Der Mann, der niemals starb
- Scherz
- Erschienen: Januar 1987
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- New York: St. Martin’s Press, 1984, Titel: 'Quicksilver', Seiten: 151, Originalsprache
- Bern; München; Wien: Scherz, 1987, Titel: 'Mörder mit beschränkter Haftung', Seiten: 177, Übersetzt: Hardo Wichmann
- Bern; München; Wien: Scherz, 1996, Seiten: 177
- Bern; München; Wien: Scherz, 2000, Seiten: 177
- Frankfurt am Main: Fischer, 2015, Seiten: 178


Altes Unrecht lebt mehrfach tödlich auf.
In San Francisco übernimmt der namenlose Detektiv einen neuen Fall. Wie üblich scheint der Job zunächst simpel zu sein. Haruko Gage ist eine US-Amerikanerin mit japanischen Vorfahren. Seit einiger Zeit sendet ihr jemand anonym alten, aber kostbaren Schmuck zu. Zwar freut sich die materialistische Empfängerin, doch sie ist auch besorgt: Wird der edle Spender womöglich persönlich auftauchen und Haruko dadurch in Gefahr geraten?
„Nameless“ befragt einige Männer, mit denen Haruko ein Verhältnis gehabt hat. Einer von ihnen ist Ken Yamasaki, der in einem japanischen Bad arbeitet. Als der Detektiv ihn dort befragen will, findet er den Inhaber mit einem Samurai-Schwert erschlagen vor. Der Fall geht an Inspektor Leo McFate von der Mordkommission, der „Nameless“ nicht leiden kann. Immerhin erfährt der Ermittler, dass Simon Tamura, der zerschnetzelte Bad-Betreiber, ein Mitglied der Yakuza war, d. h. jener Verbrecherorganisation angehörte, die auch in den USA Fuß zu fassen versucht.
Demnach ist auch Yamasaki ein Mitglied japanischen Mafia, was sich zu bestätigen scheint, als „Nameless“ von zwei Yakuza-Schergen observiert wird, was der Detektiv besorgt zur Kenntnis nimmt, aber seine Untersuchung fortsetzt, obwohl er zwischen Yakuza und Kriminalpolizei gerät. Ein altes Foto bringt „Nameless“ auf die richtige Spur. Sie führt zurück in ein düsteres Kapitel der jüngeren US-Geschichte, das gern vertuscht wird, sich aber nicht unterdrücken lässt, weil erlittenes Unrecht sich irgendwann explosiv entlädt …
(Aufrechter) Mann ohne Namen
Zwischen 1971 und 2017 füllten seine Fälle 46 Romane, hinzu kamen zahlreiche Kurzgeschichten, was sich zu einer der langlebigsten Krimi-Serien überhaupt summiert. Einen Namen hatte der Protagonist nicht, was einerseits eine (sich im Gedächtnis von Kritikern und Lesern verankernde) Marotte des Verfassers war, aber andererseits eine Botschaft transportierte: „Nameless“ war der archetypische Privatdetektiv, wie Dashiell Hammett, Raymond Chandler oder Ross MacDonald ihn vor und nach dem Zweiten Weltkrieg charakterisierten.
Er war ein Außenseiter, weil unabhängig, unbestechlich und jenen Werten verpflichtet, die in einer modernen, von Selbstsucht, Gleichgültigkeit und Korruption geprägten Welt zum Aussterben verdammt schienen. „Nameless“ treibt es auf die Spitze - und darüber hinaus: Er ist mittelalt, leidet unter Übergewicht, hat es nie zu Wohlstand gebracht, was sich nicht ändern dürfte, weil er nicht dem Geld, sondern der Moral folgt. Die Polizei - einst war er selbst dort tätig - kann ihn nicht leiden, und stets weist der gerade übernommene Fall mindestens einen Fallstrick auf, der „Nameless“ in Lebensgefahr bringt, weil er einfach nicht aufhören kann zu bohren und zu fragen.
In „Quicksilver“, dem 11. Band der Serie, laboriert er noch an den Folgen einer Schussverletzung, die er im Rahmen einer wie üblich aus der Bahn geratenen Ermittlung erlitten hat. (In Deutschland erschien dieser Roman erstmals 1987 unter dem Nullsinn-Titel „Mörder mit beschränkter Haftung“. 1996 wurde daraus „Der Mann, der niemals starb“, was ebenso nichtssagend ist. Quecksilber ist ein flüssiges Metall, das sich in Tropfen verteilen, aber auch wieder zusammenlaufen kann - so wie es in dieser Geschichte mit den Fragmenten einer lange verwirbelten Vergangenheit geschieht.) Auch sonst sieht es düster aus, was sich sogar im Wetter widerspiegelt: Dauernd regnet es - ausgerechnet in Kalifornien.
