf diese Weise als Schwächling und Strolch gebrandmarkt.

Nigel in der Löwengrube

Der "Whodunit" fordert als Ermittler einen Wanderer zwischen den Welten. Nigel Strangeways ist Ermittler und von Berufswegen (sowie durch seinen Namen) prädestiniert, "fremde Wege" zu beschreiten. Offizielle und unsichtbare Grenzen gelten für ihn nicht. Er kann sich über sie hinwegsetzen und dabei Verbindungen offenlegen, die den in ihren Mikrokosmen gefangenen Männern und Frauen im Umfeld der Täter und Opfer unerkannt bleiben. Status und Bildung verschaffen ihm einen Stallgeruch, der ihm das Vertrauen auch der oberen Gesellschaftsschichten sichert, wobei er andererseits Feingefühl und Verständnis notfalls überzeugend vorgeben kann. Dieses Talent oder besser: die aus ihm entwickelten Fähigkeiten machen aus Strangeways einen erfolgreichen Ermittler; immer wieder lesen wir, dass seine Gesprächspartner verblüfft bemerken, wie sie ihn, einen Fremden, ins Vertrauen ziehen.

Da Strangeways selbst Schriftsteller ist, kann er eigene Erfahrungen in die aktuellen Ermittlungen einbringen. Das ist wichtig, wie auch der Leser schnell lernt, der nebenbei einen Schnellkurs in die Arbeitsabläufe eines Buchverlags erhält: Für den klassischen "Whodunit" ist solches Wissen wichtig, denn das fallentscheidende Indiz wird sich als nur scheinbar nebensächliches Detail entpuppen.

Obwohl sämtliche Elemente des klassischen Rätselkrimis akribisch beachtet werden, ergänzt Blake sie durch eine intensive Psychologisierung seiner Hauptfiguren. Emotionale Verletzungen und Schwächen bedingen eine Bluttat, die auch Tragödie ist. Dabei vermeidet Blake die Brechung durch Humor, sondern beschreibt in Worten, die so klar sind, wie sie die zeitgenössische Leserschaft ertragen wollte. Damit übertreibt er es nicht selten, und manche Charakterzeichnung atmet wie beschrieben allzu deutlich einen Zeitgeist, von dem auch oder gerade Nicholas Blake keineswegs frei war. Das mindert jedoch nicht das Vergnügen an einem "Whodunit", der mehr als schnurrig-gemütliche Alltagsferne bieten möchte und kann.

Ende des Kapitels

Nicholas Blake, Rowohlt

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