Judaswiege

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2011
  • 13
  • München; Zürich: Piper, 2011, Seiten: 464, Originalsprache
Judaswiege
Judaswiege
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Andreas Kurth
94°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2011

Fließende Grenzen zwischen Perversion und Verbrechen

Das Muster ist immer gleich. Mit einer ferngesteuerten Bombe zwingt ein perverser Killer junge Frauen dazu, seinen Anweisungen zu folgen. Wenn er sie dann in seiner Gewalt hat, foltert er sie mit einer so genannten Judaswiege überaus grausam zu Tode. Die Spezialisten beim FBI sehen zunächst keine Zusammenhänge, denn die Taten liegen zeitlich und räumlich weit auseinander, zudem gibt es zunächst nur eine Leiche. FBI-Agent Sam Burke bekommt jedoch unerwartete Hilfe von seiner Ex-Partnerin Klara "Sissy" Sewell. Sie wird mit einer Fußfessel polizeilich überwacht, weil sie wegen illegaler Ermittlungsmethoden suspendiert wurde. Weil der Ehemann einer vermissten Frau unbedingt Klarheit haben will, pauken Anwalt Thibault Stein und dessen Assistentin Pia Lindt die Ex-Agentin frei, damit sei Sam helfen kann. Als plötzlich eine weitere Entführung gemeldet wird, beginnt für die routinierten Ermittler ein dramatischer Wettlauf gegen die Uhr.

Ben Berkeley hat ein wirklich bemerkenswertes Erstlingswerk vorgelegt. Ein Serienkiller, der hübsche junge Frauen umbringt, ist zunächst nichts besonderes. Aber der Autor hat daraus einen durchaus anspruchsvollen Plot gemacht. Die Morde passieren über die Jahre verteilt, es gibt zunächst keine Leichen, die Ermittler stehen vor einer überaus schwierigen Situation und brauchen wirklich kreative Ansätze. Und da hat Berkeley einiges im Repertoire.

Beispielsweise die Geier-Staffel, die nach Leichen sucht. Oder der Internet-Freak, wie man ihn heute in jedem Ermittlungsteam findet. Aber hier hat der junge Recherche-Spezialist einiges drauf und stellt Zusammenhänge her, die in der Tat ungewöhnlich sind.

Eine ebenfalls ungewöhnliche Konstellation bildet das Ermittler-Duo Burke/Swell. Über den beiden liegen Schatten aus der Vergangenheit, sie waren mal ein Paar, aber Swell wurde gewissermaßen von ihrem Partner geopfert. Im Laufe der Geschichte finden sie wieder zu einem professionellen Umgang miteinander und vielleicht auch mehr.

Besonders interessant war für mich das neuartige Profil, das von dem Serienmörder erstellt wurde. Der Begriff Triple-Identität war mir gänzlich neu. Hier geht es um eine Person, die ein unauffälliger Langweiler ist, ein Familienvater, der seine Rolle lange Zeit perfekt ausfüllt. Er wird durch das Internet zum Kontroll- und Technik-Freak, kann dort eine überlegene Rolle einnehmen und vor allem seine grenzwertige Sexualität ausleben - bis sie in Perversion umschlägt. Und ebenfalls durch den Einfluss der schier unbegrenzten Möglichkeiten des Internets wird er schließlich zum Mörder ohne das ihm dieser Wandel persönlich bewusst wird. In der Konsequenz sprechen die Ermittler davon, dass es weniger Kriege gibt, dadurch aber mehr Menschen ihre latenten Aggressionen durch Gewaltverbrechen ausleben. Man mag gar nicht zu Ende denken, ob an diesem Ansatz etwas dran sein könnte.

Es geht hier zwar um äußerst brutale Morde und tagelange Folter, aber Ben Berkeley vermeidet blutrünstige Schilderungen, denn die hat er gar nicht nötig. Die Brutalität dringt auch so in die Phantasie des Lesers ein, denn es gibt genug Andeutungen, die vom Autor nicht weiter ausgeführt werden müssen. Dazu gehören auch die interessanten und offenbar gut recherchierten Einblicke in die Sado-Maso-Szene, die mittlerweile mit Videos im Internet arbeitet, und dort der menschlichen Perversion scheinbar völlig freien Lauf lässt. Dadurch werden die Ermittlungen auch für die erfahrenen Spezialisten des FBI zu einem wahren Tanz auf der Rasierklinge, beispielsweise als es zum Chat mit dem Serienmörder kommt. Hier werden, vor allem im Internet, Abgründe geöffnet, die auch den abgebrühten Agents kalte Schauer den Rücken hinunter treiben. Gefahrlos können dunkle Seiten der menschlichen Sexualität präsentiert werden bis die Grenzen zwischen geduldeter Perversion und brutalen Verbrechen zu fließen beginnen und schließlich verschwimmen.

Der Killer nutzt diese fließenden Übergänge gnadenlos aus Ermittler und Leser machen gemeinsam einiges durch. Judaswiege ist ein Buch, das man im Urlaub oder am Wochenende lesen sollte, denn man kann es nur schwer wieder aus der Hand legen. Außerdem wird man als Leser ganz schön gefordert, die ständigen Zeitsprünge und Ortswechsel sind sehr anspruchsvoll. Es wird nicht nur zu den früheren Taten zurück geblendet, sondern auch in der Gegenwart mal eben ein paar Wochen in die jüngere Vergangenheit geschaut. Der absolut fesselnde Plot sorgt jedoch dafür, dass man am Ball bleibt auf die Verfilmung des Buches freue ich mich schon jetzt. Der Autor und die Figuren haben einiges an Potenzial, den Namen Ben Berkeley sollte man sich also merken.

Judaswiege

Ben Berkeley, Piper

Judaswiege

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