Die Ehre des Drucks
Selbstverständlich steht unser Detektiv auch privat unter Druck. Sein bester Freund will unbedingt sein Partner werden, obwohl „Nameless“ seit jeher am liebsten allein arbeitet. Endlich hat er auch eine Lebensgefährtin gefunden, doch die zwingt ihn aktuell zu einer Diät, deren qualvolle Auswirkungen zum „running gag“ dieses Romans werden (und in einem erlösenden, doch gleichzeitig eine weitere Niederlage symbolisierenden Finale gipfeln).
Einen ‚leichten‘ Fall wünscht sich „Nameless“, um ein letztes Mal im Alleingang arbeiten zu können. Folgerichtig kommt es anders, denn keinem ‚echten“ Detektiv der klassischen Schule ist ein leichtes (= langweiliges) Leben vergönnt. „Nameless“ sollte es wissen, denn Autor Pronzini lässt ihn das Genre reflektieren, indem er ihn als eifrigen Leser und Sammler jener „Pulp“-Magazine charakterisiert, in denen der „Schnüffler“ zum Mythos wurde.
Wie jeder Detektiv seiner Güteklasse stochert „Nameless“ dort herum, wo das Establishment ihn keineswegs sehen will. Politiker und Wirtschaftsmagnaten sind seine Primär-Feinde, denn sie haben stets etwas zu verbergen. Justiz und Polizei agieren als ihre Erfüllungsgehilfen, während die Medien nach Schlagzeilen gieren und kein Problem damit haben, Ermittler wie „Nameless“, die im Schatten am besten aufgehoben sind, ins Licht zu zerren.
Im Sog der Sühne
Dieses Mal zielt „Nameless“ ahnungslos dorthin, wo US-Regierung und Gesellschaft ein hässliches ‚Geheimnis‘ hüten, das nicht unbedingt eines ist, aber wie eines behandelt wird, was die Vorgabe von Unwissen und Unschuld beinhaltet: Als das Königreich Japan im September 1941 den US-Stützpunkt Pearl Harbor überfiel und die Vereinigten Staaten ihm daraufhin den Krieg erklärte, gerieten die japanisch stämmigen Bürger der USA umgehend unter Generalverdacht. Als potenzielle „Spione“ und „Feinde“ wurden sie gefangengesetzt und in Lagern konzentriert, wo sie unter erbärmlichen Verhältnissen vegetierten. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt und geplündert, ihre Menschenrechte negiert. Mehr als 120000 Männer, Frauen und Kinder erlitten dieses Schicksal. Eine Entschädigung oder gar Entschuldigung erhielten sie nie.
„Quicksilver“ greift dieses Unrecht auf. Der Plot thematisiert dabei auch die Unkenntnis oder Ignoranz der jungen US-Japaner: Je länger sie nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, desto weniger wissen sie über ihre Geschichte, zumal auch ihre traumatisierten Eltern oder Großeltern kaum über ihre Qualen sprechen. Als Pronzini 1984 dieses Buch schrieb, war es immer noch zu früh für eine offene und öffentliche Diskussion, die erst einsetzte, nachdem auch die Vertreter jener Institutionen, die für die Verfolgung der Japaner verantwortlich waren, nicht mehr lebten = in Verlegenheit gebracht werden konnten.
Da Pronzini ein ungemein routinierter Erzähler ist, gerinnt ihm „Quicksilver“ nie zum Traktat. Die Vergangenheit fließt in die Handlung ein, ohne sie zu überwältigen, wie es im heute oft ziegelsteindicken Mainstream-Krimi gern geschieht. Die „Nameless“-Serie weist durchaus Seifenoper-Elemente auf, die jedoch nicht wie solche wirken, weil Pronzini das Privatleben seines Detektivs nie in den Vordergrund drängt. Das Geschehen ist temporeich, der Plot verwickelt = spannend, und er wird logisch aufgelöst, was - nicht jedes Klischee wird gemieden - im Rahmen einer dramatischen Rettungsaktion geschieht.
Fazit
Solider, vom Verfasser routiniert sowie schnickschnackfrei geschriebener und spannender Krimi, dessen namenlose Hauptfigur den typischen, d. h. schäbigen und ehrenwerten Detektiv verkörpert: ein zeitloses Lesevergnügen.

Bill Pronzini, Scherz

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