Der Gewählte

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 2011
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  • Frankfurt am Main: Scherz, 2011, Seiten: 461, Übersetzt: Rainer Schmidt
  • London: Harper, 2010, Titel: 'The chosen one', Seiten: 438, Originalsprache
Der Gewählte
Der Gewählte
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Jürgen Priester
58°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2011

Pulver verschossen – der Erste war der Beste

In der Kategorie Agenten-Polit-Thriller hat sich in der Nachkriegszeit eine Art Oberliga herausgebildet. Zu ihr dürften wohl Alt- und Großmeister wie Robert Ludlum, Lee Child, Nelson DeMille und vielleicht noch der frühe Tom Clancy zu zählen sein. Um einen Aufstieg in deren Extraklasse bemühen sich einige jüngere Autoren. Unter ihnen befindet sich auch der Brite Jonathan Freedland, dessen Pseudonym Sam Bourne eine Verneigung an Ludlums Superhelden Jason Bourne ist. Freedland alias Bourne gab dann auch im Jahr 2006 mit Die Gerechten einen vielversprechenden Einstand. Aber, wie das leider oft so ist, legte auch er seine ganze Kraft und Einfallsreichtum in seinen Debütroman. Die Folgeromane einschließlich des hier vorliegenden Der Gewählte können nicht mit der Qualität des Debüts konkurrieren. Die Gerechten wurde seiner Zeit sogar mit dem Krimi-Couch-Gütesiegel "Volltreffer des Monats" bedacht. Davon sind wir heute leider weit entfernt. Der Gewählte ist ein oberflächliches Konvolut genretypischer Standards wie Machtkämpfe, Intrigen und Verschwörungen, aber sehr schlicht konstruiert, so dass in keiner Phase so richtig Spannung aufkommt

"The Chosen One" heißt der englische Originaltitel. Der Scherz/Fischer-Verlag hat sich die Freiheit genommen, dies mit Der Gewählte zu übersetzen. Richtiger und feinsinniger, wie die Handlung dann auch zeigen wird, wäre "Der Auserwählte" gewesen. Auserwählt und frisch gewählt ist ein amerikanischer Präsident namens Stephen Baker – so eine Art Barack Obama in "Weiß" mit ähnlichem Charisma und fast identischen Zielen. Das Amt eines amerikanischen Präsidenten wird gemeinhin als eine machtvolle Position betrachtet. Wie wenig jedoch ein reformfreudiger Präsident gegen den Willen derjenigen, die in Amerika wirklich das Sagen haben, durchsetzen kann, wird in der Realität am Beispiel Obama deutlich. Auch Sam Bournes fiktiver Präsident Baker erfährt sehr schnell seine Grenzen.

Er ist gerade einmal zwei Monate im Amt, da erhebt sich in New Orleans eine Stimme, deren Besitzer wohl tief in Bakers Vergangenheit gegraben und Diskreditierendes gefunden hat. Dass Baker mit Anfang zwanzig in psychotherapeutischer Behandlung war, stecken die Therapie erprobten Amerikaner locker weg, dass sich aber eine Spende auf sein Wahlkampfkonto zu iranischen Islamisten zurückverfolgen lässt, erregt des Volkes Zorn. Als wenig später diese Stimme im wahrsten Sinne des Wortes abgewürgt wird, gerät der Präsident in den Verdacht eines Mordkomplotts. Die parlamentarische Opposition wetzt die Messer und bereitet sogar ein Amtsenthebungsverfahren vor.

Normalerweise kann ein amerikanischer Präsident in einer solch prekären Situation auf einen ganzen Tross von Mitarbeitern und Beratern zurückgreifen, hat die Staatsanwaltschaft, die Polizei und auch das FBI, um die Hintergründe der gegen ihn erhobenen Vorwürfe aufzuklären. Baker aber setzt auf seine ehemalige Wahlkampfhelferin Maggie Costello. Dieser – schon etwas überrascht ob des ihr entgegengebrachten Vertrauens – passt das dennoch gut, da ihr gerade der Job im Weißen Haus gekündigt wurde, weil sie in einer zu ihrem Leidwesen an die Öffentlichkeit gelangten E-mail den Verteidigungsminister als Arschloch bezeichnet hatte.

Mit jugendlicher Unbekümmertheit, man könnte auch von Naivität sprechen, stolpert Maggie in Folge durch die Vergangenheit "ihres" Präsidenten und entdeckt mehr durch Zufall eine Verbindung zwischen Baker und dem Denunzianten. Vor lauter Nervosität - ein drohendes Scheitern immer vor Augen - merkt sie nicht, dass sie die ganze Zeit unter Beobachtung steht. Interessierte Kreise verfolgen Maggies Recherchen eher gelassen, wohl wissend, dass sie alle Fäden in der Hand haben.

Eigentlich sollte man sich freuen, dass Sam Bourne mal auf die sonst üblichen Supermänner oder -frauen verzichtet, und mit Maggie Costello eine ziemlich "normale" Heldin an den Start bringt. Maggie kann zwar auf ihre Erfahrungen als kompetente Wahlkampfhelferin zurückgreifen, auch ihren Job als Unterhändlerin im Nahen Osten hat sie gut gemacht, aber auf Washingtons glatten politischen Parkett kommt sie ins Rutschen. Die Aussicht, jetzt für ihren Boss in so einer brenzligen Angelegenheit zu ermitteln, lässt sie ihre Grenzen erkennen. Aber wie heißt es so schön: Frau wächst an ihren Aufgaben. Was nur, wenn diese keine Herausforderung darstellen?

Sam Bournes Geschichte krankt an ihrer Harmlosigkeit und ist in drei Sätzen zusammengefasst: Der amerikanische Präsident wird erpresst. Als Erpresser bieten sich einige an. Maggie soll herausfinde, wer es ist. Ihr Weg dahin könnte gespickt sein mit Finten und Fallen, bedrohlichen Situationen, mit Gefangenschaft und Flucht – eben mit allem, was einen spannenden Thriller ausmacht. Seltsamerweise greift Bourne auf nichts des Genannten zurück. So vegetiert seine Story ohne große Überraschungen dahin wie eine Schnitzeljagd durch den eigenen Garten, in dem man jede Ecke, jeden Strauch kennt. Belanglose Unterhaltung, die man teuer bezahlen muss.

Der Gewählte

Sam Bourne, Scherz

Der Gewählte

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